De egestione

Essay

von  Quoth

Oft schon nahm ich mir vor, über Lust und Last des Kackens zu schreiben. Aber falsche Scham hielt mich davon ab, die Reinlichkeitserziehung meiner Mutter war allzu erfolgreich. Was gibt es Schöneres als eine Kackwurst, die in nicht enden wollender Fülle den Darm verlässt und laut plumpsend ins wartende Wasser fällt? Das triumphale Gefühl dabei gab mir den Spruch ein: „Ausmarsch der Gladiatoren ...“ Wobei Marsch sich kaum zufällig auf Arsch reimen dürfte. Und warum Gladiatoren? Ich weiß es nicht. Im Zusammenhang mit den körperlichen Grundfunktionen ist manches rätselhaft – vielleicht wollte ich mich als Caesar fühlen …

Mit nichts beginnt ja ein Tag mehrversprechend als mit einem erfolgreichen und befriedigenden Stuhlgang! Die Morgentasse Kaffee hat nur die Aufgabe, ihn herbeizuführen, denn das Koffein ermuntert die Peristaltik. Und nichts ist frustrierender, als auf der Brille zu hocken und vergeblich auf eine Kacke zu warten, die sich störrisch im Darm festklammert. „Ich habe gar keine Öffnung!“ rief in dieser vertrackten Situation mein Großvater seiner Frau zu, wenn diese beunruhigt fragte, was er so lange im Klo treibe oder auch, mit ironischem Unterton, ob sie ihn heute noch mal wiedersehe.

Nach Tagen ausbleibender Verdauung hat sich oft ein geradezu versteinerter Fäzes gebildet, dessen Ausmarsch den Schließmuskel fast zu zerreißen droht, hämorrhoidaler Schmerz durchzuckt dann den Scheißenden, aber er wird belohnt dadurch, dass das Klo den Gewaltsbrocken nicht zu schlucken vermag und verstopft ist, wenn man mit der Bürste nicht nachschiebt.

Enzensberger hat der Scheiße eins seiner schönsten Gedichte gewidmet, in dem es u.a. heißt:

Seht nur, wie sanft und bescheiden
sie unter uns Platz nimmt!

Das Gedicht stammt offenbar noch aus der Zeit, als die Toiletten anders gebaut waren: Das Gemachte platschte nicht spritzend ins Wasser, sondern wurde auf einem speziellen Absatz, ja, Sockel liebevoll platziert, auf dem man seinen Anblick gründlich genießen konnte. Natürlich verströmte es hier seinen natürlichen Duft, den angewidert Gestank zu nennen wir von Kind auf gelernt haben. Ich genieße es offen gestanden, auf ein solches altmodisches Klo zu gehen, weil ich es schade finde, wenn mir der Anblick meines Werks so abrupt entzogen wird. Und ist es nicht oft auch wichtig, Größe, Konsistenz und Farbe des ausgeschiedenen Haufens zu analysieren? Es kann von medizinischer Bedeutung, ja lebenswichtig sein, dass man dies Verachtete gebührend würdigt! So können Parasiten, z.B. Spul-, Faden- oder gar Bandwürmer sich in unserem Darm eingenistet haben und dann stückweise oder in voller Länge ausgeschieden werden, worüber informiert zu sein keinesfalls schaden kann. Ich rede gar nicht von Durchfällen, von Eindunkelung durch Blut und anderen Abweichungen vom Normalen.

Die Begutachtung der eigenen Ausscheidungen ist enorm wichtig und wird von Medizinern aller Kulturen und Zeitalter geübt, und es hat sich sogar in letzter Zeit eine neue Hochachtung vorm Kot entwickelt, seit bekannt ist, dass derjenige eines Ausscheiders mit gesunder Darmflora, in den Darm eines mit kranker überführt, diesem Heilung verschaffen kann. Die Stadt Basel plant die Errichtung eines Brunnens, der in stark vergrößerter Form und in Bronze nicht etwa Löwen, Pferde, Stiere oder Adler – sondern die Darmbakterien feiert, die uns am Leben halten, weshalb wir sie durch reichlichen Verzehr von Ballaststoffen erquicken sollten.

