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von  Saudade

Kids spielen Basketball. Es donnert wie Kanonenabschüsse durch die Dunkelheit. Keiner sagt etwas, jeder, der noch wach ist, denkt nur. Ich, zumindest, denke, dass das Assoziale voranschreitet. 

Gerade musste ich an die Zwillinge denken und ihre Schwester. In dem Haus roch es stets nach verschwitzten, getragenen Socken. Es wurde nie gelüftet. Sie öffneten alle den Kühlschrank und tranken aus der Flasche die Limonade, stets lief der Fernseher, keiner achtete auf ihn. 

Die Zwillinge schliefen in einem Stockbett, die Freundin in einem eigenen Zimmer. Alles war räumlich so wie bei uns, alles ident, nur bei uns roch es immer nach Tabac, Opas Rasierwasser, Chanel 05 und Persil. Mittwochs immer nach Putzmittel, da kam die Putzfrau. 

Der Vater der Kinder war alleinerziehend, die Mutter, viel zu jung, damals 15 als sie die Zwillinge bekam und 16 als die Freundin geboren wurde, war mit 18 über alle Berge und ließ den Mann mit den Kindern stehen. 

Während meine Mutter, 20 Jahre zuvor, Montag bis Freitag mit dem Zug oder mit dem Fahrer in das Gymnasium fuhr, mussten die Kinder in die Hauptschule im Ort, nachher sofort eine Lehre beginnen, der Vater sagte, er wolle, dass sie Geld verdienen. 

Das war ein gutaussehender Mann, wechselte die Freundinnen wie die Hemden. Die Kinder kannten das Wort "Mutter" nie auf Dauer.

Warum ich an sie denke? Sie streiften auch immer in der Nacht auf der Wiese herum und spielten Fußball. Das war aber allen Nachbarn nur recht, denn so hörten sie wenigstens, dass sie in der Nähe waren. Keiner sagte etwas. 

Manchmal gab mir die Großmutter doppelt so viel Geld mit und sagte, ich solle die Kinder im Freibad einladen, die armen Kinder!

Ich denke, es kümmert sich keiner um die Kids. Ich sollte milder gestimmt sein. Oft urteilt man, bevor die ganze Geschichte gekannt wird.

Die Freundin sagte, sie wäre gerne ins Gymnasium gegangen. Beneide mich. Manchmal musste ich Sommeraufgaben machen, da setzte sie sich neben mich und sah mir zu. Einmal ging ich ins Haus und holte uns etwas, wir hatten Durst. Als ich zurückkam, sah ich sie durch die großen Terrassenfenster, sie hatte mein Buch in der Hand und las die Mathematikaufgaben. Als sie mich hörte, legte sie das Buch schnell zurück als ob sie es nie gelesen hätte. 

Ich fragte: "Soll ich dir das zeigen?" Sie schüttelte den Kopf, sagte: "Das wäre vergeudete Zeit, ich darf es nicht wissen." "Darf," das sagte sie tatsächlich. Heute ist sie Verkäuferin in einem Schulbedarfgeschäft. Die Sehnsucht nach Schule blieb anscheinend.

Die Zwillinge arbeiten im Betrieb, wo der Vater bald in Rente gehen wird. 

Die Kids haben aufgehört zu spielen. 



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