und plötzlich war alles Zeitlupe

Erzählung zum Thema Einsamkeit

von  Secretgardener

.
.
.


Hektisch lief ich durch die Einkaufspassagen. Ich mußte noch einige Besorgungen machen, das Meiste nicht einmal für mich, so kann man Samstage auch versauen, 2 Stunden vor Ladenschluß.
Die Massen drängten sich einmal wieder durch die viel zu engen Wege, stießen zusammen, schauten sich mißmutig an. Wie 2 Ströme flossen sie aneinander vorbei. Doch ich war nicht viel besser, aber wie soll man auch unter diesen Umständen lächeln können?
Ich sah eine Gruppe Jugendlicher, die sich vor einem Schaufenster versammelten und die überteuerte Technik aus dem Billigarbeiterland Korea ansahen. Ich sah eine unscheinbare Frau, die sich Ihre Nase plattdrückte um rote Schuhe aus Echtleder zu bestaunen. Ich sah eine alte, zusammengefallene Frau, die ihrem Mann vorschrieb, was er sich zu kaufen habe.
Ich versuchte ohne Reibung mit dem Strom der Unzufriedenheit zu schwimmen und hin und wieder zu einem Geschäft abzubiegen.
Ich überlegte, mir etwas Luxus zu gönnen und meinen kleinen Plattenladen aufzusuchen, doch mein Gewissen sagte mir, daß ich sparen müsse und dort sowieso schon zu sei.
Ich sah vor mir, wie Menschen kreuz und quer durcheinander liefen, als sich plötzlich eine Lücke auftat, und alles in Zeitlupe ablief.

.

Auf dem Boden saß ein kleines Mädchen, 8 Jahre, nicht älter. Es saß auf dem Boden und hielt etwas in der Hand, ein kleines Stofftier. In ihren schwarzen Haaren hatte sie eine Blume, die langsam welk wurde. Ich bemerkte, daß vor Ihr der Kopf eines kleinen Kaninchens lag.
Ich sah ihre aufgescheuerten Knie, und Schuhe, die sich nicht mehr richtig schließen ließen.
Sie saß da halb liegend auf dem sandigen Pflaster wie eine weinende Meerjungfrau.
Mit einer Hand griff Sie nach dem Kopf. Sie hob ihn auf und wollte ihn wieder auf das Kaninchen stecken. Doch es war aus Stoff, es ging nicht. Sie nahm das Tier in die andere Hand und ich sah, daß das weiße Fell am Bauch rot war. Ihre linke Hand war innen mit Blut überzogen. Sie wischte sich Tränen aus Ihren verquollenen Augen, und hinterließ einen roten Streifen auf Ihrer unschuldigen Wange.
Sie sackte in sich zusammen und hielt ihren Liebling offen in den Händen, schaute hinein und wußte nicht, was Sie tun sollte.

.

Ich rannte, so schnell es das Gedränge zuließ, zu Ihr. Ich rannte immer schneller, stieß immer mehr Menschen an, doch es kam mir vor, als ob ich immer langsamer wurde.
Nach schier endloser Zeit kam ich zu dem Platz, an dem Sie saß, doch Sie war weg. Ich schaute mich panisch um. Ich wollte ihr doch helfen; ich wollte Sie in den Arm nehmen, sie trösten, Ihr sagen, daß wir Ihren Kleinen wieder hinbekommen, doch Sie war weg.
Ich guckte nach unten und sah kleine Bluttropfen, die schon verschmiert waren, die Schuhsohlenmuster aufwiesen. Und ich sah den kleinen Kopf Ihres Kaninchens. Ich hob ihn auf und sah ihn mir an. Ein ganz gewöhnliches Stofftier, mindere Qualität. Und trotzdem vielleicht alles, was Sie hatte. Er war von der Abnutzung einfach abgefallen; es war einfach zuviel; im Gegensatz zu Ihr konnte er einfach aufgeben.
Ich steckte ihn in meine Brusttasche und dort ist er seitdem. Ich trage ihn immer bei mir, für den Fall, daß ich dieses kleine Mädchen wieder sehe.

