Am Vorabend des Faschismus - Kleiner Leitfaden zum Widerstand (IV)
Text
von autoralexanderschwarz
Teil IV (Widerstand - Kampagnen)
Störungen sowie offener und verdeckter Widerstand dienen (wie im Vorigen ausgeführt) insbesondere zwei Zielen: Zum einen sollen Veränderungen, die das faschistische Regime vollziehen will, ver- oder zumindest behindert werden. Zum anderen soll das Regime (wie ein Bulle in der Arena) beschäftigt und dabei idealerweise überlastet werden, um seine Unfähigkeit zu entlarven und es in den Augen seiner Anhänger zu diskreditieren. Neben solchem dezentralen Widerstand, der sich ganz allgemein gegen das faschistische System richtet, muss es aber auch spezifischere Widerstandsformen geben, die ganz konkret auf ein Ende der faschistischen Herrschaft abzielen. Eine davon sind mediale Kampagnen, die sich gegen die Regierung und ihre Repräsentanten richten.
Koalition
Da es eher unwahrscheinlich (wenn auch nicht ausgeschlossen) ist, dass eine faschistische Partei in Deutschland einen solchen Zulauf erhält, dass sie alleine regieren kann, wird sie aller Voraussicht nach auf einen Mehrheitsbeschaffer angewiesen sein. Dieser wird seine wahren Beweggründe (wie Opportunismus oder Machtgier) vermutlich als staatsbürgerliche Verantwortung (für die Wirtschaft, für die Sicherheit etc.) verschleiern und die Faschisten dabei für nützliche Idioten halten, mit denen sich spezifische Vorhaben umsetzen lassen. Diese wiederum warten nur auf den Moment, an dem sie sich des lästigen Koalitionspartner entledigen können, um alleine (und uneingeschränkt) zu herrschen. Sie bilden ein Zweckbündnis, das von vornherein auf Zeit geschlossen wird, und da beide Seiten dies wissen, werden sie einander nicht vertrauen (und den Anderen im Geheimen als politischen Gegner betrachten). Diesen Umstand gilt es für den Widerstand nutzbar zu machen und solange das Grundgesetz (noch) nicht außer Kraft gesetzt ist (und mit ihm die wahlrechtlichen Fristen und Mechanismen), ergibt sich dementsprechend ein erstes ganz konkretes Ziel. Zerbricht die Koalition, welche die Faschisten geschmiedet haben, endet von einem Tag auf den anderen auch die faschistische Herrschaft. Diese ist damit nicht für immer abgewendet, der Schoß, aus dem sie kroch, ist (mit Brecht) noch immer fruchtbar, aber selbst ein nur vorläufiges Scheitern des faschistischen Regimes gibt dem Widerstand Zeit und Raum, um sich (neu) zu organisieren.
Rollenwechsel
Die Machtergreifung bringt all jene Ideologen, Politiker, Blogger, Demagogen, Influencer (und Bots), die zuvor täglich den Untergang prophezeit, gegen die Regierung gehetzt, Misstrauen gesät und gespalten haben, in eine gänzlich ungewohnte Situation. Von einem Tag auf den anderen müssen sie jetzt im Sinne ihrer Volksgemeinschaftsideologie Zusammenhalt proklamieren und ihren Anhängern vermitteln, dass sich die Dinge nun bessern, dass das Land sicherer werde und die Zukunft rosig sei. Das bedeutet nicht, dass sie von nun an auf das Ressentiment verzichten könnten (sie werden weiter gegen Minderheiten und den politischen Feind hetzen), aber es wird eben auch ein wichtiges Bestreben jener Agitatoren sein, zu vermitteln, dass nun in die Hände gespuckt wird und alle Probleme gelöst werden. Ihr Ton wird sich ändern müssen. Hier aber entsteht eine Lücke, denn der Sympathisant, der sich über Jahre hinweg daran gewöhnt hat, sich morgens beim Frühstück über die Regierung zu ärgern (und dann noch schnell ein oder zwei Hasskommentare zu schreiben), benötigt eine Weile, bis er sich an die nun einsetzende Jubel- und Fortschrittspropaganda gewöhnt hat, mit der ihn das faschistische Regime von jetzt an fluten wird. Diese Lücke gilt es zu füllen, diese noch vorhandene Empörungssehnsucht gilt es zu bedienen und hier entsteht für den Widerstand ein entscheidender Vorteil, der vorher in den Händen der faschistischen Ideologen war: Es ist immer sehr viel einfacher, etwas zu zerstören als etwas zu bewahren. Und: Es ist immer sehr viel schwerer für etwas einzutreten als etwas schlechtzureden.
