Langeweile

Gedanke zum Thema Glück

von  tueichler

Also als Kind hasste ich Langeweile. Nachmittage nach der Schule im November, wenn es draußen regnete, die Mutter stand im Laden und würde erst nach 18:30 heim kommen, wenn Kasse und Inventur durch waren, die Freunde waren genauso gelangweilt und gingen nicht ans Telefon, die Bücher waren ausgelesen und die 15 Platten meiner Eltern konnte ich bereits mitsummen, sooft hatte ich die gehört.


Heute ist es anders. Manchmal, in ganz seltenen Augenblicken ertappe ich mich dabei, wie ich die Befürchtung hege, die derzeitige Langeweile könne urplötzlich zu ende sein, aufhören, ja, gar ein Trugschluss oder Traum gewesen sein.

Diese seltenen Augenblicke, in denen das passieren kann, gibt es leider nur im Urlaub und auch da nur ganz selten. Immer, wenn ich solch eine Langeweile in mir spüre, überlege ich, was ich denn damit, mit also dieser ‘langen Weile’ anfangen könnte. Lesen, aufs Meer starren, Klassik hören?

Das Paradox daran ist, dass allein die Erinnerung an die damals öde Langeweile mir heute köstlich erscheint, ja nostalgisch sich verklärt. Der Gedanke an diese damalige Langeweile, gedacht in der heutigen Langeweile ist schon fast eine Negation derselben, da ich mich ja in eben dieser Langeweile damit beschäftige, was ich mit der Langeweile, in die ich mich sehne, wo ich sie doch so gern hätte, tun würde, so sie denn käme.

Säße ich also am Meer uns starrte auf die Wellen, könnte ich diese Langeweile dann genießen, obwohl ich darüber nachdächte, was ich mit der eben erfahrenen Langeweile anstellen könnte, damit sie eben keine Langeweile mehr ist? Die Frage ist nicht zu beantworten, denn selten ist es der Fall und wenn es der Fall ist, dass ich Langeweile hätte, wie ich sie mir wünschte, wäre ich doch schon wieder damit beschäftigt.

Vielleicht setze ich mich ja nachher auf die abendliche Terasse und tue einfach nichts, ich würde mich noch nicht einmal langweilen wollen. 


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (10.07.25, 23:47)
Ich vermute, daß das (ruhige) Meer diese Eigenschaft hat, uns Langeweile anders erleben zu lassen - nicht so sehr die Berge und erst recht nicht die Großstadt. So ist jedenfalls meine Erfahrung, und dann wäre es kein Zufall, daß auch Du das Meer erwähnst.
Da passiert einfach nichts außer einer gleichförmigen Bewegung.

 Graeculus meinte dazu am 10.07.25 um 23:52:
Die Griechen, überall vom Meer umgeben, hatten übrigens ein schönes Wort dafür: γαλήνη.
Es bedeutet zunächst die Meeresstille, dann aber auch einen entsprechenden Zustand der Psyche, in dem alle Leidenschaften zur Ruhe kommen.

 AchterZwerg antwortete darauf am 11.07.25 um 06:39:
Ein wunderbares griechisches Wort und ein feinsinniger Kommentar!  :)

 Saudade (10.07.25, 23:52)
Langeweile wird am Strand sitzend und auf das Meer sehend zur Sehnsucht. Das ist schön.

 Graeculus schrieb daraufhin am 10.07.25 um 23:56:
Mich hat - nicht am Strand sitzend, sondern auf dem Meer - sogar die Sehnsucht verlassen. Wie im Schlaf, aber bei klarem Bewußtsein.

 Saudade äußerte darauf am 11.07.25 um 00:15:
Ja, das kenne ich auch. Auf einem Boot habe auch ich keine Sehnsucht.

 AchterZwerg (11.07.25, 06:47)
Als Kind (und als junger Mensch) glaubt man ja ständig und dringend etwas tun zu müssen, Action zu erleben.
Diese treibende Kraft minimiert sich (bei gutem Verlauf!) mit zunehmenden Alter.
Wer jetzt noch gschaftlhuberisch durch die Gegend hetzt,
hat gar nichts verstanden. - Selbst das Meer wird ihn nicht zur Ruhe kommen lassen.

Gut, dass es bei dir anders ist.  :)

 Moppel (11.07.25, 11:22)
Langeweile ist ein negatives Wort, insofern weiß ich nicht, ob es hier paßt. ich denke, Teichler, was du meinst, ist Muße.
In der heutigen Zeit ist Muße selten, denn nur wer ständig zu tun hat, Irgendwo ist, eingeladen oder selber einlädt, der ist beliebt. Und alle wollen beliebt sein.
Kaum einer traut sich noch, Zeit allein zu genießen.
Ich habe nie Langeweile. Muße hingegen schon. Die Zeit nehm ich mir. ;)
lG voon M.

 tueichler ergänzte dazu am 11.07.25 um 12:04:
Nenne, ich hab schon bewusst "Langeweile" verwendet. Früher hatte ich Langeweile, weil ich nichts mit mir anzufangen wusste, heute sehne ich mich danach, genau diese "Langeweile" wieder zu haben.

 Maroon (11.07.25, 20:43)
Als Kind boten mir Sonntagnachmittage garantierte Langeweile. Ich durfte weder draußen spielen, noch Besuche machen oder empfangen. Die Großen saßen bei Kaffee und Kuchen im Wohnzimmer und blockieren den Fernseher, in dem sowieso nur Reitsport oder Skispringen, statt meiner geliebten werktäglichen Zeichentrickserien gelaufen wäre. Was tat ich damals? Wahrscheinlich lesen, malen oder vor mich hin träumen, denn schön stille sollte ich natürlich auch sein ...

Vielleicht empfinde ich deswegen heute "Langeweile" als leidlich angenehm, da ich viel Übung besitze. Ich kann gut warten, aus Zugfenstern gucken und auf Wiesen liegend in den Himmel starren ...

 dasAli (11.07.25, 23:17)
Ich finde sie. Auf manchen Familienfeiern. Ohne ins Detaill gehen zu wollen. Oder redest du nur von der absolut inhaltslosen Langeweile?

 tueichler meinte dazu am 12.07.25 um 09:06:
Also ich spreche ausdrücklich nicht von Ereignissen, die wir langweilig finden, weil es da einen vermeintlichen Mangel an Abwechslung gibt. Das ist was anderes. Mur gehts um den Zustand, nichts mit sich anzufangen zu wissen, den ich als Kind kannte und jetzt vermisse.
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