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Im Marriotts

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von  Quoth

Der Blick geht in den Park hinaus, die Blutbuche und die Eschen sind kahl, meine Tochter wird auf die Palliativstation verlegt, während Romy noch in der KiTa ist, und wird wohl, vollgepumpt mit Morphium und Kortison, noch eine Weile am Abgrund entlang tänzeln. Ich aber klammere mich weiter an meine Erinnerungen, um dem Schwindel zu entgehen, der mich beim Blick hinab befällt.

In einer Duftwolke aus Chanel, Schweiß und Patschuli schwebten herein: Der saure Engel Irm Hermann, die elegante Ingrid Caven, der geschmeidige Boy Gobert und der mit dem Hut, nein, nicht Beuys, sondern Fassbinder und sein ganzer Clan. Sie reagierten mit Schweigen oder verächtlich-erstaunten Blickwechseln auf die Fragen der im rotbestuhlten Saal versammelten Presse, die sich vor allem dafür interessierte, ob die Darsteller und Künstler von dem Skandal nicht wenigstens ein bisschen berührt wären, denn die israelische Delegation war unter Protest abgereist. Ob der Film von Daniel Schmid nicht doch reichlich équivoque, wenn nicht gar explicitement antisémitique gewesen sei … So viel Naivität entlockte Rainer Werner nur ein verächtliches Grinsen, er zog hurtig eine Linie auf – und dann waren sie schon alle wieder weg, wir waren an der Reihe, Tommy, ich und unser Hauptdarsteller, zwar nahmen wir am Wettbewerb nicht teil, sondern waren nur von der semaine de la critique eingeladen, aber eine Pressekonferenz mussten wir geben, auch wenn ein Großteil der Journalisten zusammen mit der Fassbinder-Wolke den Saal verließ.

Norma hatte mich geheiratet, wir waren nach Köln gezogen, wo sie eine Stelle als Restauratorin am Wallraf-Richartz-Museum gefunden hatte. Tommy und ich hatten nach meiner Idee ein Drehbuch geschrieben, das freilich weder beim Fernsehen noch bei der Filmförderung auf Gegenliebe stieß. „Na, das war’s dann wohl!“, sagte ich – aber dann hatte Tommy noch ein paar geerbte Goldbergwerksaktien im Portefeuille, die verkauften sich gut, im Nullkommanichts hatten wir mit François Simon einen perfekten Hauptdarsteller und mit Renato Berta einen hervorragenden Kameramann, der Film wurde in der Schweiz scheel angesehen, aber er lief gut in arthouse-Kinos wie dem Tuschinsky in Amsterdam, der Kritik im Ausland gefiel er und räumte in Mannheim den nur dies eine Mal vergebenen Josef-von-Sternberg-Preis ab, die Aureole von Marlene Dietrich schimmerte von ferne, und die Eidgenossen hatten ein Einsehen und akzeptierten den Film jetzt auch.

Nun war es ein Leichtes, eine Finanzierung aufzubauen, das ZDF stieg mit einem kleinen sechsstelligen Beitrag auf unser Drehbuch nach einem Roman von Robert Walser ein, Tommys Vater bürgte für den Rest, unser zweiter Film kam zustande, und für den waren wir nun im Marriotts in Cannes und kamen uns im Vergleich zur Fassbinder-Kamarilla reichlich hausbacken vor, als Svizzerotti, zumal die Presse kaum Fragen an uns hatte, uns Komplimente machte, aber unser Werk war leider weit davon entfernt, einen Skandal auszulösen.

Jetzt ist Romylein, meine Enkelin in Köln, aus der KiTa zurück und baut aus Duplosteinen eine Stadt, die manchmal aber auch ein Stall ist, in den sie Pferdchen oder Dinos stellt, und vielleicht setzt sie sich auch den spitzen Hut auf, schwingt das Zauberband, verwandelt ihre bekümmerte Großmutter in ein Schaf und ist erst zufrieden, wenn es blökt.



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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (11.12.24, 15:40)
Spannend! 
Ich hoffe sehr, du erzählst noch ein wenig über die Enkelin des "Unberühmten" und über seine Filme!
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