Die Bierfrau

Kurzgeschichte zum Thema Schicksal

von  Koreapeitsche

In unserer Stadt kam ein Phänomen zum Tragen von dem besonders junge Punks profitierten: Die Bierfrau.
Die Geschichte von der Bierfrau ist eine Geschichte der Nächstenliebe und Fürsorge. Hecker tat die Bierfrau auf. Sie war meistens in der Traumfabrik bei den unmöglichsten Events anzutreffen. Die Frau war ein paar Jahre älter als wir. Ein paar wenige Jahre waren für uns schon Welten. Wir waren nur ganz selten in der Trauma, meistens, wenn Konzerte stattfanden und wir danach noch in der Halle blieben. Die Bierfrau hatte ein Herz für Teenage Punks. Hecker machte zuerst die Erfahrung. Er stellte nämlich fest, dass die Bierfrau sofort ein Bier ausgab, sobald sie von einem Teenage Punk darum gebeten wurde. Das sprach sich schnell rum, wenn Hecker erzählte
      „Ich habe die Bierfrau wieder getroffen.“
Das bedeutete, dass er wieder Bier von ihr ausgegeben bekommen hatte. Daraufhin versuchten auch die anderen Nachwuchspunks von der Bierfrau ein Kneipenbier zu ergattern. Wann konnten wir mal in der Disco ein offizielles Bier trinken und nicht nur das mitgebrachte Dosenbier? Das waren wirklich die ersten offiziellen Flaschenbiere, die wir ohne Angst erwischt zu werden offen in der Disco tranken - vorbehaltlich der Illegalität durch die gefälschten Schülerausweise.
      Da wir ihren Namen noch nicht kannten, oder uns den Namen nicht merken konnten, blieb es bei dem Namen „Die Bierfrau“. Das wurde ihr unwiderruflicher Spitzname. Sie war sehr mütterlich zu den jungen Punks. Wenn sie am Tresen das Portmonee zückte und im Kleingeld kramte, wirkte sie sogar großmütterlich.
Die Bierfrau hörte kompromisslos Punk. Wir wussten anfangs gar nicht, dass die Bierfrau eine gute Freundin von Kammkatz Freundin war. Als wir das begriffen, strengten wir uns umso mehr an, freundlich zur Bierfrau zu sein und sie nicht zu verarschen, besonders, wenn wir extremst besoffen waren. Wenn es in der Disco wieder hieß
      „Die Bierfrau ist da!“
betrachteten wir sie zunächst aus der Ferne und schlichen uns langsam an sie heran. Einer nach dem anderen fragte sie
      „Hallo Bierfrau, sag mal, kannst Du mir bitte ein Bier ausgeben?“
Und schon kam der Nächste.
      „Kannst Du mir bitte auch ein Bier spenden?“
Das geschah mit viel
      „Büdde, büdde!“,
mit
      „Mi, mi, mi!“
und
      „Oh, bitte liebe Bierfrau!“
Meistens ließ sie sich erweichen und nickte kurz, ging zum Tresen und bestellte ein Flaschenbier, das sie uns wie selbstverständlich überreichte. Wir durften unser Glück jedoch nicht überstrapazieren. Denn wir wussten, dass sie uns nicht nächtelang durchfüttern konnte, denn das kostete schließlich ein Heidengeld. Sie konnte auch mal Nein sagen.
Wir sahen die Discowelt jetzt mit anderen Augen. Wir waren jetzt nicht mehr die Untermenschen, die in den Ecken rumdrucksten und heimlich das Fremdbier tranken. Jetzt konnten wir die Flasche Bier vor uns halten und signalisieren
      „Hey, wir gehören jetzt zur Disco-Gemeinde dazu.“
Wir glaubten, den etablierten Disco-Besuchern dadurch auf Augenhöhe begegnen zu können. Doch das war ein Irrtum. Wir waren als Teenager längst bei allen untendurch. Wir hatten zu oft Fehlverhalten an den Tag gelegt. Wir galten als Asis, vor allem bei denen, die in jungen Jahren schon einen festen Beruf hatten.
      Eines Tages lud die Bierfrau uns Jungpunks zu sich nach Hause ein. Sie wohnte in Gaarden in der Gazettestraße nahe dem O-String. Wir brauchten kein Bier mitzubringen, waren aber schon angetrunken, als wir klingelten. Wir staunten nicht schlecht, als wir die Wohnstube betraten. Auf der Couch saß Kammkatz Alte. Es war alles vorbereitet wie zu einer Geburtstagsparty. Das Bier stand für uns bereit und wartete nur darauf, geöffnet zu werden. Es lief härtester Punkrock im Hintergrund, nicht zu laut, sodass wir uns ohne Verständnisprobleme unterhalten konnten - ohne zu schreien. Die meisten Punk-Songs kannten wir. Wenn wir ein Lied nicht kannten, das uns brennend interessierte, fragten wir nach
      „Was läuft denn da?“
      „Das sind Resistance 77.“
      „Oh, geil!“
Wir versuchten keinen Scheiß zu machen und benahmen uns so gut wir konnten und wie der Alkohol es zuließ. Wir wollten nicht, dass irgendwas an den Alt-Punk Kammkatz weitergetragen wurde. Also benahmen wir uns.
      Schlussendlich machte die Runde, dass Hecker Sex mit der Bierfrau hatte. Das Gerücht war im Prinzip das Ende der Spendierfreude der Bierfrau.  Trotzdem sollte jeder Nachwuchspunk eine richtige Bierfrau haben und zu schätzen wissen, die sich um ihn kümmert - auch wenn uns die Bierfrau ein stückweit auf die Discowelt konditioniert, als sei sie ein Lockvogel der Discoszene gewesen. Das ist natürlich Quatsch.


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