Ein anderer Dichter, der sich gelegentlich skatologisch geäußert hat, ist T. S. Eliot:

Unser natürliches waches Ichleben trägt in sich ein Wahrnehmen.
Wir können warten mit unseren Stühlen und unseren Würsten.

Wie oft mag der Vielbeschäftigte Stuhldrang zu unpassender Zeit gespürt haben und musste den Zeitpunkt der Entleerung verschieben! Oft genug hatte sich der Fäzes bis dahin verknörzelt, er ließ sich nieder und drückte ächzend allenfalls ein paar Pillen Schafskot hervor!

Keinesfalls ein Zufall ist es, dass wir für ein schmackhaftes Lebensmittel und für die Ausscheidung allgemein dasselbe Wort benutzen: Wurst. Die eine macht Platz für die andre, ja, es regt regelrecht den Appetit an, wenn im Darm wieder Raum für Nachschub geschaffen wurde! Und wird nicht die im Mund zerkleinerte Nahrung im Darm auf eine Weise verarbeitet, die als Verwurstung zu bezeichnen völlig angemessen ist? Tückisch aber ist das Völlegefühl; es treibt uns in die keramische Abteilung, hoffnungsvoll lassen wir uns nieder – aber nur ein knallender Furz entweicht dem Darm – oder ein markerschütterndes Knattern – und die erhoffte substanzielle Befreiung bleibt aus.

Es blieb dem unsterblichen Charles Bukowski vorbehalten, den Stuhlgang ins rechte Licht zu rücken und seine hohe Position auf der Werteskala zu bestimmen: „Sex ist interessant,“ schreibt er, „aber nicht das einzig Entscheidende. Ich will sagen, er ist nicht mal so wichtig (technisch gesehen) wie das Scheißen. Ein Mann kann 70 Jahre alt werden, ohne je eine Nummer geschoben zu haben, aber ohne Stuhlgang kann er in einer Woche tot sein.“ Noch Fragen?

Ach ja, das gilt natürlich auch fürs weibliche Geschlecht, und Frauen, die an Obstipation leiden und oftmals zum altbewährten Klistier zu greifen sich gezwungen sehen, gibt es in Hülle und Fülle. Meine Mutter, die Erde werde ihr leicht, gehörte dazu. Sie hat sich in ihrer Verzweiflung oft das Verhärtete händisch herausgeholt. Aber sie hat dann damit nicht wie die künsterisch begabte Mitbewohnerin des Seniorenstifts die Wände ihres Zimmers verziert. Urs Widmer erzählt (in „Reise an den Rand des Universums S. 176) eine Geschichte, mit der ich schließen will, weil sie die Metaphysik des Scheißens eindrücklich zusammenfasst: Er erzählt von der „frommen Nonne, die ein Leben lang – beinah ein Leben lang – Verstopfung hatte und Gott anflehte, sie zu erlösen, und endlich einen so großen Haufen Steine kackte, dass sie, zum Dank, aus ihnen eine Kapelle errichten konnte.“




Anmerkung von Quoth:

Nach meinem "Schlägli" geschrieben, als ich morgens von der Schwester immer gefragt wurde: "Hatten wir schon Stuhl?"

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Kommentare zu diesem Text


 franky (19.12.24, 14:07)
Hi lieber Quoth 

Habe herzlich lachen müssen, so gut verwurstet;-)
 
Grüße von Franky

 Quoth meinte dazu am 19.12.24 um 19:49:
Danke, lieber Franky!

 Aron Manfeld (19.12.24, 15:22)
Mich hat schon immer die Frage umgetrieben, wie Goethe das machte, wie er sich danach säuberte, den juckenden Hintern beruhigte. Stoff für eine Doktorarbeit ...