.
.
.


Anmerkung von Secretgardener:

...untermalt von Mozarts Requiem; natürlich nur unter Anleitung von von Karajan...

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

DaughterOfHama89 (20)
(09.01.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 09.01.06:
Hab´ vielen Dank. Alles was Du aufzählst wollte ich genau so erreichen.
Wenn man beim Schreiben diese Musik hört, hilft es einem sehr.
Und der Text kommt dem, was ich im Kopf hatte, auch recht nahe.
Liebe Grüße, Secret.
jeyMaus (23) antwortete darauf am 10.01.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener schrieb daraufhin am 10.01.06:
Hab´ vielen Dank. Schön, daß es gefällt, hatte auch ein gutes Gefühl beim Schreiben.
Interessant ist auch, daß es niemand für Zeitlupe halten würde, hätte ich es nicht hineingeschrieben...
Viele Grüße, Du in-fremde-Kommentare-schreibende, Secret.
;-)))
jeyMaus (23) äußerte darauf am 10.01.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
C.S.Steinberg (43)
(11.01.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener ergänzte dazu am 11.01.06:
Vielen Dank.
Schreib´ mir dann mal eine Nachricht, wenn Dein inspirierter Text fertig ist! Auch, wenn ich damit vielleicht Vorstellungen zerstöre: auch dieser Text hier ist inspiriert worden, also, ziemlich erfunden. Oft beobachte ich ja Personen und Ereignisse und schreibe dann darüber, aber hier war es mal nicht so; ich hoffe, daß der Text jetzt nicht schlechter dasteht. Der Text, der mich inspiriert hat ist im Übrigen  "Ein Versuch" von Mondaugenmädchen, in meinem Kommentar sieht man es...
Nun, ich finde diese "Du bist Deutschland"-Werbung ja etwas irritierend. Wahrscheinlich musst Du fast heulen, weil im Hintergrund die Melodie von Forrest Gump (habe die Doppel-DVD und den Soundtrack, hehe) läuft, und der Film war stellenweise schon sehr traurig; vielleicht erinnert Dich die Melodie unbewußt daran...
Also, Danke für Deinen schönen Kommentar und liebe Grüße, Secret.
C.S.Steinberg (43) meinte dazu am 11.01.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 23.05.06:
...und nach Äonen sprach Er:
...übrigens wurde der Spruch "Du bist Deutschland" schon von den Nazis benutzt...Zusammenhänge will ich jetzt aber nicht sehen...
fairytale (22)
(03.02.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 03.02.06:
Freut mich, daß mein Text Dich berührt, dann hat er seinen Sinn erfüllt...
Liebe Grüße und Danke für´s Empfehlen, Angelo.
HvidLiljer (35)
(22.02.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
HvidLiljer (35) meinte dazu am 22.02.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
HvidLiljer (35) meinte dazu am 22.02.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 22.02.06:
Entschuldigen brauchst Du Dich wirklich nicht, damit hast Du meine Stimmung heute enorm angehoben. Ich bin sehr überrascht, daß mein kleines Stück soviel bewirken kann.
Ja, den Titel wollte ich diesmal aussagekräftig und passend zum Text, das kommt bei mir nicht immer vor. Ich habe lange überlegt, ob ich es nicht "...alles IN Zeitlupe" nenne.
Es ist schon komisch, wie bestimmte Faktoren die Stimmung ändern können. Wäre dieses Mädchen nicht da gewesen und ich hätte eine charmante, unabhängige Frau reingeschrieben, würde die Masse viel sympathischer wirken. Es ist wie mit Kopfhörern rumzulaufen, je nach Musik kommt es einem anders vor...
Das Häschen ist natürlich unglaublich symbolschwanger. Das ist einer der Texte, bei denen man so wunderschön intensiv und brutal schreiben kann, so etwas fordert mich immer heraus, spornt mich an.
Vielleicht wollte ich auch ausdrücken, wie traurig es sein kann Kinder leiden zu sehen und ihnen nicht helfen zu können, weil sie zu weit weg sind.
Dein Ausschnitt klingt auch wunderschön, wie heißt denn der Text von Dir?
Vielen Dank für´s Empfehlen, für Deine wundervollen Kommentare und vor allem ein großes Dank für Dein Urteil über mich, so etwas tut manchmal richtig gut...
Allerliebste Grüße, Angelo.
HvidLiljer (35) meinte dazu am 23.02.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
*princess-of-darkness* (18)
(12.07.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 12.07.06:
Danke für´s Lesen und sogar noch empfehlen.
Die Musik muß man auch nicht wirklich gehört haben dazu, das war das, was ich beim Schreiben gehört habe, damit lief es dann...
Liebe Grüße, Angelo.
*princess-of-darkness* (18) meinte dazu am 12.07.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Woschanova (52) meinte dazu am 22.07.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 22.07.06:
Pui, Gott sei Dank den Positiven
Vielen Dank und Grüße.
*princess-of-darkness* (18) meinte dazu am 22.07.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 22.07.06:
Ja, muss ja auch mal sein
mood (28)
(14.08.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 14.08.06:
Vielen Dank, die Situation genau beschreiben wollte ich.
Ja, in gewisser Weise wie die Katze, auch, wenn die Intentionen für die beiden Texte unterschiedlich sind.
Im übertragenen Sinne fallen die Köpfe bei Menschen wohl auch ab, nur merken wir es selten und sehen bei anderen tun wir noch seltener...
zackenbarsch† (74)
(14.08.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 14.08.06:
Vielen Dank für das nette Kompliment, und für die Empfehlung.
Ja, immer schön, wenn man so schöne Kommentare bekommt.
Freut mich, daß es Dir gefällt.
Viele Grüße, Angelo.

