Am Vorabend des Faschismus - Kleiner Leitfaden zum Widerstand (I)
Text
von autoralexanderschwarz
Am Vorabend des Faschismus
Kleiner Leitfaden zum Widerstand
Teil I (Vorbereitung)
Wo immer der Faschismus herrschte, hat er Krieg, Leid und Elend über die Menschen gebracht und selbst wenn häufig zu Beginn seiner Herrschaft unter dem frenetischen Jubel seiner Anhänger vermeintlich große Siege errungen wurden, endete er doch – wenn er denn nicht aufgehalten wurde – immer in Blut und Trümmern. Dies resultiert aus insbesondere zwei Prinzipien, die den Faschismus (und vergleichbare totalitäre Ideologien) von anderen Gesellschaftsformen unterscheiden. Diese sind (1) das Ideal einer vermeintlichen Homogenität (des Volkes) und (2) die besondere Stellung, die das Ressentiment in faschistischen Ideologien einnimmt. Während das erste Prinzip mit großer Regelmäßigkeit dazu führt, dass der Staat (und seine Anhänger) vermeintliche innere Feinde und Minderheiten in den eigenen Reihen verfolgen (und foltern und ermorden), führt das zweite Prinzip dazu, dass der Staat sich früher oder später äußere Feinde sucht, mit denen er sich dann in zerstörerischen Kriegen messen und beweisen kann. Am Ende leiden immer alle. Am Ende ist immer alles zerstört.
Gemeinsamkeiten
Während so mancher Historiker (vollkommen zurecht) auf die historischen Unterschiede zwischen der Jetztzeit und den Jahren der Weimarer Republik verweist, müssen dem Soziologen die soziologischen Gemeinsamkeiten sofort ins Auge fallen. Wieder bilden viele Einzelne eine Masse, wieder stehen Einzelne auf Bühnen und proklamieren, dass sie alle anderen (das Volk) in sich repräsentieren und beschützen wollen. Solche Populisten argumentieren vielleicht nicht mehr über ihre Rasse und eine pseudobiologisch hergeleitete genetische Überlegenheit: Sie rekurrieren jetzt auf die eigene Kultur, die gegen die Kultur der Anderen verteidigt werden müsse. Da sie wissen, dass nichts so sehr zusammenschweißt wie ein gemeinsamer Feind, nutzen sie in erster Linie das Ressentiment, um Anhänger hinter ihren Fahnen zu versammeln. Während dieser Feind in der Weimarer Republik für die Faschisten recht schnell der Jude und auch (wie heute noch immer) der Kommunist war, ist heute der Migrant das favorisierte Feindbild, das (nicht nur in Deutschland) einen elementaren Bestandteil der neurechten Propaganda darstellt. Dieser bedroht nicht nur die wirtschaftliche Prosperität (weil er nicht arbeitet und das Sozialsystem belastet), sondern dealt auch im Park mit Drogen, vergewaltigt blonde Studentinnen oder greift kleine Kinder mit dem Messer an. Solche Narrative vermögen es, zu empören und dabei noch die übelste Beschimpfung oder den gemeinsten Hinterhalt zu einem heroischen Akt des Widerstandes umzudeuten, da man das Gefühl hat, dass man angegriffen wird und dass man sich verteidigen müsste. Durch die Gewöhnung an solche Diskurse wächst bei den Menschen nicht nur ein konstantes Gefühl der Bedrohung, sondern eben zugleich auch ein vermeintlich gerechter Zorn gegen den Schuldigen. Da jene Einzeltäter aber dann zumeist recht schnell gefasst, verurteilt und eingesperrt werden, braucht ein solcher Zorn ein neues Objekt, um nicht zu versiegen. Darum wird er umgelenkt und richtet sich schließlich zwangsläufig gegen ganze Gruppen, die eine Gemeinsamkeit haben, die zugleich einen Unterschied zum Faschisten bildet. Während sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Generalverdacht (und damit der Hass) auf Menschen konzentrierte, die das Pech hatten, in die falsche Familie hineingeboren zu werden, richtet er sich heute gegen Menschen, die das Pech hatten, dass sie aus ihrer Heimat fliehen mussten. Die Konstruktion eines solchen inneren Feindes aber hat für den Faschismus immer eine doppelte Funktion: Zum einen hält sie das Feuer der Empörung am Lodern und das Blut der Anhänger in Wallung, zum anderen aber wird sie dann recht schnell auch immer zum Vorwand, um im Streben nach Homogenität die Rechte aller Bürger zu beschneiden. Endziel der Faschisten ist dabei eine Verfassung, welche ihre eigene Macht zementiert und zugleich die Entstehung einer neuen Machtbasis (einer Opposition) möglichst effizient unterminiert. Hierfür aber braucht es Vorwände, hierfür braucht es jenes Gefühl der Bedrohung, hierfür braucht es das Ressentiment.
