Lilo und die Welt der Menschen

Märchen zum Thema Toleranz/ Intoleranz

von  diestelzie

Die Fee Lilo hatte wahrlich schon viel erlebt in ihrem langen Leben. Immerhin war sie schon 623 Jahre, 7 Monate, 2 Wochen, 13 Tage und einige Stunden, Minuten und Sekunden auf der Welt. Ja, so ganz jung war Lilo nicht mehr. Genaugenommen war sie schon ein bisschen alt. Und weil sie schon ein bisschen alt war, hat sie auch schon viel erlebt. Sehr viel sogar. Und doch kam es immer wieder vor, dass sie über manche Dinge schmunzelte oder ungläubig mit dem Kopf schüttelte. So wie auch jetzt.


Schuld daran war dieses Buch. Es kam von der anderen Seite. Dort gab es viele Bücher und ihre Besitzer hielten sich für sehr klug. Lilo lächelte, als sie an diese seltsamen Wesen dachte, die sich selbst Menschen nannten.


Jedenfalls war es eines Tages einfach da, dieses Buch. Keiner wußte, woher es kam und warum es ausgerechnet in Lilos gemütlicher kleinen Feenstube lag. Es war eine Geschichte, die der alten Fee nicht unbekannt war. Es war die Geschichte von Robin Hood, dem edlen Räuber, dem Helden von Sherwood. Er nahm den Reichen und gab den Armen. Seine wohl einzige Schwachstelle war Lady Marian, und das kann Lilo bis heute sehr gut verstehen. Lady Marian war wirklich eine außergewöhnlich schöne Frau.

Neugierig schaut die Fee nun auf das Buch. Feen müssen nicht lesen, Feen brauchen nur ihre rechte Hand auf den Buchrücken zu legen, um zum Inhalt zu gelangen.

Nanu? Verwundert schaut Lilo auf ihre Hand. Irgendetwas stimmt hier nicht. An ihrer Hand lag das allerdings nicht. Die sah genauso aus wie immer.

Die Geschichte stimmte auch und doch war etwas anders. Lilo wusste noch nicht, was es war und verfolgte aufmerksam die Abenteuer des Robin Hood. Doch halt!! Genau das war es!! Es war nicht DER Robin, es war DIE Robin! Jemand hatte den Text so umgeschrieben, dass Robin eine Frau war! Warum macht man denn sowas? fragte sich die alte Fee stirnrunzelnd.


In diesem Moment ging die Tür des Feenhauses auf und Gwendolin betrat schwungvoll die kleine Feenstube. Gwendolin war wie ein kleiner Wirbelsturm in Lilos Leben gerauscht, und Lilo liebt diese quirlige Fee heute noch genauso wie vor 300 Jahren.

Aufgeregt erzählte Lilo ihr von diesem seltsamen Buch.

Gwendolin lachte laut auf und sagte:

"Das ist typisch für die Menschen. Sie müssen sich manchmal besonders tolerant zeigen und tun mit bestem Gewissen genau das Falsche." 

"Es geht um Toleranz? Wieso?"

"Der Mensch beginnt gerade erst zu begreifen, dass Liebe nicht beeinflussbar ist und akzeptiert seit kurzer Zeit die Liebe zwischen Mann und Mann oder eben Frau und Frau. Allerdings scheint der Weg vom Kopf bis zum Herzen bei sehr vielen Menschen sehr weit zu sein, und deswegen wird es noch einige Feenjahre dauern, bis das wirklich angekommen ist."

Lilo überlegte kurz.

"Meinst du, die bekommen das hin?"

"Mit ein bisschen Feenzauber sicherlich."




Anmerkung von diestelzie:

Es gab tatsächlich die Überlegung der Schauspieler eines kleinen Theaters, Robin Hood als Frau auftreten zu lassen. Diese wurde wieder verworfen, "weil man sich auch anders tolerant zeigen kann". Ich habe mir das Stück gemeinsam mit meinen Enkeln angeschaut. Die Geschlechter waren dennoch nicht eindeutig zuzuordnen, was wiederum nur mir aufgefallen war. Die neue Generation stört sich also nicht daran und das ist gut so.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (09.12.24, 08:55)
Sehr schön! 
Liebe Weihnachtsgrüße
von Llu ♥

 AchterZwerg meinte dazu am 09.12.24 um 09:12:
Dem schließe ich mich vorbehaltlos an! :)

 diestelzie antwortete darauf am 09.12.24 um 10:28:
Das freut mich sehr :) .

Danke euch beiden.
Liebe Grüße
Kerstin

 Saira (09.12.24, 17:54)
Liebe Kerstin,

eine sehr schöne Weihnachtsgeschichte mit einer wichtigen Botschaft.