Presse
Da faschistische Regime langfristig immer die Pressefreiheit einschränken (und dann irgendwann gänzlich aufheben), ist die (freie) Presse erst einmal grundsätzlich ein natürlicher Verbündeter des Widerstandes. Teile von ihr werden sich zwar wohl schon recht früh mit den neuen Machthabern arrangieren, genehme Artikel schreiben oder viel Geld damit verdienen, dass sie gegen Minderheiten hetzen, andere werden sich wohl aus strategischen Erwägungen zurückhalten, aber es wird auch Zeitungen, Foren, Blogs, Newsfeeds, Redaktionen oder Streamer geben, die reichweitenstark und kritisch über das faschistische Regime berichten und damit auch nach der Machtergreifung offenen Widerstand leisten. Diese gilt es zu unterstützen, diesen gilt es zuzuarbeiten, denn Kollaborationen des Widerstandes mit Medienschaffenden bergen für beide Seiten erhebliche Vorteile. Aus Sicht des Widerstandes lassen sich so Informationen in Umlauf bringen, deren eigentliche Urheber und Quellen nicht als Widerständler enttarnt werden können, während hingegen der Journalist nicht nur zusätzliche Informationen erhält, sondern (je nach Organisationsgrad des regionalen Widerstandes) auch finanzielle oder logistische Unterstützung, Personenschutz (oder zumindest ein warmes Mittagessen). Grundsätzlich gilt hier (und in anderen Konstellationen): Jene, die ihr Gesicht zeigen und offen Widerstand gegen das faschistische Regime leisten, werden besonderen Anfeindungen, Angriffen und Repressalien ausgesetzt sein. Da sie bereits als Feind enttarnt sind, müssen sie sich aber nicht mehr verstecken und können (solange sie nicht zum Schweigen gebracht werden) Kampagnen für den Widerstand lancieren. Hierbei sollten sie – so konspirativ wie möglich – beschützt und unterstützt werden.
Zielgruppe
Hauptziel von medialen Kampagnen, die in Kollaboration mit Journalisten und Redaktionen entstehen, ist mitnichten die Stärkung der eigenen Reihen oder die Überzeugung von ein paar Unentschlossenen (die es wohl selbst nach der Machtergreifung noch geben wird), sondern eben die direkte Einflussnahme auf all jene, die das faschistische Regime oder seinen Koalitionspartner gewählt haben. Sie sind Hauptziel jeglicher Agitation, derer sich der Widerstand in dieser Phase bedienen muss. Diese zu identifizieren ist nicht schwer. Man braucht dafür nur etwas Geld.
Mikrotargeting
Da Faschisten gemeinhin nicht das Kleingedruckte lesen, haben die meisten von ihnen all ihre persönlichen Daten auf Servern von multinationalen Techfirmen in den USA gespeichert. Mit ein paar Klicks und ein paar Tausend Euro (oder entsprechender logistischer Unterstützung solidarischer Hacker-Kollektive) lassen sich nicht nur politische (oder sexuelle) Präferenz, sondern auch der Beziehungsstatus, finanzielle Nöte, Sorgen, Ängste oder die Lesegeschwindigkeit ermitteln. So kann man nicht nur Zielgruppen identifizieren, sondern zudem auch passgenau mit auf sie zugeschnittenen Inhalten bespielen.
