Die Erde ist näher als der Mensch

Kurzprosa

von  Drita

Ich bin Lara. Jeden Morgen stehe ich vor dem Spiegel, doch das Gesicht, das mich anblickt, ist nicht mehr meines. Es ist eine Maske, aufgeklebt aus Worten, die andere in meine Haut gemeißelt haben: schwach, seltsam, überflüssig, ein Nichts. Worte, die nicht wie Stimmen klingen, sondern wie Steine auf den Körper fallen.

In der Schule begann das Schweigen. Dann ein Kichern hinter meinem Rücken, ein Flüstern, ein Blick, der mich wie ein Messer traf. Anfangs dachte ich, es sei Zufall. Aber die Tage vergingen, die Blicke wurden kälter, das Lachen lauter, die Worte schwerer. Ich versuchte, klein zu werden, unsichtbar. Aber je mehr ich mich versteckte, desto mehr sahen sie mich.

Eines Tages zog mir jemand den Stuhl weg. Ich fiel zu Boden. Die Klasse brach in Gelächter aus. Ich lachte auch – oder zumindest sah es so aus. Aber in mir zerbrach etwas. Von diesem Moment an wurde die Erde näher als jeder menschliche Blick.

Nachts habe ich wiederkehrende Träume: Ich stehe auf einer Bühne, vor mir eine Menge, die unaufhörlich lacht, egal was ich tue. Ich möchte sprechen, doch meine Stimme bleibt im Hals stecken. Ich wache schweißgebadet auf, doch das Gefühl bleibt: Die Welt ist eine Menge, und ich bin ihr Witz.

Die Psychologin sagte zu mir: „Lara, du musst deine Stimme finden.“
Aber ich weiß: Meine Stimme ist tot. Mein Hals kennt nur die Stille.

Heute, wieder vor dem Spiegel, versuchte ich zu flüstern: „Das bin nicht ich.“
Aber selbst der Spiegel glaubte mir nicht. Der Maske riss nichts. Ich blieb allein, ganz innen, an einem Ort, an den kein Licht dringt.

Vielleicht kommt die Heilung nie.
Vielleicht ist für manche die Erde immer näher als der Mensch.

Nicht mobben



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Kommentare zu diesem Text


 Oggy (17.09.25, 10:14)
Aus heutiger Sicht sage ich für mich: Die Anderen nicht ernst nehmen. Damals (während der Schulzeit) bin ich dazu nicht richtig gekommen.

LG,
Oggy
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