 Maya_Gähler (14.08.06)
Mitten aus dem Leben gegriffen und sehr gefühlvoll geschrieben. Mich hat es sehr berührt. Danke dir. Liebe Grüsse Maya

 Secretgardener meinte dazu am 14.08.06:
Vielen Dank (auch für die Empfehlung), genau so sollte es auch werden.
Freut mich, daß es Dir gefällt.
Liebe Grüße, Angelo.
Werefrog (22)
(06.09.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 06.09.06:
Erstmal einen Dank für die Empfehlung und für Deine Mühen zum Text.
Ich werde mir in den nächsten Tagen alles mal genau ansehen und überlegen; hab´s erstmal überflogen.
Viele Grüße, Angelo.
shadowhunter (28)
(13.09.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Secretgardener meinte dazu am 13.09.06:
Ich nehm´ das mal als Kompliment; Deine Kommentare werden ja immer kürzer, irgendwann machst Du Steno
Aber vielen lieben Dank für die Empfehlung.
Liebe Grüße.
shadowhunter (28) meinte dazu am 13.09.06:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban (28.02.07)
Ein schwieriger Text. Mitten im vollen, hektischen Leben plötzlich eine Seifenblase, ein Zeitloch, in dem der Protagonist ein kleines Mädchen entdeckt, ein Kind, das etwas in ihm anrührt. Er scheint angesteckt vom Zeitausfall, steht nun ebenfalls still in einer Seifenblase aus Zeit, beobachtet, registriert, sieht die Not, die Gefahr (Blut), will dort hin, will dem Kind helfen, kommt nicht aus seinem Zeitloch frei und als er wieder inzeitig zwischen den anderen steht ist die Kleine weg. Sie war da, war keine Einbildung, die Blutströpfchen zeigen es ihm. Wo ist sie so schnell hin?

Spannend und gut erzählt, eindringlich, irritierend. Aber genau so sollte diese Geschichte ja wirken. Sehr gut gelungen.

LG, Isaban

 Secretgardener meinte dazu am 28.02.07:
Genau diese Unfähigkeit wollte ich ausdrücken. Diese plötzliche Erscheinung, das Verändern des Momentes.
Hab´ Dank für das Lob.
Liebe Grüße, Angelo.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram