Grün und grande

Text

von  blauefrau

Heute, am 28.05. 2023, leuchtet der Canal Grande grün, gerade jetzt, wo wir hier arbeiten wollen.

Der Canal Grande hat grande zu sein, seine Farbe unauffällig, sprich blau oder graublau, unauffällig, möglichst auch klar, aber grün, nein, grün nicht, das thrillt so, damit hatte wir  nicht gerechnet. Warum ausgerechnet jetzt, wo wir bald kommen und endlich einmal etwas von Venedig haben wollen? Da wird uns eine grüne Suppe serviert, und wir wissen nicht, sind es Algen oder sind es Kritiker, die gegen das Sterben der Stadt vorgehen wollen, gegen die großen Schiffe, gegen uns Besucherinnen, die schütten dann einfach grüne Farbe in den Kanal und wollen unsere Aufmerksamkeit.

Warum heute, warum jetzt? Demonstriert wurde doch hier genug. Wir wissen es: die Stadt stirbt, wir haben es in der Hand gehabt und haben nichts dagegen getan, und jetzt: Bitte das Grün entfernen, nur keine Irritation, wir gehen hier gemeinsam unter, das macht aber nichts, wir gingen ja hier schon immer unter, manchmal gehen wir auch über, z.B. jetzt, wir schäumen über, wie eine Sektflasche, vor Wut oder Freude.

Ich werde niemandem ein Härchen krümmen, ich arbeite hier nur für mich, in Ruhe, Lasst mich in Ruhe!, mit Farben und üblen Gerüchen und kritischen Plakaten. Es gibt eine Harmonie des Untergangs, die sollte keiner stören, ich gehe sehr gern unter und tauche gelegentlich wieder auf, ich ziehe daraus meine Kraft, und hier will ich mich in dem Untergang der Stadt spiegeln und wiederauftauchen, da soll niemand dran rütteln.

Andere Städte und Reiche sind schon untergegangen, manchmal findet jemand Reste, Kontinente wie Atlantis, Mu und Lemuria sind nur aus Erzählungen bekannt und jeder vermutet sie woanders, von sagenhaften Stätten spricht man.
Venedig ist noch da, es ist: becoming, entwickelt sich auch weiter, ist auch moritura, wird vielleicht auch sterben.
Wer will sich mit einer totgeweihten Greisin zeigen?

Bitte, jetzt endlich das Grün eliminieren, alles zurück auf Los!



 


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