Feyen II

Kurzgeschichte zum Thema Existenz

von  RainerMScholz

Imaginärer synkretisch atavistischer Eisprung. Vielleicht wollte ich meine Oma mit ihren Dritten Zähnen auch einfach nicht auf den fordernden Mund küssen, der sich mir in diesem Trierer Hausflur zur verlogenen Begrüßung entgegenwölbte, wie aus einem Wachsgesicht, verschwollen, gieriggeil, hassig, - weil ich mich gerade aus diesem katholischen Jungeninternat herausgeschält hatte, in dem Gewalt kataklystisch an der Tagesordnung gewesen war, und wo sie mich im Verbund mit ihrer Tochter hinverfrachtet hatte, damit aus mir etwas werde. Auch weil ihr Sohn sich umgebracht hatte, nicht wahr. Und ihr Mann war sehr schwerhörig, vor allem, seit er sie geheiraten musste und lieblos seit Jahrzehnten nicht mit ihr spricht. Aber ich wollte eben auch nicht diese Übergriffigkeit und das Gesabbere und das Gestammele. Ich hasste das und es war mir zuwider. Mein Onkel Matthias hatte sich wegen seiner Homosexualität in seinem Opel GT im Wald vergast, und aufgrund der Ablehnung und Verachtung und Hilflosigkeit, die ihm entgegengebracht wurde und die er selbst verspürte, auch von Seiten seiner Mutter, seines Vaters; seine Freunde stanken aus dem Mund, nicht wahr, das habe ich erst heute begriffen, was damit gemeint ist, dass damit möglicher Oralverkehr angedeutet gewesen sein könnte, ganz katholisch, versteht sich; und irgendwie rural, eifelig, von der Eifel her nach Trier ist es ja nicht so weit, auch wenn man ein Krüppel ist, wegen ihres verkürzten Beines, denn deswegen wurde sie doch mit einem Schwerhörigen aus dem Rheintal vermählt, gezwungen, sich zu vereinigen vor Gott, dem Tabernakel der Ehe, und den Menschen.

Deine Tochter ist auch abgehauen in jungen Jahren und sie hasste dich bis zum Schluss. Ich weiß es, denn sie hat es mir gesagt, der ich als einzig naher Verwandter auf deiner lieblosen Beerdigung war. Wie sollte ich da deinen Mund küssen, der so gierig und verzweifelt und traurig war. Es ist mir nicht möglich gewesen, Oma, du musst alleine da sitzen im Hinterhof zwischen den baufälligen Schuppen im Rest dieses schalen Sonnenscheines und die Unbegreiflichkeit, die tiefe Einsamkeit und den leidvollen Verlust der Abwesenheit aller Liebe ertragen, nicht verstehend, was das ist, vielleicht – Liebe.

Die Einsamkeit des Unbegreiflichen, die angewiderte Ablehnung der aufgenötigten Verzweiflung des Kusses des Einzigen, der blieb und doch längst gegangen war.

Ich denke an die vertrocknete Scham, aus der einmal zwei Kinder gezwungener Lust hervorgekrochen sein müssen.

In Freude und Aufrichtigkeit wird es bei Licht nicht geschehen sein.

Aber damit habe ich nichts zu tun.



© Rainer M. Scholz



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