Frei drehen

Text

von  blauefrau

Durch das Rechteck könnte sie davonschwimmen, die rechteckige Öffnung in der Mauer des Mühlengrabens. Die Mauer war von Laubwerk begrünt, die alten Steine der Mauer waren unansehnlich beigegrau. Sie stellten eine Konstante dar, immer schon da und immer wieder. Später also auch noch. Als wenn jemand duchgehend Steine in den Mühlengraben warf, bewegte sich das Wasser im Graben in Kreisen. Vielleicht war es auch nur der Zufluss der Oker, der das bewirkte.

Bäume spiegelten sich im Wasser, Zwischenräume spielten das Licht aus. Sie öffnete das Fenster und streckte ihren rechten Arm zur Mauer hin. Mit den Fingerspitzen prüfte sie die Öffnung. Sie warf ihren Rucksack über die Mauer, vor den Container. Der Rucksack war voll von gekritzelten und mitgeteilten, unausgesprochenen und ungeschriebenen Worten. Ihre Worte würden ihren Weg schon finden. Am wahrscheinlichsten war, sie würden dem Rucksack entkommen. Sie könnten sich in Nischen und Ritzen der Mauern einnisten, zwischen Blättern und Zweigen lagern. Vielleicht setzten sie sich der Sonne aus, ließen sich beregnen und begrünen. Sie könnten auch mit dem Wind heulen, sich treiben lassen, verwittern und versteinern. Oder sie versteckten sich und verschwänden.

Sie konnte ihnen nichts mehr geben. Sie stieg aus dem Fenster und sprang in den Mühlengraben, streckte sich, schwamm durch die Öffnung, glitt unter Plätzen, Wegen und Straßen entlang. Sie blieb an Wurzeln hängen, geriet zwischen Steine und Rattennester, strauchelte auch. Schließlich drehte sie frei. Eine Weile noch hörte sie das Echo der abgeworfenen Worte, dann wurde es still.


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