Dein, Auf Ewig

Kurzgeschichte zum Thema Horror

von  Milta_Svartvis

Kalt ist der Griff des Todes um den Hals der Lebenden, heiß hingegen der Schmerz, der das Herz der Trauernden verbrennt. Rascher als das Herbstlaub verwelkte das Sein meiner Geliebten, und kein Arzt, kein Mittel und kein Gebet half gegen das Unvermeidliche. Woher sie die Krankheit hatte, wusste niemand. Dies schwarze Siechtum befiel sie wie ein Dieb im dichtesten Nebel und fesselte sie ans Bett um ihr allen Atem, jede Kraft und Freude zu rauben. Noch immer sehe ich ihr Lächeln im Moment des Todes, ein letztes Aufbegehren gegen Zerfall und Verderben, ein finaler Akt der Zärtlichkeit. Dann erschlaffte ihre Hand in meiner und war nur noch lebloses, bleiches Fleisch. Das letzte bisschen Licht wich aus ihren Augen und ließ stumpfe, reglose Perlen zurück.


Manch einer mag mich unvernünftig und morbide nennen. Doch ich konnte, ich wollte mich nicht von meiner Liebsten lösen. Statt ihr das konventionelle Begräbnis zuteil werden zu lassen, ließ ich sie kostspielig konservieren, um ihre Anmut und Schönheit nicht zu entehren, indem ich sie einfach dem Gewürm zum Bankett machte. Ich ertrug den Gedanken nicht, dass mir das Kostbarste einfach genommen werden sollte durch die starre Hand des Schnitters. Das Licht meines Lebens - einfach ausgeblasen auf Entscheid dessen, dem keiner auf Erden dafür den Prozess machen kann! So will ich sie wenigstens immer in meiner Nähe haben. Nun ruht sie im Fußboden unter unserem Ehebett. 


Sind meine Tage durch meinen Verlust ungewohnt grau und trist, sind meine Nächte geplagt von seltsamen Träumen. Im Dämmer - Zustand zwischen Schlaf und Wachen glaube ich, ein leises Klopfen zu hören. Je tiefer ich in Morpheus' Reich hinab gleite, um so deutlicher kann ich es hören. Wache ich am nächsten Morgen auf, fühle ich mich matt und erschöpft. Trotz ununterbrochenem Schlummer bin ich nicht ausgeruht, eher ausgelaugt. Alpträume, denke ich, und tue die Eindrücke des Schabens und Kratzens ab. Folgen der Trauer über meinen jüngst erlittenen Verlust, ein Nachtmahr, der die stillen Stunden heimsucht und meinen geschundenen Geist mit Schattentheatern und Illusionen quält.


Der ungewöhnlichen Müdigkeit begegne ich mit reichlich Wasser, Kaffee und Essen. Das gibt zumindest dem Leib wieder seine Kraft zurück. Aus dem Spiegel blickt mir ein von Schmerz und Sehnsucht gezeichnetes Gesicht entgegen. Die Zeit verbringe ich dieser Tage in unserer Wohnung, welche mir ohne meine Frau nur noch eine möblierte Gruft zu sein scheint. Stunde um Stunde, Träne um Träne verzehr ich mich nach ihr, starre ihr gerahmtes Porträt über dem Kamin an, während ich wie betäubt in die knisternden Flammen starre. Doch sind diese genauso warm wie die Gebeine unter meinem Bett.


Die einsetzenden Herbstnächte treiben mich früh ins Bett, wo ich lange Stunden im Schattenreich der Träume verbringe. In tiefer Versunkenheit höre ich erneut das Klopfen und Kratzen, diesmal näher, so als befände es sich direkt neben oder unter mir. Durch die schwarzen Mauern des Traums dringt ein schwaches Flüstern zu mir. Windgleich, flüchtig ist dies gespenstische Wispern und jedesmal verstummt es, bevor es Sinn ergibt. Stundenlang geht das so, bis kurz vorm Morgengrauen der ganze Humbug aufhört.
Erst am späten Vormittag erwache ich schlaff, ermüdet. Träge kreisen die Gedanken um das Erlebte, doch wagen sie nicht, auch absurdere Schlüsse zu ziehen. Träume, denke ich, nichts weiter mehr. Noch bleibe ich eine Weile so liegen, bis Notdurft und Hunger mich schließlich drängen, aufzustehen.


