In Demut am Monitor

Persiflage zum Thema Halluzination

von  uwesch

Gewaltige Lichtmassen erstrahlen. Wo führt das hin? Abheben und fliegen ins Unendliche des Raums. Staub, Kälte, Sterne und Weite. Der Allmächtige ist nicht zu sehen.

Mein Blick fällt auf den 19-Zoll-Flachbild-Kontrollmonitor. Ein Fahrer schaut aus einer chromblitzenden Rakete und zeigt mir einen Vogel. Was will der denn? Verpestet das All und will mich belehren. Ich bin wütend und schreie:

„Mach ´ne Fliege!“

Der antwortet frech:

„Nur Fliegen sind schöner“, und wedelt eine dicke Schmeißfliege auf meinen Bildschirm. Die scheißt vor Schreck gleich auf die schön polierte Mattscheibe.

Schon wieder dieser Dreck an meinem Raumschiff, und noch dazu von der Strahlung hell erleuchtet ... erleuchtet?... erleuchtet?... erleuchtet?... mir kommt ein schrecklicher Gedanke.

Bevor ich ganz durchdrehe, fange ich an zu meditieren. Meine Gedanken schweifen weit weg. Es kehrt langsam wieder Ruhe in mein Gehirn, doch plötzlich macht es “Piep, piep, piep“ und der Computer stürzt ab. Alles gerät ins Trudeln. Der Fliegendreck beginnt zu wabern. Eklig!

Wohin geht die Reise? In meiner Verzweiflung drücke ich alle möglichen Tasten, … und siehe da, der Computer fährt plötzlich wieder hoch.

Nach sieben Cybersekunden fängt er an zu zwitschern:

„Hey Alter, du willst Erleuchtung? Drück´ einfach die Tasten Shift (links) und Enter, dann geht´s links ´rum zur Erleuchtung immer den Laternen nach. Bei Shift (rechts) und Enter rechts herum über die Hängebrücke.

Ich frage mich: „Spinnt der?“

Nach kurzem Zögern entscheide ich mich für Shift (links)-Enter. Drei Tasten gedrückt und der Bildschirm stößt Ächzlaute über die integrierten Lautsprecher, ... ein Farben- und Formengewitter donnert über die Mattscheibe. Ich bin überwältigt. Sphärenmusik ertönt. Ich muss heulen vor Glück, werde leichter und leichter, ... hebe langsam ab.

Das Raumschiff hat sich inzwischen gefangen und gleitet ruhig wie ein Jumbo auf dem Flug nach Mallorca dahin, weit weg von der Erde. Ich lehne mich zurück, genieße die Aussicht und schwebe durch den Raum.

Plötzlich fällt mein Blick auf Fliegendreck am Bildschirm des Monitors. Ich suche hektisch einen Lappen und finde keinen. Aus den Lautsprechern ertönt von weither eine höhnisch lachende Stimme:

„Ha … ha … ha, hast gedacht du bist kurz vor der Erleuchtung? Ha … ha … ha!“

Ich fahre herum und sehe wie aus dem Farbengewitter der Mattscheibe eine Gestalt auftaucht und immer näher kommt.

Ein weiser alter Mann schaut mir mit wässrigem Blick ganz tief in die Augen. Ich bin gerührt und muss leise weinen. Durch den Tränenschleier kann ich gerade noch sehen wie die Gestalt wieder verschwindet und mir mit hallender Stimme aus weiter Ferne zuruft:

„Vor der Erleuchtung musst du erst den Fliegendreck von der Scheibe ablecken“.

Ich bin geschockt und haue verzweifelt auf der Tastatur herum. Die Stimme aus dem Monitor haucht dann noch, immer leiser geworden:

„Weck´ die Katze in dir, ... leck´ die Scheibe ab und vergiss´ das Polieren nicht!“

Ich rufe wütend geworden: „Du alter Sadist.“

Mann und Stimme sind verschwunden. Ich fühle mich wie ein zu kurz gekochtes Vierminuten-Ei. Das Wasser läuft mir langsam im Mund zusammen, Engelmusik ertönt in meinen Ohren. Mein Mund nähert sich, etwas zögernd noch, dem Bildschirm. Meine Zunge streicht über die Lippen. Ich schlecke den Fliegendreck langsam von der Scheibe. Schlapp, schlapp, schlapp ... schmatz ... seufz, ... ich mag nicht mehr aufhören.

 

Als wirklich alles ab ist, ich mit einem Taschentuch nachpoliert habe und mich genüsslich zurücklehne, erklingt ein Gong und wieder diese Stimme aus dem Monitor:

„Lieber Sohn, heute hast du deinen ersten Schritt im Dienen getan, du hast den Fliegendreck vom Monitor geleckt. Du hast etwas getan, was dich der Erleuchtung näher bringt“.

Ich erinnere mich plötzlich an den wilden Hass als Zwölfjähriger beim Polieren der Chromteile am Auto meines Vaters und konnte nur noch hauchen:

„Ja Vater, verzeih´ mir, jetzt weiß ich endlich, wozu das damals gut war“.

 

Mit letzter Kraft drücke ich noch die Taste Escape und der Bildschirm zeigt mir nur noch Sterne in der Weite des Kosmos. Ich schaue aus dem Raumschifffenster und sehe in weiter Ferne einen hell leuchtenden Fixstern, mache mich auf einen langen Weg. Energie durchpulst wieder alle meine Körpersysteme und ich beginne Klavier auf meiner Computertastatur zu spielen. Bei Shift (rechts)-Enter spuckt der Monitor plötzlich einen Text aus. Ich bekomme eckige Augen und muss dreimal hinschauen. In Arial Black steht da glasklar:

Computer, Taste, Fliegendreck,

Schau´ doch hin,

Es hat ´nen Zweck.

Ich stöhne auf, klicke auf den Space-Button und fliege, fliege, fliege ...



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (16.04.23, 14:14)
wie menschen vielleicht ausseh'n einst die sich

nie trennen vom pc mehr ist grauslich! (s.u.) :O lg vom harzer


https://www.dasding.de/newszone/mensch-jahr-3000-mindy-100.html

Kommentar geändert am 16.04.2023 um 14:19 Uhr

 uwesch meinte dazu am 16.04.23 um 17:00:
Man muss sich´s einteilen. Es darf nicht zu bestimmend werden. Besser als die totale Einsamkeit im Alter ist es allemal, wenn es wenigstens die Möglichkeit gibt den Anschluss an das Geschehen auf der Welt und seinem Umfeld zu behalten.
Persönliche Kontakte sind natürlich besser, doch mit zunehmendem Alter meist immer weniger.
Dank Dir für den Hinweis und Deine Empfehlung.
LG Uwe

 harzgebirgler antwortete darauf am 16.04.23 um 17:10:
:)  :)
was du ausführst entspricht
auch gänzlich meiner sicht! :D lg vom harzer
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