Er konnte partout nicht begreifen

Geschichte zum Thema Alltag

von  KopfEB

Er saß in dem Park, so wie jeden Tag. Im Grünen und Freien.
Sein Blick schweifte von Grasspitzen über Blätter und Wipfel zu Vögeln und weiter. Ab und an durchbrach auch ein Mensch die Idylle und ein paar warfen ihm sogar Geld in den Hut. Die Meisten blickten allerdings nur dumm auf sein Blatt und schüttelten verwirrt den Kopf.
„Brauche Geld für Stift und Papier“ Was sollte denn das auch heißen?! Immer mal wieder blieb jemand stehen und fragte ihn eben dies. Er hatte schon bücherfüllend darüber geschrieben und kein Fazit in Sicht, keine Moral der Geschichte. Diese Leute fragten dann oft: „Warum suchen sie sich denn keinen Job? Wie die Anderen sollten auch sie arbeiten!“ „Aber ich hab doch Arbeit, mir zahlt nur niemand was dafür.“ „Dann ist das auch keine Arbeit.“ „Das sagen sie nur, weil sie es noch nie gemacht haben.“ „Ach, papperlapap“, sagte der Gegenüber dann immer.

Er konnte nicht begreifen, dass er nicht begriff.

Ich muss weiter, keine Zeit für solchen Humbug. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass das Treffen schon in 13 Minuten stattfindet und ich habe mich heute morgen für eine ziemlich schlechte Krawattenwahl entschieden, wie ich mittlerweile denke. Dies zu ändern wird mich mit Sicherheit 2 Minuten kosten, die Strecke die ich noch bis zum Büro zurücklegen muss weitere 8. Ein Glück das Elli, meine alte Sekretärin, mir einen Kleiderschrank im eigenen Büro eingerichtet hat, das ich mir mit Frank teile. Sonst hat das Treffen u.U. ohne mich beginnen müssen.
Warum musste er auch jeden Tag bei diesem Penner anhalten und guter Samariter spielen! Sicher, er könnte einfach nur eine paar Münzen in den Hut werfen, das wäre effizienter. Aber solch ein Verhalten schien ihm irgendwie nicht genug. Geld zum Versaufen und Verrauchen sollten ihm die Anderen in den Rachen schmeissen. Er versuchte ihn davon zu überzeugen seinen Hintern zu bewegen, etwas auf die Beine zu stellen. Und das 3 Minuten, jeden Tag an der selben Stelle.
Oh mein Gott, jetzt bin ich doch glatt ins trödeln gekommen wegen dieser merkwürdigen Gedanken. Schon 5 vor Zwölf! Immer dieser merkwürdige Samariter, das muss aufhören. „Morgen nicht stehenbleiben!“, so steht es ab sofort in meinem Kalender.


Anmerkung von KopfEB:

Dieses Einordnen in eine Kategorie geht mir aufn Kecks. Ich will meine Sachen doch nich in Sack stecken lassen.
Naja, ich würds eher als "Geschichte mit Spiegelebene" beschreiben, als irgendwie anders, aber die Schublade gibts hier ja nich.

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Kommentare zu diesem Text


 Shagreen (27.10.05)
Ja, guter Text, der die zwei Seiten der wertförmigen Vergesellschaftung zeigt; einerseits die ökonomische Seite mit ihrer entsinnlichten Rationalität und Zeitspar-Logik, andererseits die vom (ökonomischen) Wert abgespaltene sinnliche Seite, die zum Verweilen einlädt ("Dem Glücklichen schlägt keine Stunde") und uns die Welt erst erfaßbar (begreifbar) macht. Trotzdem bleiben beide Seiten spiegelbildlich aufeinander verwiesen, um sich reproduzieren zu können. Siehe auch das Wertabspaltungstheorem (z.B. http://www.left-action.de/wkl/wertabspaltung.html) oder auf den Seiten der deutschen Wertkritik. Liebe Grüße, Andreas.

 KopfEB meinte dazu am 01.11.05:
Vielen Dank fuer deine Linktips, auch die auf deiner Homepage. Ich war das Wochenende gleich mal im Gebiet der Freien Republik Schwarzenberg unterwegs und hab mit einer zustaendigen Archivarin gequatscht. Wirklich aeusserst interessante Geschichte.

 Shagreen antwortete darauf am 01.11.05:
Ja, finde ich auch. Konnte das anfangs gar nicht glauben, aber bedenkt man die Hintergründe, machte dieser unbesetzte Korridor durchaus Sinn. Ich freue mich, daß Du den einen oder anderen Link (noch) nachgehst. Liebe Grüße, Andreas.
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