In der folgenden Nacht höre ich erneut das drängende Klopfen und Kratzen. Zu schwach um die Augen zu öffnen, spüre ich dennoch wie sich kalte Angst in meiner Brust ausbreitet.
Da! Wieder das Flüstern. Diesmal höre ich es ganz deutlich. Mein Name! Jemand ruft meinen Namen! Hämmert, kratzt, will offenbar nach draußen. Etwas zehrt von unten an meiner Lebenskraft.


Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, krank zu werden. Es ist keine normale nervliche Zerrüttung mehr, wie sie üblich ist bei Trauernden. Meine Beine fühlen sich an wie Blei. Jede Bewegung fällt so schwer, als befände ich mich unter Wasser. Mein Appetit ist kaum vorhanden, daher esse ich nur noch wenn ich wirklich Hunger habe. Mein Schlaf ist tief und fortdauernd, aber mit jeder Nacht scheinen die Träume immer intensiver zu werden. Die Geräusche kommen von unter dem Bett. Dessen bin ich mir ganz sicher. Das Flüstern, das aus dem Reich des Unterbewussten auf unsichtbaren Schwingen über den Äther der Träume zu mir kommt. Das verzweifelte Kratzen und Klopfen wie von einem Gefangenen.


Nach einer weiteren Nacht dieser Art begebe ich mich zum Doktor. Doch dieser kann nichts ungewöhnliches finden. Er macht jedoch einige sehr besorgte Bemerkungen angesichts meines ausgezehrten Zustands und meines eingefallenen, farblosen Gesichts. Jeder verkrafte den Tod geliebter Menschen anders, sagt er und versichert mir, dass dies vorübergehen werde. Von dem, was im Boden unter meinem Bett liegt, verrate ich ihm freilich nichts. Er verschreibt mir einige Arzneien, die meine Nerven entspannen sollen und empfiehlt mir einige Umstellungen meiner Ernährung. Sollte sich nichts ändern, soll ich ihn erneut aufsuchen.


Meine unerklärliche Erschöpfung scheint mit meinen Träumen und meinem Kummer zusammen zu hängen. Je intensiver meine Träume sind, umso müder und kraftloser bin ich am nächsten Tag, nur um noch intensivere Träume zu haben. In einer Art morbider, spöttischer Synchronizität kratzt das nächtliche Schaben nicht nur an der Unterseite des Fußbodens und an meinen Nerven, sondern auch an meinem Glauben, es handle sich nur um Träume. Etwas scheint an mir zu saugen und mir nach und nach alle Kraft zu nehmen. Die Stimme ruft mich wieder, fleht mich unablässig an, sie raus zu lassen. Ich kenne die Stimme. Aber die Lippen, denen sie entweicht, sind längst auf ewig versiegelt.

Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Meine Tage verbringe ich nur noch im Bett oder in meinem Sessel vor dem Kamin. Ich entfache dort kein Feuer mehr. Nicht nur, dass ich sonderbarerweise keine Wärme mehr empfinde - das Feuer tut mir in den Augen weh. Mein Denken kreist um meine Frau. So hat es bei ihr auch angefangen. Keiner der Ärzte konnte ihr helfen oder uns sagen was ihr fehlt. Großer Gott. Ich sterbe. Dessen bin ich mir sicher.
Eigentlich müsste ich ob dieser Einsicht sofort meinen Arzt verständigen. Habe jedoch beschlossen, es eilt noch nicht.


Zu meiner einzige Mahlzeit am Tag muss ich mich mittlerweile zwingen. Meine Glieder schmerzen. Alles tut weh. Mein Kopf pocht.
Um mich nicht unnötig zur Toilette schleppen zu müssen, verrichte ich alles weitere auf dem Nachttopf. Den Rest der Zeit verbringe ich im Bett, die zugezogenen Vorhänge halten das  Licht draußen. Dösend. Traumlos. Doch sobald es dunkel ist, beginnt das Kratzen und Flüstern. Und das Gefühl, gewaltsam meiner Energie beraubt zu werden. Ich sollte mich wehren, müsste ins Krankenhaus - aber irgendetwas in mir will nicht.

