minus 675 grad

Prosagedicht

von  Redux

Vor zwei Jahren sagte mir meine Frau, sie hätte sich entliebt.

 

Das klang nach dreißig Jahren, die liebestechnisch mir unantastbar waren, wie ein großer

 

Traum.

 

Wie nicht von dieser Welt.

Wie ein Witz.

Wie minus 675 Grad Celsius.

Wie das persönliche Armageddon.

Wie der Gedanke: ja, einmal im Leben ist der Punkt da, an dem man nicht tiefer fallen kann.

Und es ging noch einige Meter abwärts.

( Als Mann, der immer stets weinerlicher leidet als die Frau, darf ich das behaupten.)

 

Entliebt klang wie

 

Entsorgt.

Endgültig.

Endzeit.

Entledigt.

Entglorifiziert.

Entzaubert.

Entschieden.

Entkernt ( wie eine faule Kirsche).

 

Dass so etwas passieren konnte, auch war ich wohl ziemlich blind, war irreal.

 

Phantastisch.

Unwahrscheinlich.

Grotesk.

Kafkaesk.

Horror.

 

Eher hätte ich damit gerechnet, dass sie das Internet abschaffen würden.

Eine Päpstin in Rom regiert.

Raider statt Twix wiederkommt.

Dass alle Werbespots – alle- auf den Index kämen.

Dass ich wieder mit dem Rauchen anfange ( tatsächlich passierte es wenig später)

Dass alles Hokuspokus war, dass Menschen nie den Mond betraten, dass die Titanic tatsächlich New York erreichte, und zwar zwanzig Minuten füher, als sie im Nordatlantik sank, dass Hitler noch bis 1964 lebte, und zwar in einem VW-Werk in Buenos Aires als Abteilungsleiter, dass sie Wasser als Treibstoff einsetzen können, dass mir wieder volles Haar wie mit zwanzig sprießen würde, dass das verschollene Kirchenbuch, das wie eine Felswand meine  sämtlichen Forschungen unmöglich macht, tatsächlich in der untersten Lade meines Nachttischs lagert,

 

dass Papa wiederkommt, achtzehnJahre nach seinem Tod, um alles ins Reine zu bringen, das spektakulärste Comeback seit Lazarus.

 

Wenn sich nur einer entliebt, Leute, ein dickes dickes Brett.

 



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Kommentare zu diesem Text


 Oops (06.10.24, 10:11)
Ja das ist es. 
Schön von der Seele geschrieben mit süssbitterem Humor versehen. 
😎LG Oops

 AchterZwerg (06.10.24, 10:38)
Klar,
gemeinsames Entlieben käme besser.

Aber wer weiß, ob du dich als Dichter dann so weiterentwickelt hättest, wie du es hast ... oder das LyrIch

Kopphoch :)

 Tula (06.10.24, 10:51)
Moin Redux
Ich vermute, sowohl das Verlieben als auch Entlieben sind dem Spiel der Hormone unterworfen. Da kannst du noch so lieb zu ihr sein ... Die Tragik fasst der letzte Vers ja treffend zusammen: wehe dem, den es dabei als zweiten trifft.

LG Tula

 diestelzie (06.10.24, 10:52)
Eiskalt erwischt, würde ich sagen.

Du hast dieses traurige Thema sehr gut in Form gebracht. Für mich ist es tatsächlich genau das, was deinen Text ausmacht. Eine rundum gelungene Sache.

Liebe Grüße
Kerstin
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