Niemand möchte Citronen zum Weltschmerz

Kurzgeschichte

von  Isensee

Der Raum riecht nach aufgewärmtem Quinoa, angedicktem Hafermilchkaffee und Duftkerzen. Draußen regnet’s, drinnen wird die Luft dicker, je länger die Thermomix-Party läuft. Ein Abend, an dem nicht nur Smoothies gemixt werden, sondern auch Herzen gebrochen – und Köpfe.

Gisela steht mitten im Wohnzimmer, in der Hand das rote Buch „Thermomix-Rezepte für moralische Überlegenheit“. Neben ihr Brigitte, die wie ein Raubtier aussieht, das seinen nächsten Schwachkopf fürs Zerreißen sucht. Und Hannelore, die stille Giftmischerin, die gerade so tut, als würde sie die Deko bewundern, aber in Wahrheit schon den nächsten Spruch in der Hinterhand hat.

„Also ehrlich, wenn ich noch einmal höre, dass jemand seinen Thermomix nicht mit Ökostrom betreibt, krieg ich ’n Krampf“, zischt Gisela und wirft einen Blick auf die Neue im Raum. Sabine, 34, frisch und naiv, hat sich hierher verirrt, weil sie dachte, sie findet nette Leute – und nicht die gestresste Brigade der moralischen Oberlehrerinnen.

„Du hast doch nicht wirklich den Aufsatz zu Plastikvermeidung gelesen, oder?“, schnaubt Brigitte und hält ihr Handy hoch, auf dem schon mehrere Screenshots von Sabines Instagram-Story zu sehen sind. „Das hier ist ’ne Farce, Sabine!“

Sabine schluckt. Sie hatte gehofft, mit ihrem neu gekauften Thermomix und einem Instagram-Post über vegane Brownies Teil der Community zu werden. Stattdessen steht sie jetzt im Zentrum eines emotionalen Hexenkessels, der aus moralischem Furor und gruppendynamischem Sadismus besteht.

Hannelore schiebt ihr die Brille zurecht und sagt mit einem Tonfall, als wäre sie die letzte instanzielle Wahrheit: „Du musst verstehen, das hier ist mehr als Kochen. Das ist Haltung. Du kaufst nicht nur ein Gerät, du kaufst ein Versprechen. Ein Versprechen an dich selbst, die Welt zu retten. Und wer das nicht ernst nimmt, der gehört draußen bleiben.“

„Genau“, sagt Gisela, „bei uns gibt’s keine halben Sachen. Entweder man ist drin – oder man ist ’ne Schande für die Bewegung.“

Die nächsten zwei Stunden vergehen wie ein Fegefeuer. Sabine wird auseinandergenommen, seziert, gedemütigt – mit der Präzision einer Chefköchin, die ein festkochendes Ei tranchiert. Die anderen Gäste, die anfangs noch leise gelauscht haben, verziehen langsam die Gesichter, bis sie schließlich zwischen den zwei Fronten den klassischen Mob bilden.

„Werden wir jetzt die moralische Reinigung starten?“, flüstert Brigitte grinsend, während sie schon mit einem Messer in der Luft herumsticht.

„Nicht vor dem Dessert“, sagt Gisela und reicht ein Tablett mit veganen Cupcakes herum. „So etwas muss man zelebrieren.“

Sabine steht da, die Lippen zusammengepresst, während die Worte wie Gabelstiche sitzen. Sie will fliehen, will laut schreien, aber die Füße sind wie in Beton gegossen.

Hannelore zieht die Jacke enger um sich, als wolle sie die eigene Zerstörung kaschieren. „Du kannst ja immer noch aufwachen, Sabine“, sagt sie, „aber nur wenn du wirklich willst.“

Am Ende der Nacht ist der Mob müde, die moralische Überlegenheit für heute abgefeiert. Sabine geht nach Hause – nicht als Teil der Bewegung, sondern als ihre blutige Trophäe. Die Thermomix-Tussis hingegen wischen sich die Hände ab, zufrieden mit dem Gefühl, wieder mal den richtigen Kurs gesteckt zu haben.

Und draußen hört der Regen nicht auf.




Anmerkung von Isensee:

Disclaimer:

Alle im Text genannten Personen, Orte oder Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, lebendig oder verstorben, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Jegliche Übereinstimmung mit tatsächlichen Personen oder Begebenheiten ist weder geplant noch beabsichtigt.

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Kommentare zu diesem Text


 Nuna (26.05.25, 14:27)
Witzisch...ich kenne tatsächlich einige Haushalte die sich so einen Thermo Mix gekauft haben. Ich brauch son neumodschen Krom nich. 
Aber soll ja super gut sein damit zu kochen! 

LG Nuna

 Isensee meinte dazu am 26.05.25 um 14:45:
Haha ja! 
Der Hype um den Kasten ist auch Herrlich anzusehen.
Meine Oma "Zwang" mich damals, öfter mal diesen Tupperpartys beizuwohnen. 
Irgendwie habe ich das bis heute nicht aus meinem Kopf bekommen. Das hat auf jeden Fall Spuren hinterlassen.
Ich hoffe, dass ich ein paar davon im Text begraben konnte.

Ich mein, so schlimm war es nicht, aber schon irgendwie schlimm. 

Liebe Grüße und danke für dein Kommentar.

 harzgebirgler (26.05.25, 14:41)
:) :) 
you made my day! - ich sehe die falschen, eitlen bratzen regelrecht vor mir & erkenne sie wieder... :D

 Isensee antwortete darauf am 26.05.25 um 14:46:
Na Gerne! 
Ja, sie stehen direkt vor einem und bemängeln die Busfahrzeiten. 

Liebe Grüße Meiner
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