<3 lichst
Sigi

 diestelzie schrieb daraufhin am 10.12.24 um 08:59:
Danke liebe Sigi. Freut mich sehr.

<3 liche Grüße zurück

 Moja (09.12.24, 18:24)
Gefällt mir auch, liebe Stelzie!  8-)
<3  Viele Grüße, Moja

 diestelzie äußerte darauf am 10.12.24 um 09:00:
Danke du Liebe <3 .

 FrankReich (11.12.24, 18:30)
Wahrscheinlich hängt die Toleranz gegenüber allen Arten der Liebe von der Selbstzufriedenheit, der eigenen Reflektionsfähigkeit und den Erfahrungen ab, die bisher damit gemacht wurden:

https://www.rituals.com/de-de/mag-spirituality-different-types-of-love.html
 
Wie tolerant der Einzelne mit der Liebe anderer untereinander umzugehen versteht, ist einerseits seinem Selbstverständnis und seiner Erziehung geschuldet, andererseits aber auch dem Umstand, welcher Standpunkt ihm in Beziehungen zugebilligt wird, bzw. welchen er einzunehmen in der Lage ist. 
Bspw. wird ein heterosexueller Mann kein Verständnis für eine lesbisch veranlagte Frau empfinden, die ihn mit unmoralischen Mitteln als Konkurrenten um beider Liebe zu einer Frau unschädlich zu machen versucht. 🤔
Das Thema "Toleranz" lässt sich daher sicherlich weder durch eine Fabel, Parabel oder andere Kurztexte dieser Form erschöpfend und schon gar nicht nur allein auf Liebe bezogen behandeln und ich schätze sowieso, dass es noch lange ein Problem der Menschheit darstellen wird, denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Ciao, Frank

P. S.: Auch halte ich es für einen Trugschluss, dass Liebe nicht beeinflussbar sei, einen derartig gefestigten Charakter besitzen nur die wenigsten, dabei geht es dann auch wieder um Selbst- und Fremdwahrnehmung; und wie und ob sich das alles regelt, sei dahingestellt, aber eine Selbsterkenntnis hat mir Dein Märchen dann doch vermittelt: Zur Fee wäre ich denkbar ungeeignet. 👋😂

Kommentar geändert am 11.12.2024 um 18:34 Uhr

 diestelzie ergänzte dazu am 12.12.24 um 08:04:
Über die Liebe ist so viel geschrieben und diskutiert worden, wie wohl über kein anderes Thema und das zeigt doch, dass der Mensch als solcher sich damit sehr sehr schwer tut. Warum eigentlich? Es ist schwierig und sollte doch so einfach sein. Im Grunde ist es das auch. Aber wahrscheinlich nur, wenn mann Kopf und Bauch (oder Herz) trennt und den Kopf dabei außen vor lässt. Liebe ist nix anderes als ein Gefühl. Das dürfen wir zulassen, egal was "die Anderen" dazu meinen. Tun wir das nicht, sind wir irgendwann nicht mehr in der Lage zu fühlen. Keine Liebe, kein Hass, keine Freude, keine Traurigkeit... Wir schauen zu sehr auf "die Anderen" und das ist nicht gut.

Der Text an sich hat eigentlich aber meine Überlegung zum Inhalt in Richtung: Ist es sinnvoll, alte Geschichten zu verändern? Ich denke "nein". Und: Kann man heute Märchen für Kinder schreiben in denen sich nicht zwangsläufig Prinz und Prinzessin lieben, sondern eben auch Prinz und Prinz oder Prinzessin und Prinzessin? Ich denke "ja". Es mag sich für unsere Generation seltsam anfühlen, doch die Kinder sind sowieso toleranter und wachsen anders auf. Gleichgeschlechtliche Beziehungen zum gesellschaftsfähigem Thema zu machen fängt bei den Kindern an (Bei uns Alten ist da eh Hopfen und Malz verloren 8-) ).

Ganz lieben Dank für deinen Kommentar und dem Link zum unerschöpflichem Thema Liebe und natürlich auch fürs Empfehlen :) .

Liebe Grüße
Kerstin

 Teo (13.12.24, 08:03)
Hi Kerstin,
das ist richtig nett.
Ich hatte übrigens eine Tante Lilo. Sie nannte ich immer Lilofee.
Schöne Adventszeit 
Teo

 diestelzie meinte dazu am 14.12.24 um 05:01:
Hallo Teo,
das war sicher eine ganz zauberhafte Tante 😊.

<3 lichen Dank und liebe Adventsgrüße.
Kerstin
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