Unterschiede
Einmal an die Macht gelangt, wird das faschistische Regime alles, was es vorfindet, nutzen, um seine Machtposition zu erhalten. Hierbei aber wird ein Unterschied sichtbar, der sich im Vergleich mit historischen totalitären Systemen ergibt. Damals konnte man noch (selbst wenn an manchen Orten darauf der Tod stand) heimlich Feindfunk hören oder in konspirativen Kreisen Flugblätter entwerfen, die in Nacht- und Nebelaktionen ihren Weg in Briefkästen fanden. Damals war man schon im Untergrund, wenn man sich im nahegelegenen Wald versteckte. Heute aber kann man sich nahezu nicht mehr verstecken. Die Entwicklung der Technik hat eine Form der Überwachung möglich gemacht, die für bisherige Generationen unvorstellbar war. Jeder ist heute registriert, erfass-, lokalisierbar und darüber hinaus lassen sich (bspw. dank Künstlicher Intelligenz) in Sekundenschnelle die politische Haltung, die sexuellen Präferenzen oder (entlang komplizierter Algorithmen auch) die potentielle Systemtreue abfragen. Jeder ist heute identifizierbar und wer heute Widerstand gegen ein faschistisches Regime leisten möchte (oder das Gefühl hat, dass er es tun muss), kann sich nicht mehr verstecken; ist er einmal enttarnt, finden sie einen auch im Wald. Der Fortschritt der Technik hat aber nicht nur die Überwachungsmöglichkeiten des Staates vervielfacht, er hat auch die Zerstörungskraft aller Waffen um ein Vielfaches potenziert. Dementsprechend werden die Kriege, die das faschistische Regime anzetteln wird, um ein Vielfaches zerstörerischer sein als jene, die man aus der Vergangenheit kennt. Neben all dem Leid und dem Blutzoll, den ein Volk schon damals für einen Krieg bezahlen musste, steht heute die realistische Möglichkeit der totalen Auslöschung aller Bürger (und mit Blick auf atomare, biologische oder chemische Waffen gar die Auslöschung der gesamten Menschheit) auf dem Spiel. Die Einsätze sind um ein Vielfaches gestiegen und auch wenn man sich einiges von den Widerstandskämpfern vergangener Generationen abschauen kann, ist der Kampf schwieriger und damit auch ein Sieg unwahrscheinlicher geworden. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man Widerstand gegen ein faschistisches Regime leisten möchte.
Kipppunkte
Da die technologische und waffentechnische Übermacht des Staates einen bewaffneten Putsch in den entwickelten Industrienationen sehr unwahrscheinlich macht, versuchen die Faschisten heute (mit Blick auf Europa) die Macht auf demokratischem Wege zu erlangen. Hierfür brauchen sie entweder eine Mehrheit der Bürger, die sich zum Faschismus bekennt, oder aber eine willfährige Partei, die Koalition mit den Faschisten macht und diesen somit eine Machtoption bietet. Dementsprechend ist die erste Widerstandslinie, die sich dem überzeugten Antifaschisten bietet, der demokratische und damit friedliche Widerstand. Dieser ist geleitet von der Hoffnung, dass viele der Menschen, die kein Problem damit haben, eine faschistische Partei zu wählen, die Folgen einer Machtergreifung nicht wirklich abschätzen können. Sie glauben dem Versprechen, dass sich die Repressionen nicht gegen sie selbst richten werden und dass die Sicherheit (oder die sozialen Wohltaten), die ihnen versprochen wurden, tatsächlich durch den Machtwechsel eintreten. Zumindest einige von ihnen aber kann man noch eines Besseren belehren. Daher sind Demonstrationen, zivilgesellschaftliches Engagement, Autoritäten, die ihre Stimme erheben, wichtig, um den demokratischen Sieg der Faschisten zu verhindern (oder zumindest hinauszuzögern). Dies gilt aber nur so lange, als tatsächlich noch Hoffnung besteht, dass der Faschismus sich mit friedlichen Mitteln verhindern lässt. Sobald sich dieses Zeitfenster schließt, sind Demonstrationen oder Aufrufe nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich. Ab diesem Moment muss die Priorität des Widerstandskämpfers darin bestehen, nicht mehr aufzufallen, da er – wie Brecht in den „Maßnahmen gegen die Gewalt“ formuliert – kein Rückgrat zum Zerschlagen hat, weil es nichts bringt, wenn er wegen eines Flugblatts oder eines Posts im Gefängnis gefoltert und ermordet wird. Wichtiger ist es, dass er – wenn die ideologischen Säuberungen beginnen – nicht auf der falschen Liste steht und verhaftet wird, bevor er sein revolutionäres Potential entfalten kann. Daher ist eine genaue Kenntnis der politischen Lage, der demoskopischen Erhebungen, der Stimmung im Land wichtig, wenn man mit dem Gedanken spielt, den Faschismus zu bekämpfen.
Organisation
Die Schlagkraft einer Widerstandsgruppe ist relativ zu dem Grad ihrer Organisation. Darum ist es wichtig, so früh als möglich Mitstreiter zu finden, denen man vertrauen kann. Hierbei muss sich der Revolutionär bewusst sein, dass er diesen Menschen, die er ins Vertrauen zieht, sein Leben anvertraut. Dementsprechend gilt die Formel, dass man lieber einen weniger in seinen Reihen hat als jemanden, der das Leben aller anderen gefährdet. Fasst man aber den Mut und kontaktiert jemanden, den man nicht nur ideologisch sondern auch was seinen Charakter angeht, für einen guten Widerstandskämpfer hält, muss man so konspirativ wie möglich vorgehen, um nicht nur ihn, sondern auch sich selbst zu schützen. Hierbei gilt, dass jegliche Form der digitalen Kommunikation (und sei sie noch so verschlüsselt) grundsätzlich nicht sicher ist. Besser ist ein Spaziergang im Wald oder ein Treffen an einem Ort, an dem weder Kameras, Smartphones oder andere technische Geräte die Unterhaltung aufzeichnen können. Wichtig ist zu einem solchen (frühen) Zeitpunkt nicht, dass man ausgereifte Pläne oder heikle Informationen austauscht, sondern dass man das vorhandene Vertrauen prüft und sich versichert, dass der andere wirklich auf der gleichen Seite kämpft. Eine solche Sammlung von potentiellen Kräften, die sich dem Faschismus entgegenstellt, ist unbedingte Voraussetzung für jegliche (späteren) Formen organisierten Widerstandes und vielleicht das wichtigste Element einer Vorbereitung auf die Machtergreifung der Faschisten. Wer alleine kämpfen möchte, hat bereits verloren.
Allianzen
Auch wenn der Faschismus alle bedroht, richtet sich seine Aufmerksamkeit zunächst auf insbesondere zwei Gruppen. Die eine ist jene, gegen die sich das Ressentiment richtet (wie Migranten oder Linke), die andere besteht in all denen, die bereits organisiert sind (wie Organisationen, Parteien, Vereine, Gewerkschaften etc.) und dementsprechend vom faschistischen System als Bedrohung der eigenen Machtbasis verstanden werden. Daher ist es wichtig, so früh als möglich den Kontakt zu anderen Gruppen zu suchen, um die Schlagkraft und Beweglichkeit der eigenen Organisation zu vergrößern. Auch hier empfiehlt sich die Annäherung über persönliche Kontakte, auch hier verbietet sich jegliches digitale Instrument, da jene, gegen die sich das Ressentiment richtet, bereits mit einer höheren Wahrscheinlichkeit überwacht und ausgespäht werden. Neben solchen Allianzen ist es wichtig, sich auch Verbündete zu suchen, die bereits Teil des Systems sind. Anders als zu Zeiten der Weimarer Republik verfügt Deutschland heute über einen Beamtenapparat, der nicht nur in der Schule über die Verbrechen des Faschismus aufgeklärt wurde, sondern der zudem auch einen Eid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung geleistet hat. Manchem bedeutet das noch etwas. Da die Faschisten, wenn sie einmal die Macht ergriffen haben, nicht direkt alle Lehrer, Polizisten oder Richter austauschen können, bietet die deutsche Beamtenschaft (ebenso wie die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes) durchaus ein Reservoir, aus dem sich Mitglieder des Widerstands rekrutieren lassen. Diese sind dahingehend von besonderer Bedeutung, dass sie den Widerstand aus dem System heraus unterstützen können. Ein Polizist, der einen Gesuchten übersieht, ein Sachbearbeiter, der eine Auskunft verzögert, ein Lehrer, der seinen Schüler nicht denunziert oder ein Richter, der eine möglichst niedrige Kaution festsetzt, können – wenn es hart auf hart kommt – Leben retten.
Ressourcen
So wie jede Organisation benötigt auch der Kampf gegen den faschistischen Staat Ressourcen. Da viele Faschisten häufig keine Überzeugungstäter sondern bloße Opportunisten sind, ist es gemeinhin gut möglich, sie zu bestechen. Dafür benötigt man Geldmittel, die – wenn der faschistische Staat einmal an der Macht ist – nur mehr schwer zu beschaffen sind. Darum ist es geboten, möglichst früh möglichst viel beiseite zu schaffen, um in den Jahren des Kampfes gut ausgerüstet und liquide zu sein. Auch hier empfiehlt sich eine größtmögliche Diskretion, da gerade die Geldflüsse für den faschistischen Staat von besonderer Bedeutung sind und daher sehr früh kontrolliert werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass man sich nicht durch Panik- oder Hamsterkäufe verdächtig macht, sondern einfach möglichst früh beginnt, einen Vorrat anzulegen. Wer bei jedem Einkauf einfach eine oder zwei Dosen mehr kauft, hat schon nach einigen Wochen eine ansehnliche Sammlung beisammen, wer immer wieder ein paar Euro, Silber, Gold oder wertvolle Gegenstände beiseite schafft, erhält sich die Möglichkeit, diese später für den Widerstand einzusetzen. Gleiches gilt für Rückzugsorte, Fahrzeuge und Waffen, von denen im Weiteren noch die Rede sein wird.
Anmerkung von autoralexanderschwarz:
Kommentare zu diesem Text
Du schreibst hier im Internet über einen späteren Widerstand, der dann außerhalb dieser Systeme vonstatten gehen soll.