dass je ihr'n zahn der zeit zieht irgendwer
wie der dentist dem bub ein' hier ist schwer
nur vorstellbar und wird wohl kaum geschehen
eh wir nicht ihr vergeh'n anders verstehen...
*
die zeit sie ist ein nagetier:
ihr zahn der nagt an dir und mir
da kannst du machen wirklich nichts
du träger des vernünft’gen lichts
bist ausgeliefert diesem zahn
und ihm im leben untertan...
der zahn der zeit muß endlich raus
aus dem gebiß vom weltenhaus
der nagt und nagt und beißt und beißt
und geht uns allen auf den geist:
wenn der mal nicht mehr beißt und nagt
was unentwegt gott seis geklagt
ja nun passiert seit eh und je
[- das teil tat schon dem adam weh
und eva die ihn kosten ließ
vom apfel einst im paradies
das kostete unsterblichkeit
und fortan nagte sie die zeit
mit ihrem wirklich üblen zahn
an jeder ahnin jedem ahn -]
blieb’ alles quasi frisch und neu
mensch dächt’ ans altern ohne scheu
denn alter gäb’ es einfach nicht
tod blies’ nicht aus des lebens licht
[- für böse freilich müßt’ er her
sonst ängstigt’ die rein gar nichts mehr! -]
ich weiß auch schon welch ein dentist
im zeitzahnziehen meister ist
doch plapper ich den hier nicht aus
- im wurzelziehen wärs wohl gauß! -
behalt den namen schön für mich
weil ich ja weiß : das ärgert dich
und ärgern tu ich dich zu gern
weil mich zu ärgern liegt mir fern...
...auch der haifisch der hat zähne
dito zähne hat der leu
reißzahn unter löwenmähne
mgm brecht meiner treu!
ach des bertolts mackie messer
zeitzahn kann das alles besser
logo metro goldwyn mayer
dacht als kind mir schon auweia
zähne gibts da staunst du nur
in der tierischen natur
sollte man wohlweislich meiden
um nicht bißwund’ zu erleiden -
an der zeit ihr angesicht
mit dem zahn dacht ich noch nicht...
ja wer mag das schon begreifen :
licht erblicken wir und reifen
und wir werden dann gepflückt
voll vom lebensbaum - verrückt!
ES NAGT DER ZAHN DER ZEIT AM KIND
JA AUCH SCHON SEIT WIR MENSCHEN SIND
DAGEGEN HILFT NUN KEIN DENTIST
SELBST WENN DU SELBER EINER BIST
VON GROSSER KUNST MIT PROFESSUR
DENN STERBLICH SEIN IST MENSCHS NATUR!
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an ehen nagt der zeit zahn auch
verfallsdatum mag sein
dann steht sie ganz schön auf dem schlauch
und scheidung stellt sich ein
da nutzt das tollste kochen nichts
denn gerne hört man sagen
- ach hohes lied des lustverzichts -
die lieb geht durch den magen:
und wie sie geht - sie ist voll fort
und treibt woanders leistungssport...
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das alter ist die filterzeit des lebens
und trennt was von belang und was mehr nicht
um vieles macht man weniger aufhebens
es klärt sich viel und klar doch auch die sicht
das alter läßt uns vieles klarer sehen
zumindest wenn demenz nicht um sich greift
und man begreift woher viel winde wehen
weil sich der mensch total auf sich versteift
der gott als maß scheint längst schon ausgestorben
und selber mäßigt sich der mensch kaum mehr
in vieler hinsicht scheint er voll verdorben
doch hofft vielleicht auf gottes wiederkehr
um maß und mitte endlich mal zu finden
die ihn von selbstverstrickung auch ent-binden...
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so schichten der geschichte sind aus zeit
die war und nun zurückliegt oft sehr weit
fortwährend werden sie von ihr vermehrt
durch das was kommt geht und nie wiederkehrt...
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die gute(n) alte(n) zeit(en)
feudalherrschaft sollt’ keiner mehr erstreben
zum glück ist auch der ständestaat passé
und bock hätt’ kaum ne frau noch lein’ zu weben
selbst ruh’ als erste bürgerpflicht ist schnee
von gestern gott sei dank – die alten zeiten
können echt nur im rückblick freud’ bereiten --
die "guten alten zeiten" waren schlechte
mit weltkrieg nummer eins und nummer zwei
die kleinen leute hatten wenig rechte
vor obrigkeit war üblich buckelei -
ich wollte wilhelm unsern alten kaiser
um keinen preis mehr heute wiederham
und heilverblendete braune duckmäuser
durch die viel schande über deutschland kam –
die welt scheint zwar inzwischen aus den fugen
doch schuld daran auch schon die vorfahr’n trugen...