Das Scheuern und Kratzen wird lauter. Etwas zerbricht, kracht, reißt auseinander. Ist es  Traum? Ist es Wirklichkeit? Immer mehr zweifle ich an meinem Verstand. Ich wage es nicht,  Außenstehende in meine Lage einzuweihen.
Etwas sagt mir, es ist nicht so schlimm. Es muss also niemand erfahren. Bleib einfach liegen. Lass es geschehen. Dich auffressen. Auszehren. Aussaugen.


Meine Augenlider sind bleischwer, als ich sie öffne. Dünne Strahlen blassen, braunen Lichts  stehlen sich durch Lücken in den dicken Vorhängen. Ein ekelhafter, fauliger Gestank hängt wie dichter Nebel im Zimmer. Ich würge. Vergeblich kämpfe ich dagegen an, mich zu übergeben. Das meiste landet im eilig herbei gezogenen Nachttopf. Als ich mich beruhige, fällt mein Blick auf etwas, das auf dem Boden liegt. Mühsam und unter Aufgebot meiner letzten Kräfte richte ich mich auf und beuge mich vor. Sofort weiche ich zurück und ziehe die Bettdecke über den Kopf. Zum Schreien bin ich einfach zu schwach. Holzstücke. Splitter. Kaputte Teile einer der Dielen. Die Weise wie sie auf dem Boden verteilt liegen lassen für mich nur einen Schluss zu. Sie sind von innen mit Gewalt aufgebrochen worden. Trotz des spärlichen Lichts weisen einige deutliche Kratzspuren auf.

Irgendwann gegen Nachmittag schaffe ich es, mich aus meiner Starre zu lösen. Mühsam schleppe ich mich zum Fenster und lasse frische Luft hinein. Doch das Licht des goldenen Oktobers beschert mir heftiges Kopfweh, also lass ich das Fenster mit vorgezogenen Vorhängen auf, bis der faulige Dunst verschwunden ist. Es dauert Minuten bis ich endlich auf Knien hockend unter mein Bett sehen kann. Oh, Gott! Ein Loch im Fußboden. Genau dort wo ich die Liebe meines Lebens zur Ruhe gelegt habe. Sei es die physische Entkräftung oder die schiere Angst - ich falle in Ohnmacht und erwache erst Stunden später.


Vor ein paar Minuten haben die Geräusche und das Schwinden meiner Kraft angefangen. Ich spüre, wie das Ende kommt. Die Dunkelheit kriecht näher und näher, wie ein Raubtier auf Beutesuche. Ich bin unfähig mich zu bewegen und liege wie gelähmt auf dem Bett. Die Schatten werden länger und verschmelzen mit der Finsternis zu undeutlichen Schemen, bevor sie von ihr verschluckt werden wie von einer monströsen, unersättlichen Kreatur. Sie ruft nach mir. Ihre Stimme ist deutlich zu hören, heiser, lauter und klarer als je zuvor. Erschöpfung und Lebensüberdruss breiten sich wie schwere Decken auf mir aus und lassen meinen Geist im Erinnerungen, Gedanken und Ängsten ertrinken.

Als ich ein letztes Mal erwache, breche ich einen Schwall brennender Säure aus. Der Gestank von verfaultem Fleisch ist unglaublich und allgegenwärtig. Alles tut mir weh. Und alles ist mir gleich. Das atmen fällt mir schwer.  Ist es Einbildung oder real? Im lichtlosen, pechschwarzen Raum zeichnet sich eine vertraute Silhouette ab. Das Gesicht ist nicht erkennbar - dennoch! "Ich weiß, wer du bist... ", flüstere ich. Das Ding antwortet nicht. Bin zu schwach, mich zu wehren. Ich will mich nicht wehren. Sanft greift sie meinen Hals als sie sich vorbeugt. Die Haut ist kalt, rauh und sehr weich, so als könnte sich das Fleisch jederzeit davon ablösen. Zuerst drückt sie nur leicht zu, dann immer fester. Kurz vorm Ende kommt mir ein letzter, etwas absurder Gedanke : - Warum atmet sie eigentlich, wenn sie längst tot ist?
Es ist egal. Ich will meine Arme nach ihr ausstrecken, doch hat mich an diesem Punkt jede Kraft verlassen. Mach mit mir, was du willst. Ich bin dein, für immer. Als sie immer fester zudrückt und mir die Luft wegbleibt, höre ich ihre leise, von Verwesung der Stimmbänder gezeichnete Stimme. Nur ein Wort.
"Liebster".










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