Bubble Trouble: Der Bart, der canceln wollte
Erzählung
von Isensee
Teil V: Der Bart kandidiert – Demokratie im Ausnahmezustand
Janosh hatte gedacht, es sei vorbei. Kein Bart, keine Stimmen, keine Philosophie mit Haarspliss. Doch wie es mit Dingen ist, die man sich selbst amputiert – sie wachsen nach. Nur diesmal nicht am Kinn, sondern im Rathaus von Friedrichshain-Kreuzberg.
Es begann mit einem Plakat:
„Der Bart spricht für dich.
Der Bart versteht deinen Frust.
Der Bart kandidiert.
#BartFürDenBezirk“
Janosh starrte auf das Poster, das an einem Altglascontainer hing, direkt neben einem Aufruf zur Polyamorie-Awareness-Week und einem Workshop über kapitalismuskritisches Töpfern. Und da war er – nicht Janosh, sondern er: der Bart. In Großaufnahme, mit Wahlkampf-Slogan und diesem leicht ironisch-verächtlichen Blick, der ihn schon in den Wahnsinn getrieben hatte.
VI. Wahlkampf mit Haarspitzengefühl
Der Bart hatte sich verselbstständigt. Nicht metaphorisch – das hatte er ja längst – sondern wörtlich. Irgendjemand (Janosh vermutete einen Ex-Soziologen mit TikTok-Kanal) hatte ihn aufgepäppelt, geformt und als politische Kraft instrumentalisiert. Oder schlimmer: Der Bart hatte sich selbst dazu entschieden.
Er war überall. Auf Wahlplakaten, in Late-Night-Podcasts, bei Instagram-Lives mit Drag-Philosophen. Er sprach über „post-individualistische Verantwortung“, „Mikropolitik im Subtext des Frisörbesuchs“ und „Bartokratie – ein neues Regime der Wucherung“.
In Talkshows glänzte er mit messerscharfen Aussagen:
„Ich bin kein Politiker, ich bin ein Phänomen mit Mandat.“
„Rasur ist Repression.“
„Wenn ihr euch alle rasiert, bleibt nichts außer Haut – und Haut ist zu ehrlich für Berlin.“
Seine Umfragewerte? Explodierend. Vor allem bei Männern mit Selbstzweifeln und Frauen mit Daddy-Issues.
VII. Janosh gegen den Bart – Revanche im Rathaus
Janosh, mittlerweile bartfrei, aber innerlich immer noch gezeichnet, wollte nicht tatenlos zusehen. Er gründete eine Gegenbewegung:
„Glattrasiert für Gerechtigkeit“
Ein loser Haufen aus resignierten Realisten, Alt-Hipstern ohne Bartpflegebudget und Menschen, die sich beim Rasieren einfach wohler fühlten.
„Er ist nicht euer Freund“, rief Janosh bei einer Anti-Bart-Demo auf dem Mariannenplatz. „Er ist eine Projektion eurer Faulheit, eures Narzissmus, eures ironisch verpackten Autoritarismus! Der Bart will Kontrolle! Nicht Gerechtigkeit!“
Die Menge blieb still. Nur einer rief:
„Aber er hat letztens ne vegane Baumschutzsatzung eingebracht, die war echt sinnvoll!“
Janosh schluckte. Das war das Problem. Der Bart war gut. Viel zu gut.
VIII. Der Bart wird Bezirksrat
Die Wahl kam. Der Bart gewann. Mit 38,7 Prozent.
Seine Antrittsrede war kurz:
„Ich bin nicht hier, um zu regieren. Ich bin hier, um zu ent-täuschen. Danke für eure Projektion.“
Im Rathaus setzte er neue Maßstäbe: Sitzungen begannen mit kollektiver Bartpflege. Statt Abstimmungen gab es „Haarmonisierungsgespräche“. Er schaffte das „Sie“ ab, verbot das Wort „Authentizität“ und ließ in jedem Bezirkscafé eine Bartbürste auslegen – zur „politischen Hygiene“.
IX. Die Rückkehr des Janosh
Doch Janosh war nicht besiegt. In einem Keller in Moabit plante er seine Rückkehr – nicht als Rebell, sondern als Friseur.
Sein neues Studio hieß: „Der Schnitt“
Sein Slogan: „Wir trennen, was nicht zusammengehört.“
Seine Mission? Nicht weniger als die Entmachtung des Bartes. Haar für Haar. Schnitt für Schnitt. Ironiefrei, aber messerscharf.
Fortsetzung folgt.
Wahrscheinlich in einer Kaffeetasse mit Milchbart.
Anmerkung von Isensee:
Der Bart ist tot. Lang lebe der Bart.
Demokratie ist manchmal nur ein Rasierer mit Stimmrecht.
Ein haariges Kapitel der Berliner Politikgeschichte – aber wenigstens stilvoll.