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der zeitraum in dem dichtung wirkt
und wahr wird was sie sagt
was ihr gedicht an aussicht birgt
ist lang - ob's mir behagt?
ganz sicher nicht ich sehe nur
ich reiche echt nicht zu
ich wandle auf des dichters spur
es läßt mir selten ruh
die rede ist von hölderlin
ich lese was er schrieb
und komme dennoch kaum dorthin
in das was ihn stets trieb :
die kluft die menschen lang schon trennt
von göttern dies geschick
das hölderlin erkennt und nennt
die hochzeit auch im blick
das fest die feier wenn geheilt
gedichtet dieser riß
wenn heil’ges neu auf erden weilt
statt selbst’sche finsternis...
obwohl ich manches schon versteh
auch heidegger sei dank
sag ich ganz einfach nur ich seh
die wirkungszeit braucht lang -
daher tritt mancher demutvoll
zurück vor dem der kommt
in tausend jahr'n - wenn er denn soll
und es dem schicksal frommt...
„Ich trete vor einem zurück, der noch nicht da ist, und beuge mich, ein Jahrtausend i(h)m voraus, vor seinem Geiste.“
(Heinrich von Kleist)
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das alte jahr hockt im archiv
der zeit noch lange nicht so tief
wie welche die vor tausend jahr'n
mal neue wie es selber war'n
doch weil die zeit nicht stille steht
und nach ihm auch viel jahr vergeht
hockt es - das ist sicher - binnen
tausend jahr'n weit tiefer drinnen...
(1/18)
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die zeit ist tierisch wild auf raum
und deshalb fasst man sie auch kaum
sie räumt das feld im augenblick
legt weite wege bei zurück
und fliesst und strömt ohn’ unterlass
und weiß selbst kaum wozu all das...
„Die Zeit: ein spielendes Kind, Brettspiel spielend: ein Kind ist König.“
(αἰὼν παῖς ἐστι παίζων, πεσσεύων· παιδὸς ἡ βασιληίη.)
Heraklit, Fragment B 52
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TEMPUS FUGIT - ANNÄHERUNG AN DEN ZEITRAUM
Die Zeit, die wir haben, ist stets auf Entzug:
Sie kommet und gehet im flinkesten Flug -
aus Kommen und Gehen, dem steten Ge-Schichte,
entspringen Momente, sehr mittige, dichte,
aus denen sich füget die Spanne des Lebens,
du hältst sie nicht auf, das Bemüh´n ist vergebens.
Du möchtest oft sagen: Oh bleibe, verweile!
Doch Zeit und Momente, sie kennen nur Eile.
Aus diesem Ziehen, dem Ankommen, Schwinden,
entstehet der Zeit-Raum, wo wir uns befinden,
ein seltsamer Ort, aufgefaltet, wie Blüte,
der da sein uns läßt unterm Dach seiner Güte,
wo Dinge begegnen uns, reizvolle, viele,
und weniger schöne, in wechselndem Spiele.
Ein Raum, ein Gelaß, eine offene Stelle -
ankommt die Zeit und tritt über die Schwelle
und ist mit dem Eintritt auch gleich schon gegangen
in einen Bereich, in den wir nur gelangen,
weil wir uns erinnern und ihrer gedenken
und so unser Leben durch Zeitläufte lenken.
In diesen Fluß ausgesetzt, nicht nur davor,
sind Schwelle vielleicht wir, sind Angel und Tor
und holen uns wieder mit Andacht und Ahnen,
was kommt nur und geht auf so flüchtigen Bahnen.
Den Aufenthalt, den wir auf Erden geniessen,
ergeben Momente, die Flücht´gem entspriessen -
es bannet der Mensch sie ins Bild und ins Wort,
doch selbst sind im Nu sie entschwunden und fort,
so wie wir einst samt uns´ren Freuden und Leiden
dem bleibenden Zeit-Raum und -Zug auch ent-scheiden...
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DES SCHNITTERS ERNTEZEIT
Die Sichel saust durch sattes Grün,
kundig geführt von Schnitterhand,
und endet jäh duftendes Blüh’n
im weiten ernteschweren Land.
Die Ähre fällt, den Halm zerbricht’s
ohne ein Anzeichen von Schmerz
unter der Glut des Sonnenlichts -
ein Vogelpaar steigt himmelwärts.
Des Schnitters Schritte hüllt der Grund
in einen Wolkenhauch von Staub -
ein Lächeln spielt um seinen Mund,
ein schriller Schrei verklingt im Laub.
Das Reife reicht sich gern dem Schnitt -
die Fülle lastet schwer,
es hilft dem Sinken heiter mit,
denkt nicht an Gegenwehr!
Der Schnitter kennt die Zahl der Tage
und kommt der Welke nur zuvor,
er trifft auf keine wehe Klage -
im fernen Haus leuchtet ein Tor!...
(2004)
Hans Olde: Der Schnitter
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