Im tiefen Stein

Kurzgeschichte zum Thema Familie

von  RainerMScholz

Mein Vater...war ein großer Mann, also ungefähr, naja, also ich war etwas kleiner, drei Zentimeter oder so, als ich ausgewachsen war, genetisch bedingt, oder weil ich als Kleinkind in der Klinik fast abgenibbelt bin, weil sich keiner darüber klar werden wollte, wer jetzt zuständig ist, - und er war auch schwerer als ich, erheblich, und kräftiger, na klar, eigentlich war alles besser an ihm, außer dass er früh gestorben ist.

Er hat das auch gerne gezeigt, er konnte Bauen, Schreinern, Autofahren – das war ja sein Ding -, Angeln, Tretbootfahren, nein, richtig Segeln, mit Schein und so, - alles besser als ich. Ich scheine eine ganz schöne Flasche zu sein. Am Ende immer noch. Aber jetzt ist er ja tot. Schon lange. Eigentlich seit seine Enkelin geboren ist. Ein halbes Jahr später. Krebs. Das scheint er dann doch nicht verkraftet zu haben, dass sich alles ohne seinen Einfluss entwickeln könnte, der Verräter. Hat sich aus dem Staub gemacht, als es darauf ankam.

Eine Armbrust konnte er drechseln, ich habe im Heimwerkerkeller dabei zugesehen, ein Schaukelpferd konnte er zusammenzimmern, das so groß war, dass es mir Angst einjagte, oder ein Plastikschwimmbecken mit Überdachung im verwilderten Garten seiner ehemaligen Schwiegereltern errichten, bei denen ich als kleiner Junge lebte.

Mit Tieren konnte er gut. Sein Deutscher Schäferhund, sein Pferd, damals bei seinem Chef, sein Leck-mich-am-Arsch. Ich war neidisch auf den kleinen Hund, den er nach dem Reiten im Arm hatte, den hasste ich, weil ich mich so – eben ungeschickt angestellt hatte. Ich war der Pferdeclown gewesen auf diesem Reiterhof, der dauernd unfreiwillig abgestiegen war vom Pferderücken, und zwar in den abgetragenen Stiefeln seines Vaters; aber er hatte auf der Heimfahrt den Kopf des Hundes auf seinem Kordhosenoberschenkel, der ihn mit großen Augen ansah, und ich saß nur daneben; weil der funktioniert hatte, und warm hechelte; ich saß nur so da.

Ich hätte gerne mehr Liebe entgegengebracht, aber es ging nicht – und so ist er allein gestorben, ich war nicht auf der Palliativstation dabei, als er starb und vielleicht seine letzten Worte sprach, gesprochen hätte, zu mir.

Ich hatte das frischgeborene Kind, und er hatte nichts. Der Feigling.

Und ich denke an ihn. Die Verluste, die Verfehlungen, das Auslassen, das Schweigen. All das Unwiederholbare und das Ungesagte, natürlich.

Ich weiß noch, wie du mich das Gespann auf der Autobahn hast fahren lassen auf deinem Schoß; und wie stolz ich war, dass du mich das hast machen lassen. Dass du mir das zugetraut hast. Ich kam mir vor wie ein wahrhaftiger Sohn vor einem nahezu unerreichbaren Vater, der sich zu mir herabbeugt und mir seine Hand reicht.

Jetzt fährst du in meinen Gedanken an einem anderen Ort, reitest über grüne Wiesen; ich fahre hier; und Clara wächst heran; manchmal, wenn sie fragt, erzähle ich von ihrem Großvater, den sie nicht kennengelernt hat. Und ich auch nicht.



© Rainer M. Scholz



Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online: