Das Immermehr

Elegie zum Thema Rausch

von  Saira

Die Nacht verkauft ihr letztes Stück,
im Chromlicht flirrt die süße Lüge.
Ein Selfie wiegt viel mehr als Glück,
und Wahrheit trägt Designerzüge.

Der DJ mixt Bewusstsein pur,
verpackt in Drops aus „Love & Power“.
Er nennt’s Gefühlskultur – doch nur
klingt alles wie aus Werbe-Hour.

Mister Angel, neuer Dealer,
hat „Mindfulness“ im Logo stehen.
Er spricht vom Glow, wird selbst zum Healer,
sobald die Dosen übergehen.

Lia und Marc, perfekt inszeniert,
sie posten Nähe, glatt retuschiert.
Ihr Kuss, der künstlich arrangiert,
hat echtes Fühlen ausradiert.

An der Bar wird Trost serviert,
in Kelchen voll von Selbstversprechen.
Man lacht, als wär man inspiriert,
und übt das schöne Weltverbrechen.

Die Gläser flimmern, sacht verziert,
die Blicke tanzen – leicht verstört.
Ein Lächeln, das den Halt verliert,
bevor ein Wort den Boden stört.

Der Drink – so süß, so unbeschwert –
verspricht die Nacht, doch hält sie nicht.
Man träumt sich wach, halb umgekehrt,
im falschen Film, bei grellem Licht.

Die Tanzfläche – ein Menschenmeer,
das blinkt, verbrennt, sich selbst betört.
Ein jeder sucht das „Immermehr“,
bis keiner merkt, dass nichts mehr stört.

Ein Trunk, der löscht, was nie geschah,
die Zeit verrinnt in blassem Flirren.
Kein Blick, kein Name bleibt mehr da,
wo selbst die Spiegel Bilder irren.

Der Morgen kommt, verkatert, bleich,
das Neon schneidet durch das Schweigen.
Was blieb, bleibt stumm – so leer, so gleich –
kein Wort will sich mehr zeigen.

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025



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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (06.11.25, 15:12)
Hallo Sigi,

so viel Schein und Sein heutzutage ...

Einige der Fachausdrücke kannte ich gar nicht und gen Ende hätte ich den Trunk fast für einen Angliszismus gehalten.   :O

Liebe Grüße,
Dirk

Kommentar geändert am 06.11.2025 um 15:12 Uhr

 Saira meinte dazu am 06.11.25 um 18:25:
Moin Dirk,

ich danke dir und nehme das mit dem „Fachausdruck“ als Kompliment. :)


Das Vokabular der Gegenwart klingt ja oft, als hätte jemand Philosophie mit einem Energydrink gemixt.  
Und der Trunk wollte einfach zeigen: Auch altdeutsche Worte können schwindelig machen. 


Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg (06.11.25, 15:31)
Hallo Sigi,

deine anspruchsvolle Metaphorik und Wortwahl verdeutlichen: Die Gier nach immer mehr jagt dem Schein nach und verliert sich im Rausch.

Liebe Grüße
Ekki

 Saira antwortete darauf am 06.11.25 um 18:26:
Lieber Ekki,

ich danke dir! Genau das war mein Gedanke: diese Spirale des „Immermehr“, die den Menschen in Bewegung hält, bis er sich selbst verliert.


Mich reizte dabei besonders die Sprache der Verheißung ... wie Werbung, Spiritualität und Selbstoptimierung ineinander übergehen, bis alles nach demselben klingt.


Herzlichst
Sigi

 DanceWith1Life (06.11.25, 15:54)
Berauscht ist wie von Sinnen
Die Fläche tanzt die Wände beben
und wollte mal ein Lied beginnen 
hat es nur Beat und kaum mehr
Herz und Melodie zu geben

Doch auf der anderen Seite dieser
Zeit besinnt man sich ganz analog 
nimmt Cello Flöte Cajun unplugged
vegan und Beauty Weekend sind zwar teuer
Doch auch die Zeit davor 
war voller Ungeheuer
Wir leben nicht uns selbst
hat viele Farben
das Ergebnis bleibt sich treu
das sieht man an den Narben

 Saira schrieb daraufhin am 06.11.25 um 18:29:
Moin Dance,

das gefällt mir sehr, dein poetisches Echo ... wie eine zweite Stimme zum gleichen Thema, nur aus der anderen Ecke des Raumes.
Ja, wir taumeln zwischen Beat und Besinnung, zwischen Rausch und Rückzug.
Danke für diese Resonanz in Versform ... sie bringt die Szene zum Weiterklingen.

LG
Saira

 Moppel (06.11.25, 18:23)
das Immer Mehr hinterlässt Leere. Das hast du in guter Poesie verdichtet, Saira. lG von M.

 Saira äußerte darauf am 06.11.25 um 18:31:
Danke, Moppel,

ja – das Immermehr endet oft im Immerweniger.
Gut, wenn das Gedicht genau das spürbar macht.

LG
Saira

 Pearl (06.11.25, 21:01)
Hallo!

Ich habe mal in einer Doku über Erleuchtung - und durch welche Wege in der Geschichte der Menschheit der Mensch sie zu erreichen suchte, eine unpopular opinion gehört: 

Heutzutage ( das war Anfang der 2000er) könnten sie am ehesten junge Leute unter Drogeneinfluss auf einem Rave kurz aufspüren...

Und so Unrecht hatte der Mönch ( ich glaube, es war ein Mönch) gar nicht. Auf einem Rave in Rimini mit lieben Freunden habe ich unter Ecstasyeinfluss, Liebe, und nichts als das, gespürt.

Die Gefahr von Liquidem und Drogen, um gut anzukommen, werden in folgendem Song poetisch zum Ausdruck gebracht. Er ist für mich Art in its purest form:

https://youtu.be/B5YNiCfWC3A?si=wx3bcGtIF3HjGehv

Du aber beschreibst die Kehrseite: wenn man feiern geht,  um gesehen zu werden. Sozusagen ein "Entweihter Mysterienkult."

Lieb grüßt dich

Pearl
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