Die Krankenpflegerin

Text zum Thema Krankenhaus

von  tulpenrot

Heute hatte sie zum ersten Mal Dienst in unserem Krankenzimmer bei uns beiden alten Patientinnen.

Ich musste sie immer wieder angucken. Sie war so bewundernswert hübsch mit ihrer dunklen samtigen Haut, in ihrer Zartgliedrigkeit. Groß gewachsen war sie. Etwa 35 Jahre alt. Und sie hatte sehr lange, schwarze, lockige Haare. Bis über die Taille, als Pferdeschwanz locker zusammengebunden. Insgesamt also eine überaus attraktive Schönheit. Anscheinend war sie wohl für meine Bettnachbarin besonders zuständig. Denn diese war eine schwierige Patientin.

Innerlich zerrissen erschien sie mir, sie konnte keine Ruhe finden, räumte und kramte überall herum und machte nur noch mehr Unordnung im Zimmer. Oftmals ließ sie das Krankenhaus-Essen unberührt zurückgehen und ging stattdessen zum Krankenhaus-Kiosk, um sich Pommes frites mit Ketchup und eine „Rote“ geben zu lassen. Das verspeiste sie dann am Nachmittag im Krankenzimmer. Und für den Kaffee brachte sie sich eine Sahnetorte mit, die sie aber gar nicht aufessen konnte. Das Übriggebliebene ließ sie im Abfallbehälter verschwinden. Jetzt ginge es ihr besser, behauptete sie mir gegenüber.

Immer wieder betonte sie in ihren Handygesprächen, die ich notgedrungen mithören musste, ins falsche Krankenhaus eingewiesen worden zu sein, jedenfalls sei sie nicht da, wo sie ihrer Meinung nach hingehörte. Mit all dem überschüttete sie jetzt auch die neue Pflegerin. Die hörte sich still und geduldig an, was aus der Patientin ungefiltert heraussprudelte, diese ganze quälende Unzufriedenheit. Dies wollte sie nicht und jenes auch nicht. Alle schon hundertmal wiederholten Sätze kramte sie hervor. Die Pflegerin stand lange schweigend an ihrem Bett.

Und dann setzte sie sich unvermittelt neben die Patientin auf den Bettrand und sagte einfach:

„Ich bin selber unheilbar krank.“

Und nach einer kurzen Pause: „ Bis vor kurzem hatte ich keine Haare mehr.“

Mehr sagte sie nicht.

Kein Gejammere, kein wehleidiger Unterton, nur die Information „Ich bin unheilbar krank und hatte keine Haare mehr.“ Und arbeite trotzdem hier und bin bei Ihnen, ergänzte ich in Gedanken als stille Beobachterin. Welch ein Gegensatz!

Sie legte der Patientin ihren Arm um die Schulter, führte im Gegenzug den Arm der Patientin um ihre eigene Taille, hielt sie fest, stand mit ihr vom Bettrand auf – und so umschlungen gingen sie zur Tür, aus dem Krankenzimmer hinaus auf den Flur. Wohl zur Körperwaage. Das Ganze ohne weitere Worte. Die Patientin ging anstandslos und wortlos mit. Ihr Wortschwall war versiegt. Nur Stille.

Nur verständnisvolle Nähe, entschlossenes Tun. Gutes Tun. Ohne Erklärung, aber mit unmissverständlicher Klarheit.

Mir ist das sehr lange nachgegangen.



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Kommentare zu diesem Text


 diestelzie (09.09.24, 17:38)
Mich berührt dein Text gleich doppelt. Einmal ist es natürlich der Beruf und die geschilderte Unzufriedenheit der Patientin, die ich so oder ähnlich auch kenne. Das ist tatsächlich sehr authentisch geschrieben, außerdem - und das ist das Schöne - beschreibst du die Frau ohne jede Wertung.
Zum Anderen geht es mir tatsächlich um die Haare der Pflegerin. Haare sind für viele Frauen etwas womit sie sich identifizieren, sie machen ihre Persönlichkeit aus. Die langen schwarzen Haare sind ein wichtiger Teil der jungen Frau und es berührt total, zu erfahren, dass sie eine Zeit lang auf diesen verzichten musste. Ich denke hier an Chemotherapie und aufgrund des Alters glaube ich zu wissen, in welchem Zusammenhang.
Vor etwas mehr als einem Jahr bekam  meine Tochter ihre Schockdiagnose "Krebs", musste die ganze Tortour aus Chemo, Operation und Bestrahlung über sich ergehen lassen und verlor dadurch auch ihre Haare. Sie waren blond, lang und ein Teil von ihr. Auch deswegen berührt mich dieser Text persönlich sehr und weil ich inzwischen weiß, dass von "Heilung" nach einer so schweren Erkrankung erst nach Jahren, wenn überhaupt, gesprochen werden kann.

Liebe Grüße,
Kerstin

 tulpenrot meinte dazu am 09.09.24 um 18:32:
Hallo Kerstin,
danke für deinen ausführlichen Kommentar. 
Es ist sehr bewegend von deiner Tochter zu hören. Mit so einer Krankheit fertig zu werden, dauert lange - nicht nur körperlich, auch seelisch. Besonders, wenn man noch jung ist, denke ich. Ich denke aber auch, dass die ganze Familie mit betroffen ist. Die leidet ja mit. Von daher habt ihr mein ganzes Mitgefühl.
Ich wünsche ihr und auch dir als ihre Mutter, dass deine Tochter den Krebs endgültig los wird, dass die Behandlungen auch langfristig  fruchten.
Ich glaube, dass man nach solchen Dürrestrecken im Leben dankbarer wird für die Lebenszeit, die man hatte und die noch vor einem liegt. Da zählt jeder Tag.
Die ausgefallenen Haare sind das geringste Übel dabei - sie wachsen ja zum Glück wieder. 

Viele Grüße
Angelika
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