Der Rocker tritt mir mit Cowboy-Stiefeln in die Fresse

Kurzgeschichte zum Thema Verwandlung

von  Koreapeitsche

Wir waren voll auf Billard. Ich hatte den Eindruck, das sei Freundschaft zwischen mir und dem Rocker. Doch ich sollte bald eines Besseren belehrt werden. Vielleicht war es doch Freundschaft und er erteilte mir bloß eine Lektion mit seinen Cowboystiefeln. Wir waren mit einer Frau unterwegs, die deutlich älter war als wir, die ständig ihren Schäferhund dabei hatte. Der Schäferhund saß auf dem Beifahrersitz, der Rocker und ich saßen hinten auf der Rückbank. Wir trafen uns meistens gegen Abend, und die Frau chauffierte uns mit dem Mercedes durch die Gegend. Wir zwei hinten sollten abwechselnd bauen. Später am Abend spielten wir meist Billard - in der Bergstraße, in Spielhallen oder in Billardcafés. Alle drei konnten ganz gut Billard spielen. Wir hatten ungefähr das gleiche Niveau. Wenn wir ein Mini-Turnier spielten, konnte jeder von uns gewinnen und die Tagesform entschied, je nachdem, wer die ruhigere Hand hatte oder sich am besten konzentrieren konnte. Unausgesprochenes Gesetz war, die letzte Kugel reinzuhämmern, es sei denn, dass gravierende Gründe dagegen sprachen. Wir tranken kaum Alkohol.
  Ich hörte inflationär häufig die englische Band The Ruts zu der Zeit. Die LPs “The Crack“ und “Grin & Bear It“ wechselten sich auf meinem Plattenspieler ab, tendeziell lag häufiger die The Crack auf. Diese Leidenschaft zu The Ruts teilten die Rocker nicht mit mir.
      Die Frau wohnte auf einem Bauernhof, der über eine hochmoderne Halle verfügte, die auch als Reithalle verwendet werden konnte. Der Taekwondo-Freak feierte hier einmal seinen Geburtstag mit Einladungsflyern im Werner-Comic-Style, mit DJ, Alkoholausschank und vielen Gästen, die nur mit Auto anreisen konnten.
      Eines Abends fuhren wir wie so häufig ins Parkhaus in der Bergstraße. Der Schäferhund, der gern kläffte und aggressiv wirkte, saß wie gewohnt auf dem Beifahrersitz. Aus dem Auto-Radio erschallte von Tape „We're playing Vicious Games, Vicious Games with different names, different names“. Bevor wir ausstiegen, wurde noch ein Joint geraucht. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob der Hund auf dem Beifahrersitz blieb, oder ob sie ihn mit ins Billardcafé nahm. Wir stiegen aus dem Auto aus, gingen ein paar Meter, waren immer noch auf der selben Plattform, als der Rocker plötzlich anfing auszuflippen, ruckartig umherblickend Verfolgungswahn imitierte. Wenn er nach solchen Aktionen lachte, war alles ok. Doch er lachte nicht. Schließlich trat er wie mit Superpower mit seinem rechten Cowboystiefel in meine Fresse. Meine Einstellung so zu der Zeit „alles Roger, jetzt häng ich mal mit Rockern ab“. Und plötzlich macht es BAMM. In einem Reflex riss ich meine Arme hoch, sodass ich den Tritt im letzten Moment abfangen konnte. Trotzdem spürte ich das Wildleder an den Lippen. Er hat den Kick mit voller Kraft gegen mein Gesicht durchgezogen. Das war so richtig Rostig-Style oder Hauke-Manier. Das konnte auch nicht gut gehen, denn Punk und Hardrock ist und bleibt ein Widerspruch wie Christentum und Islamophobie. Jedenfalls hielt ich mir in einer Blitzreaktion die Unterarme schützend vors Gesicht. Ich hatte wirklich Sott, dass ich so umnebelt noch einigermaßen reagieren konnte. Danach sah ich den Rocker mit anderen Augen. Ich hatte zwar versucht, ihn etwas an Punkrock heranzuführen, doch das konnte ihn nicht vom Hardrock entfernen. Jetzt war ich gewarnt, denn ich realisierte, dass er aus heiterem Himmel oberaggro werden konnte. Ich schrie „Bis du wahnsinnig?", jammerte nicht lange und ging mit beiden für eine kurze Stippvisite durch den Hinterhof und ins Böll. Danach gingen wir in der zweiten Kelleretage in einem Billardsalon hinter dem Böll, um ein paar Partien Billard zu spielen. Ich war noch ganz baff, strengte mich an und ließ den Vorfall im Parkhaus auf sich beruhen. Wir redeten nicht viel. Die letzte Kugel wurde wie gewohnt mit der größtmöglichen Impulskraft ins Loch gehämmert.
      Ich drehte noch ein paar Dinger mit ihm, ich als Punk, er als Rocker. Da passte alles.
Einmal klaute ich zusammen mit dem Rocker ein paar Cowboystiefel, die ich erst anprobierte und mir danach einfach unter den alten Trenchcoat von $. schob.
Als ich schlussendlich nach Berlin zog, sagte Günther „Geh nicht unter in Berlin", und ich ging trotzdem unter. Am Ende mussten wir uns ihm alle beugen. Scheiß Berlin.



Anmerkung von Koreapeitsche:

Ähnlichkeiten mit noch lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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Kommentare zu diesem Text


 Teichhüpfer (15.08.24, 11:37)
Wenn die an deine Familie gehen, das ist noch viel schlimmer.

Teichi

 Dieter_Rotmund (16.08.24, 17:29)

Wir zwei hinten sollten abwechselnd bauen
??? Häuser? Schlösser? Autobahnen?

 Dieter_Rotmund (16.08.24, 17:31)

Das war so richtig Rostig-Style oder Hauke-Manier. 



Wer waren/sind diese Menschen?

 Koreapeitsche meinte dazu am 17.08.24 um 00:36:
Das sind/ waren Punks.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 18.08.24 um 09:01:
Du weißt, ich mag deine Milieu-Geschichten, aber vergiss bitte nicht, dass die meisten Leser keinen Bezug zu diesem Bereich haben. Eine ganz kurze Ergänzung wäre hilfreich, z.B. 


Das war so richtig wie der Style der bekannten Punks Rostig und Hauke.



Was genau diese Punks ausmacht, musst du gar nicht schreiben, für den Leser genügt an dieser Stelle die Basisinfo.

Antwort geändert am 18.08.2024 um 09:01 Uhr
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