 Quoth antwortete darauf am 19.12.24 um 19:50:
Wäre doch ein Thema für Dich!

 AchterZwerg (19.12.24, 17:50)
Zunächst muss und möchte ich die spielerische Eleganz des Essays loben! Mit welchem Witz und einer gleichzeitig verhaltenen guten Erziehung du dich diesem Thema annäherst: Applaus, Applaus. :D

Natürlich könntest du dein umfassendes, wenn auch wenig weihnachtliches Wissen noch vertiefen, beispielsweise mit "Dunkle Materie. Die Geschichte der Scheiße" (Florian Werner, 2011), zudem uns' Frauke Berndt anmerkt:

Die menschliche Kultur gründet auf der Scheiße“ – mit diesem an Klarheit nicht zu überbietenden Statement steigt Werner in deren Geschichte ein. In den zwölf essayistischen Kapiteln seines hinreißend klugen, kulturhistorisch hoch interessanten Buches verfolgt er die Spuren, die die menschlichen Exkremente in der westlichen Kultur hinterlassen haben – und zwar sowohl materialiter als auch symbolisch. Obwohl nämlich „die Scheiße unser Verständnis von Kultur, Gesellschaft, Gesundheit, Anstand, Humor und Identität“ prägt, verdrängen wir sie Tag für Tag ebenso hartnäckig wie erfolgreich.
Wahrscheinlich hast du das Buch aber längst ... ich eh!


 . ;)

 Quoth schrieb daraufhin am 19.12.24 um 19:54:
Danke für Komplimente usw! Nein, das Buch von Florian Werner kenne ich nicht. Bei amazon gibt es das neu gar nicht, gebraucht für 66 Euro - ein gutes Beispiel dafür, dass man aus Scheiße Gold machen kann!

 Quoth äußerte darauf am 19.12.24 um 19:55:
Mein Dank geht auch an LotharAtzert für den Lieblingstext!

 Augustus (20.12.24, 10:07)
Der technische Vorgang von der Einnahme der Nahrung und deren Verarbeitung im Magen ist höchst komplex; schaut man sich allein die unterschiedlichen Säueren in Magen, die das Essen zersetzen und gleichzeitig eine weitere schleimschicht die magenwönde vor Ätzung schützen muss, ist faszinierend. 

Trägt man den Vorgang der Verarbeitung der Nahrung usw. in die Welt nach draußen, in die Gesellschaft, so sind die Müllberge auch ein Ausdruck der „Scheisse“, die die konsumierende Gesellschaft verursacht. 

Kann man aus den Müllbergen herauslesen, ob es sich um eine gesunde oder kranke Gesellschaft handelt, hm?

Kommentar geändert am 20.12.2024 um 10:07 Uhr

Kommentar geändert am 20.12.2024 um 10:08 Uhr

 Quoth ergänzte dazu am 20.12.24 um 14:39:
Was den Müll, vor allem den Plastikmüll betrifft, sind wir eine kranke Gesellschaft mit durchschnittlich hoher Lebenserwartung. 
Das komplexe Wunder der Verdauung deute ich im Absatz über die Darmmikroben und ihr Denkmal in Basel an.

 Mondscheinsonate (21.12.24, 16:43)
Zuviel Darm mit Charme :D Mich wundert, dass es auch keine Texte über das Urinieren gibt, dabei gibt es so viel darüber zu reden, zum Beispiel sagen wir in Wien, wenn man sehr verliebt ist und keine Argumente gegen den Kerl zulässt: "Die ist voll verbrunzt in den!" Brunzen ist pischen und pischen ist urinieren. Auch wischerln. Da gab es in Jedlersdorf die Wischerltant, die hat sich immer über die Kanalgitter gestellt und gewischerlt. Ja, darüber gibt es doch viel nettere Geschichten.

 FrankReich (21.12.24, 16:52)
Ach Du Scheiße! 😂😂

Ciao, Frank
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