Konditionierung
Durch das Trommelfeuer aus spöttischen, herabwürdigenden, emotionalisierenden oder hetzerischen Inhalten, mit denen die faschistische Anhängerschaft über Jahre hinweg gefüttert worden ist, haben die faschistischen Ideologen nicht nur (plangemäß) das Ressentiment ihrer Anhänger verstärkt, sondern (ganz unabsichtlich) diese zugleich auch – wie einen Hund – auf bestimmte Reflexe trainiert. Diesen Beißreflex gilt es nun für den Widerstand nutzbar zu machen. Dafür darf und muss das gleiche Glöckchen benutzt werden, das die Anhänger der Faschisten bereits kennen. Hierbei stellt sich jedoch selbst dem überzeugten Widerständler möglicherweise eine moralische Frage: Darf man sich denn, wenn man ein faschistisches Regime bekämpft, eben jener Mittel bedienen, die dieses stark, wenn nicht gar möglich gemacht haben?
Empörung
Die Antwort darauf ist recht einfach: Ja, das darf man, wenn auch nur bis zu einem bestimmten Grad. Wenn die Alternative zum Widerstand Unterdrückung, Repression, Verbrechen und Konzentrationslager sind, ist dem Widerstandskämpfer einiges erlaubt, was er ansonsten – vollkommen zurecht – ablehnen würde. Das bedeutet nicht, dass der Widerstand nun auch foltern und morden darf (denn dann verlöre er jegliche Legitimation), aber er darf auf der exzellenten Vorarbeit aufbauen, welche die faschistischen Ideologen (und ihre Multiplikatoren) vor der Machtergreifung geleistet haben. Er kann, darf und muss sich genau der Mechanismen bedienen, auf welche die Claqueure abgerichtet sind. Vergewaltigt bspw. ein Faschist ein Kind, schlägt seiner Frau die Zähne ein oder greift im Park einen Studenten mit dem Messer an, gilt es darüber zu berichten und es gilt dabei so zu berichten, dass man insinuiert, dass er diese Tat (nicht als Trinker, Verzweifelter oder Wahnsinniger) beging, (sondern) weil er ein Faschist war. Ein Messerfaschist. Einer von vielen, die noch in den Büschen lauern. Selbst wenn die Mehrheit der unzähligen Faschisten, die nun nach und nach in den Apparat, in die Ministerien, in die Verwaltung strömen, ihre neue Tätigkeit ordnungsgemäß (und mit großen Engagement) ausüben, reicht der medial inszenierte Einzelfall, um den Faschismus insgesamt zu diskreditieren. Wen interessieren all die brav arbeitenden Beamten, wenn es den einen gibt, der seine schwangere Frau betrunken die Treppe hinuntergestoßen oder mit seinem SUV ein spielendes (deutsches) Kind auf der Straße überfahren hat?
Spalten
Da das schnellste und realistischste Ende der faschistischen Herrschaft zu diesem Zeitpunkt der Bruch der bestehenden Koalition ist, muss eines der Hauptziele medialer Einflussnahme des Widerstandes der Versuch einer Spaltung ihrer Repräsentanten und Anhänger sein. Auch hier kann man sich genau jener Instrumente bedienen, welche die faschistische Bewegung so erfolgreich gemacht haben. Hierfür muss man nichts anderes tun, als die Themen zu lancieren, in denen die Koalitionspartner erklärtermaßen nicht übereinstimmen. Wenn die einen bspw. einen Streik der Landwirte unterstützen, während die anderen diesem eher kritisch gegenüberstehen, macht es Sinn, möglichst umfangreich darüber zu berichten und auch möglichst viele Statements der (idealerweise noch unerfahrenen) Repräsentanten einzuholen (bis schließlich einer eine Gemeinheit autorisiert). Diese aber gilt es dann so zu befeuern, dass sie auch wirklich das Ohr des Adressaten erreicht. Auch wenn solche Kampagnen sich immer an der Stimmung im Land, der konkreten politischen Situation und vieler weiterer Faktoren orientieren müssen, lassen sich dennoch einige Prinzipien benennen, die klug angewendet, zu einem Bruch der Koalition beitragen können und die eben jene sind, deren Wirksamkeit rechte Ideologen über Jahre hinweg erprobt haben.
a) Übertreibung
Niemand interessiert sich wirklich für Zahlen.
b) Untertreibung
Gerade den kleineren Koalitionspartner verärgert es, wenn er als bloßes Anhängsel des größeren dargestellt wird.
c) Negativbeispiele
Mit ein wenig Übung findet man in jeder Suppe ein Haar.
d) Verallgemeinerungen
Die Stillstands-Regierung
e) Diskreditierung
Lächerliche (aber gut einprägsame) Spitznamen für Repräsentanten.
