Suppe kochen

Text

von  autoralexanderschwarz

Eigentlich war er ja recht abgehärtet, was Fernsehbilder anging, aber diese Kinder, die verfolgten ihn dann doch bis in den Schlaf und sie ließen nicht von ihm ab, bis er schweißgebadet und mit einem kleinen Schrei erwacht war. Gerade noch hatte er mit dem letzten Rest verbliebener Aufmerksamkeit einer alternden Kommissarin beim Ermitteln über die Schulter geschaut und dann – als der Fall gelöst war – mit schweren Augenlidern den Fernseher ausgeschaltet, den Wecker gestellt, den Kopf zur Seite gedreht und den Arm, der seit einiger Zeit gerade vor dem Einschlafen schmerzte, neben dem Körper gebettet, ruhig und regelmäßig geatmet und dann, dann waren sie auf einmal da gewesen: die Kinder, unzählige Kinder, unzählige schreiende Kinder, alle mit den gleichen hungrig-vorwurfsvollen Augen und sie alle trugen kleine Schüsseln, Eimer oder abgeschnittene Plastikflaschen, um die Suppe, die er unter ihnen verteilen musste, entgegenzunehmen. Von allen Seiten drängten sie herbei und wäre da nicht dieser klägliche Holzverschlag aus krummen Latten gewesen, der seinen Kochbereich so gnadenlos vor ihnen abschirmte, hätten sie ihn wohl einfach überrannt. So aber hatten sie ihn schnell umringt und weil sie wussten, dass die wenige Suppe niemals für alle reichen konnte, entstand direkt vor ihm ein wildes Gedränge aus schmutzigen Gesichtern und dürren Körpern, in dem alles bedrohlich vor und zurück schwankte, und in dem jeder versuchte, sich an den anderen vorbei nach vorne zu schieben. Alle aber kämpften sie längst ohne Mitleid und mit ihrer letzten verbliebenen Kraft. Manch einer sank einfach bleich dahin und wurde von den anderen zertrampelt und laut war es, weil sie alle durch- und übereinanderschrien und weil ihre Töpfe ständig gegeneinanderstießen und weil alle so verzweifelt waren, dass sie eine einzelne große, verzweifelte Stimme bildeten, in der nichts und niemand mehr hörbar war und der Einzelne ganz und gar verlorenging, und nur darum schrien sie alle auch mit ihren Augen, versuchten ihn mit ihrem Blick zu fangen und ihre Augen schrien dann „hier bin ich“ und „ich bin so hungrig, du darfst gerade mich nicht übersehen“ und hinter ihm brodelte die Suppe kochend heiß über dem offenem Feuer und immer, wenn er sich mit dem Eimer vom Topf hinüber zu den Kindern drehte, musste er einen auswählen, einen Topf und eine kleine Hand und er musste aufpassen, dass die heiße Suppe nicht über die kleine Hand lief und er durfte ihn nicht zu voll machen, damit nicht alles in diesem wogenden Meer aus Töpfen, Augen und kleinen Händen verlorenging und weil der Kessel immer leerer und die Suppe immer heißer wurde, „ruhig“, schrie er immer wieder, „ihr...müsst...ruhig... sein“.


So war er aufgewacht und hatte dann für einen kleinen Moment sehr erschrocken in seinem Bett gesessen. Schließlich war er dann aber doch wieder eingeschlafen.



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