Apokalypse

Bild

von  dubdidu

Als die Sonne sich in den Wind warf

und selbst der Schnee in dicken, schwarzen Flocken fiel

und schrie und schrie und nicht schmolz

und die Böden zu faulen begannen

wussten die Menschen sich nicht anders zu helfen

als ihre Wurzeln auszugraben.

Und siehe:

sie glichen sich in ihrer kläglichen Verschrumpelung mehr

als sie sich unterschieden.

Da streuten die Menschen Salz, Pfeffer und Knoblauch darüber

übergossen sie mit Olivenöl

und schoben sie den Backofen.

Und als die Wurzeln gar waren

träufelten sie Zitronensaft darüber

und bereiteten einen gemischten Salat daraus

den sie teilten.

Und so kam es,

dass ein jeder des Anderen Wurzeln

kaute, schluckte, verdaute

als seien es die eigenen.

Und als sie die Wurzeln am nächsten Tag

ausschieden, konnten sie nichts Fremdes entdecken

und siehe:

sie düngten die toten Böden damit

und vertrieben die Fäulnis.


Da kehrte die Sonne zurück.




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Kommentare zu diesem Text


 niemand (18.10.25, 15:21)
Ein schönes Märchen....    
LG niemand

 LotharAtzert meinte dazu am 18.10.25 um 15:48:
Eine Idiologie ist das, kein Märchen.
:woot:
Und dann auch noch schön
Der Brei der geeinten Menschlichkeiten. ein Wall zur Abwehr der Individualität.

Antwort geändert am 18.10.2025 um 15:50 Uhr

 dubdidu antwortete darauf am 18.10.25 um 16:04:
Mitnichten, Lothar, da hast du aber etwas ganz falsch verstanden.

Es ist ja sogar umgekehrt. Individualität kann sich erst entwickeln, sobald die ideologisch verbrämten Märchen von Blut, Boden, Volk und des dichotomischen Weltbildes und seinen Einteilungen in statisch fixierte Gegensatzpaare überwunden sind. Es gibt ein Kollektiv: alle Menschen und es besteht aus allen Einzelnen.

niemand, ich möchte ihn als religiösen Text verstanden wissen :)

 niemand schrieb daraufhin am 18.10.25 um 16:52:
... An "Blut, Boden, Volk" als etwas Besonderes zu glauben fällt mir schwer, dennoch gibt es da durchaus eine Verbindung, welche auf dieser Grundlage einen kann. Aber das nur nebenbei. Ich sehe in der Individualitä die größere Gefahr. Aus persönlichen Antipathie, oder Sympathie können mehr und tödlichere Konflikte entstehen als die von denen man glaubt, dass sie "Blut,Boden, Volk" bedingt sind. Das Individuum als Chance für Frieden, Güte, Gemeinsamkeit ist ein Mythos. Grade, weil ein Individuum keinem anderen voll gleicht und auch nie gleichen wird. Nur das Auslöschen der Individualität und somit ein Verschmelzen zum "Brei" kann Einheit bringen. Und die Religion ist für mich eine Grundlage für solchen Brei.

 DanceWith1Life äußerte darauf am 18.10.25 um 17:04:
Ein Zitronenpizzarezept, aus verdauten Wurzeln, hm, und es regt sich Widerstand, interessante Mischung, wo ist der Unterschied zwischen der natürlichen Tatsache und dem ausgedachten Überbau, wäre dann wohl die Frage.

 dubdidu ergänzte dazu am 18.10.25 um 18:35:
@Dance, was genau meinst du mit der natürlichen Tatsache und dem ausgedachten Überbau? Auf die Gefahr hin, dass ich deine Def. misinterpretiere, versuche ich folgende Antwort:

Kultur ist menschengemacht. Ein Individuum aus einem beliebigen Kulturkreis verhält sich zu seiner Kulur, aber er ist nicht aus ihr gemacht. Er kann ihre Praktiken sogar verwerfen und sich einer anderen anschließen. Es ist ganz ähnlich wie mit Sprachen.

 DanceWith1Life meinte dazu am 18.10.25 um 19:01:
Natürlich beschäftigt mich in erster Linie die Frage, ob es einen Unterschied zwischen Tatsachen und Interpretieren gibt, da ich, wenn immer ich etwas sage eine Interpretation von mir gebe, kann ich dir keine Definition von „natürlicher Tatsache“ anbieten, sorry

Antwort geändert am 18.10.2025 um 19:02 Uhr

 dubdidu meinte dazu am 18.10.25 um 20:24:
da ich, wenn immer ich etwas sage eine Interpretation von mir gebe
Das geht jedem so, es ist nur nicht jedem bewusst. Ich fragte nicht nach einer allgemeingültigen Definition, sondern nach der, die deiner Interpretation gemäß ist, da natürlich ein sehr strapazierter Begriff ist.


