Am liebsten schreibe ich einen Text und gucke ihn nur an, um ihn vorzulesen. Aber selbstverständlich schleichen sich im Eifer des Schreibens Fehler ein. Die teilweise keine Rechtschreibüberprüfung entdeckt: ... da stand die plötzlich vor mir – sollte heißen: da stand sie ...
Mein Hauptproblem ist jedoch, daß ich immer wieder mit den Gedanken abschweife: lese ich, warum ich zur Armee oder jemand zur Stasi gegangen ist, frage ich mich, wie sich deutsche Soldaten fühlen, da wieder ein Krieg gegen Rußland geplant wird. Oder wie sich Polizisten fühlen, die während Corona auf Bürger einschlugen und jetzt erkennen, daß sie Proteste gegen die Maßnahmen gerechtfertigt waren.
Ein Grund, warum ich von der Armee gegangen bin, war, daß ich immer wieder Befehle ausführen mußte, die ich nicht ausführen wollte: ich wollte keine Soldaten mehr bestrafen, obwohl sie für die Situation nichts konnten, ihr ausgeliefert waren, keine Chance hatten.
Moment, ich dachte, du warst Staatsfeind und bist deshalb in Unehren entlassen worden.
Nun ja, das ist die offizielle Version. Tatsächlich aber ...
Erzähl es nicht, Andreas.
Warum nicht? Die DDR gibt es schon viele Jahre nicht mehr.
Niemand soll wissen, was wir wirklich können.
Ach, leck mich, ich bin stolz auf die Aktion und will sie endlich erzählen.
Bitte, erzähle nicht.
Tja, das schwächste Glied der Kette bestimmt. Mir gefällt das nicht. Ich habe keine Lust mehr, auf diese kleinen Plagegeister Rücksicht zu nehmen. Ich soll nur noch warten, bis ich Rente bekommen, sagen sie leise. Hab ich euch wieder vertrieben, ihr Heulsusen? Ihr geht mir so auf die Eier, das könnt ihr euch nicht vorstellen! War eigentlich klar, daß ich sie aufschrecken, wenn ich am Text "Ossigrafie" arbeite. Hatte schon beim Lesen so ein Gefühl. Plötzlich muß ich wieder Software kaufen, damit ich endlich mein Buch schreiben kann. Und dann noch blöde Software, die es nötig hat zu werben mit: "Noch nie hast du dich beim Schreiben erfolgreicher gefühlt." Dafür legt man doch gern 349 Euro für die Vollversion oder 149 Euro für das Update hin.
Zum Glück halten die Entwickler ihr Versprechen nicht: eine ordentliche Buch-Veröffentlichung direkt aus der Software, ohne Layout-Programm ist immer noch nicht möglich, sonst hätte ich kein Argument, das die Kleinen überzeugt.
Aber letztendlich werde ich mich beugen müssen und kann bestimmte Erlebnisse immer noch nicht erzählen.
Nicht nur das: ich muß auch "ausgewogener" berichten: nur weil ein Polizist friedliche Bürger verprügelt, ist er kein schlechter Mensch.
Außer er ist Russe. Das ist klar. Aber ein Deutscher ist Demokrat, und da muß und darf man hin und wieder auch einer Oma die zweiten Zähne ausschlagen, damit sie endlich einen Grund für die dritten hat. Ist ja für alle eine gute Sache. Und auch der Prothetiker freut sich.
Ich könnte ausrasten ... hoch zum Russen gehen und den richtig eine in die Fresse haun, damit er sich ins Schlafzimmer unterm Dach verzieht zum Ausheulen und nicht 24 Stunden am Tag russisches TV so laut aufdreht, daß der Führer sich im Grab umdreht ...
Andreas, reg dich nicht so auf, denk an dein Herz, nimm doch einen Betablocker. So schlimm ist es doch nicht, hin und wieder mal Software zu kaufen, die wir nicht brauchen. Denkt mal an die Kollegen, die laufend neue Bücher kaufen müssen, obwohl sie schon ... Oder ein Klavier, obwohl sie eigentlich ...
Ja, stimmt. Und weder ihr noch ich können etwas dafür, daß Mutter einen dummen, jähzornigen Kinderschänder geheiratet hat, der ...
Der nichts dafür konnte, daß wir mit zehn schon intelligenter waren als er.
Ich wette, auch unserer Lieblingshund war intelligenter als dieser Schönling. – Aber warum soll ich alles erst erzählen, wenn ich Rentner bin?
Da kommst du allein drauf, Andreas.