Und: Mit ein wenig Übung findet man in jeder Suppe ein Haar.
f) Rekonstruktion von Aussagen
Niemand interessiert sich für den Kontext.
g) Perzeption
Bunte Bilder funktionieren besser als graue Statistik.
h) Und ja: Man darf auch lügen!
Um den Rezipienten zu erreichen, muss man an seinen Sehgewohnheiten anknüpfen. Er mag keine komplizierten Handlungen und braucht einen Helden, mit dem er sich identifizieren kann. Er mag klare Positionen, Skandale, Tabubrüche, Parolen, schnelle Schnitte und Großbuchstaben. Er mag kurze Sätze und das Kleingedruckte liest er ganz grundsätzlich nicht. Auch wenn es wohl so manchen Widerständler schmerzen muss, der zuvor in langen Essays und mit Statistiken und Fußnoten bewaffnet für eine Wahrheit gekämpft hat, muss sich der Widerstand nun eben jener Mittel bedienen, mit denen die Faschisten zuvor die Regierung bekämpft haben und mit denen ihr Publikum vertraut ist.
Diskreditierung
Um Repräsentanten des faschistischen Regimes zu diskreditieren, empfiehlt sich dabei ein Rekurs auf eben jene Werte, die diese (wieder und wieder) proklamieren. Diese sind zumeist Sicherheit und Prosperität. Beides sind und waren beliebte Themen in den profaschistischen Echokammern. Beide gilt es zu bedienen. Dabei macht es keinen Sinn, darüber zu schreiben, wenn wieder eine Gruppe Jugendlicher Jagd auf ein paar Ausländer gemacht hat. Darüber machen die Faschisten Witze. Wichtig ist es, über jene Jugendlichen zu berichten, die betrunken einen (deutschen) Rentner verprügelt haben, der zudem Mitglied der Kirchengemeinde war und von nun an im Rollstuhl sitzt. Solche Fälle vermögen es noch immer zu empören. Wenn nun einer der Jugendlichen auch noch ein Faschist war, wird daraus ein Schuh. Und wenn das Brot günstiger aber die Butter teurer wird, sollte man hauptsächlich über die Butter berichten. Neben solchen allgemeinen Indikatoren (wie Sicherheit oder Prosperität) gibt es aber auch spezifischere Werte, die in der faschistischen Propaganda eine Rolle spielen und die sich ex negativo ihren Reden entnehmen lassen. Über Jahre hinweg haben sie dem politischen Betrieb (in einigen Fällen wohl zurecht) Abgehobenheit, Unehrlichkeit, Korruptheit, Ideologie und Faulheit unterstellt. Hieraus lässt sich rekonstruieren, dass das propagierte politische Ideal der Faschisten eine bürgernahe, ehrliche, unbestechliche, pragmatische und engagierte Politik darstellt. An diesen Idealen aber gilt es die neuen Machthaber zu messen. Hierbei kommt dem Widerstand entgegen, dass unter den Repräsentanten eines faschistischen Regimes zumeist recht viele Opportunisten und Heuchler sind. Häufig proklamieren sie bspw. in Reden Gleichheit, wobei sie zumeist viel mehr als ihre Zuhörer besitzen. Sie beschwören Werte wie Ehrlichkeit oder Integrität, wobei sie selbst häufig lügen oder ihre wahren Beweggründe verschleiern. Diese Widersprüche gilt es sichtbar zu machen und sie in kurzen (und lustigen) Videos so zu arrangieren, dass der Zuschauer den Eindruck gewinnt, dass das faschistische Regime und seine Vertreter korrupt, nachlässig, ungerecht oder schlicht unfähig sind. Hat jemand ausgeprägte Zähne, kann man ihn Hecht, ist er lang und dünn, kann man ihn Spargel nennen. Das macht es später viel einfacher, ihn als Person herabzuwürdigen. Diese (Kinder- und) Bildersprache, an welche die Anhängerschaft der Faschisten bereits gewöhnt ist, vermag es ideologische Gräben überwinden und sogar Faschisten zum Lachen zu bringen.
Anmerkung von autoralexanderschwarz:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.