So wie ich natürliche Tatsache interpretiere, ist es eine natürliche Tatsache, dass Menschen Kultur schöpfen, aber auch, dass interkulturelle Kommunikation möglich ist.

 DanceWith1Life meinte dazu am 18.10.25 um 21:38:
Jemand dem ich gern zuhöre, sagte mal, wenn du die Bibel, den Koran, die Gita und alle anderen Schriften in einen Raum sperrst, wird es dann Streit geben, oder jetzt von mir auf das hier verwendete Beispiel übertragen, wenn du Lasagne, Pizza, Spagetti und Brot mit Tomaten und Basilikum auf denselben Tisch stellst, wird es dann Krieg geben? Natürlich nicht, wir streiten wer das Beste Rezept hat, aber alle erwähnten Gerichte haben sogar dieselben Grundzutaten, Getreide, Wasser, Tomaten, Gewürze und Käse, z.B.

Vielleicht sollte man hinzufügen, alle Zutaten sind eine Spende des Planeten auf dem jeder der Beteiligten das große Glück hat zu leben, oder anders gesagt, ohne den nichts davon möglich wäre.

Antwort geändert am 18.10.2025 um 21:51 Uhr

 dubdidu meinte dazu am 18.10.25 um 23:26:
Das ist ein schönes Bild, Dance, und ich stimme seiner Aussage zu.

 Nuna (18.10.25, 18:07)
Hallo Cora,

wirkt auf mich wie ein biblischer Text. Obwohl ich befürchte nach einem atomaren Niederschlag wird es keine umverseuchten Zitronen mehr geben.

LG Nuna

 dubdidu meinte dazu am 18.10.25 um 18:13:
Wer bitte ist jetzt Cora?

Ja, als religiöser Text war es gemeint. Einen realen atomaren Schlag behandelt er nicht, die Apokalypse ist rein literarisch.

 Nuna meinte dazu am 18.10.25 um 18:21:
Ich hatten den atomaren Niederschlag vom schwarzen Schnee abgeleitet. 

Du erinnerst mich an eine Autorin aus Schleswig Holstein die sich Cora :) nannte.

 dubdidu meinte dazu am 18.10.25 um 18:36:
Nun, die bin ich nicht.

Der schwarze Schnee ist nur eine Verkehrung ins Gegenteil.

Antwort geändert am 18.10.2025 um 18:36 Uhr

 Saira (18.10.25, 18:55)
Moin dubdidu,
 
dein Text liest sich wie ein Gleichnis … biblisch in der Sprache, aber zutiefst menschlich in der Botschaft.
 
Das Bild vom schwarzen Schnee und den ausgegrabenen Wurzeln ist erschreckend stark: Eine Welt, die sich selbst verkehrt hat, bis die Menschen gezwungen sind, in sich selbst zu graben.
 
Erst wenn der Mensch seine vermeintlichen Unterschiede verdaut, kann Neues entstehen.

Obwohl ich meinen Glauben schon vor vielen Jahren verloren habe, hinterlässt dein Text einen echten Wow-Moment.

 
LG
Saira

 dubdidu meinte dazu am 18.10.25 um 20:19:
Ich bin auch nicht religiös, Saira. Leider verbauen sich Menschen, ihre natürliche Möglichkeit zum freien Austausch und Wachstum in dem sie sich an Mythen wie Herkunft festklammern. Als wäre es so schwer zu begreifen, dass man gleichermaßen einzigartig und von derselben Art sein kann...

 Jericho (18.10.25, 20:31)
Da kehrte die Sonne zurück... und alles ging wieder von vorne los...


Oder sie akzeptieren ihre individuelle Eigenverantwortung und widerstehen dem Hang sich anonym in der Masse hinter identitaeren konstrukten zu verstecken. Wäre cool

 dubdidu meinte dazu am 18.10.25 um 21:06:
Genau! Und sie sehen, dass es gut ist  :)

 Tula (18.10.25, 21:42)
Hallo dubdidu
Ungewöhnliches Märchen, aber geistreich und kulinarisch unterhaltsam.


sie glichen sich in ihrer kläglichen Verschrumpelung mehr

als sie sich unterschieden.

Das finde ich ausgesprochen poetisch. 

LG Tula

 dubdidu meinte dazu am 18.10.25 um 23:16:
Das freut mich! :)
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