Willkommen zurück im Leben

Text zum Thema Leben/Tod

von  apocalyptica

Zunächst einmal ist gegen eine pizza tonno mit spinaci und viel Knoblauch nichts einzuwenden, zunächst. Zumindest dann nicht, wenn man sie selbst duftend und dampfend vor sich auf dem Teller hat. Ich hatte aber nur den Geruch vor der Nase, und zwar aus dem Mund und allen Poren der Anästhesistin, die rechts neben meinem Kopf stand und mir gut zuredete. Hätte sie doch wenigstens den Mund gehalten…

Gut, normalerweise hätte ich auch nicht auf diesem OP-Tisch gelegen, nicht am Sonntagabend nach 22 Uhr, aber wer sucht sich das schon aus? Not-Operation am Sonntagabend, zur allerbesten Fernsehzeit? Und wer besteht dann auch noch auf einer Rückenmarkspritze statt der üblichen Vollnarkose? Nun, ich hatte es so gewollt und die Narkoseärztin hatte sich auch den Verlauf ihres Abends anders vorgestellt.

Überhaupt war die Stimmung im OP recht aufgelockert, während meine eigene Anspannung langsam stieg. Ich war zwar hellwach, aber dennoch wohl die einzige im Raume, deren Laune gegen Null ging. Man lässt sich schließlich selten freiwillig operieren und für den Patienten ist wohl im Allgemeinen diese Situation nicht so nebensächlich und teilweise auch lustig wie für die Ärzte, die nach einem angeregten Fachgespräch über Pizza und vino rosso beim neuen Italiener an der Ecke langsam zur Exekution schritten.

Fast beiläufig, zwischen ‚hast du die schon mal probiert?’ und ‚na ja, billig ist er nicht gerade’ wurde das Skalpell angesetzt und statt Pizza in den Bauch bekam ich……Aber das ist eine andere Geschichte. Ich weiß nur, dass es ein etwas absonderliches Gefühl ist, alles zu spüren, was mit dir geschieht, ohne jedoch Schmerz zu empfinden. Sich dabei gleichzeitig gedanklich in einer Pizzeria aufzuhalten, nur störte die große OP-Leuchte den Gesamteindruck, Kerzenschein wäre romantischer gewesen.

Statt des guten roten Weines bekam ich eine weitere Infusion, diesmal kein Dopingmittel zur Stabilisierung des Kreislaufs, mir drehte sich ohnehin bald alles vor den Augen im Kreis, nein, ein leichtes Beruhigungsmittel wurde injiziert… Ich war doch aber ruhig… oder… Moment…plötzlich wurde meine Ruhe sehr aufgeregt, ich begann zu zittern wie Espenlaub, alles bebte, mit mir der OP-Tisch, und ich fror, mir war so entsetzlich kalt. Da halfen auch alle grünen und dunkelblauen sterilen Tücher nicht mehr, die grünen erinnerten mich an einen Rasen voller Raureif, die blauen an den kalten Winterhimmel….

Mein Gott, war das kalt! Und ich verlor komplett die Kontrolle über mich, dieses unentwegte Zittern… Warum konnte ich nicht mehr still halten? Ich wollte schreien, doch meine eisige Zunge fiel mir in den Rachen und nahm mir die Luft zum Atmen. ‚Nun beruhigen sie sich doch’, ja, will ich doch auch… Eiskalt griff etwas nach mir, die Luft blieb mir im Halse stecken und die Arme und Beine ruderten haltlos in der dünnen Ätherluft herum. Mein letzter Gedanke galt dem Eis, das mich scheinbar umgab… Nein, kein italienisches gelato zum Dessert, sondern eher Eiswürfel im Tiefkühlfach, in dem ich mich wohl mittlerweile befand. So hatte ich mir meinen Tod nun wirklich nicht vorgestellt, auch wenn mir durchaus bewusst war, dass wir alle in einer Welt voller Kälte leben.

Wo war der Tunnel, an dessen Ende ein Licht scheinen sollte? Wo waren die bunten Farben, die man sehen sollte, die leisen Stimmen, die man im Finale hören sollte?
War mir so kalt, weil ich im Himmel schwebte? Dort oben herrschen ja nun andere Temperaturen, aber von dieser Eiswüste hatte ich noch nie gehört… Und ich schwebte auch nicht, ich lag nach wie vor auf dem OP-Tisch. Keine Szenen aus meinem nunmehr abgelaufenen Leben erschienen mir vor den Augen, kein Film spulte sich ab, hatte ich also nie etwas erlebt, nie wirklich gelebt? Ich wusste es nicht, so viele Fragen sollten also offen bleiben.

Diese Kälte, war ich schon unter der Erde im gefrorenen Boden? Warum musste ich sonst so sehr frieren, warum waren selbst die Tränen, die mir übers Gesicht liefen, so eiskalt wie einzelne Schneekristalle? Keine Antworten mehr, keine Empfindungen mehr, keine Geräusche mehr, kein Atmen mehr. Eingefroren. Tot.

Später, viel später, meine festgefrorenen Augenlider tauten nur langsam auf und gaben mir den Blick ins Grüne frei, auf das Kreuz… So sah es also im Jenseits aus. Grün gestrichene Wände mit Kruzifixen. Grün statt blau, ich war also nicht im Himmel gelandet, wo war ich denn nun nur? Und dass Gott das Kreuz als Symbol auch in seiner direkten Nähe brauchte, nun ja….und dann diese Geräusche… Sphärenklänge? Engelsharfen? Dieses rhythmische Klopfen…Himmelspforte?

Aber es wurde wärmer, immer wärmer, allmählich. Die Nähe der Sonne? Warum sprach man plötzlich von einem Medikamentenschock und wer war das überhaupt? Was war eine Intensivstation? Klinisch tot? Reanimiert? Wer? Diese Maschinen und Schläuche alle, brauchte man die im Jenseits? Warum durfte ich mich noch nicht einmal dort frei bewegen und war komplett verkabelt? Nach einer Auszeit zurückgeholt? Wohin? Wo war ich?

Moment, … der Duft neben mir erschien mir vertraut…Knoblauchpizza! Die Narkoseärztin lächelte mich an. ‚Willkommen zurück im Leben! Wann gehen wir zusammen Pizza essen?’


You've got life to love life and love life to have life!

An diesen Abend wurde ich erinnert duch den Text "Welten"   von Prinky.


Anmerkung von apocalyptica:

Diese Ereignisse sind nicht fiktiv; es ist tatsächlich so gewesen....

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Kommentare zu diesem Text

C.S.Steinberg (43)
(30.03.06)
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 apocalyptica meinte dazu am 30.03.06:
Liebe Cashim, auch wenn dein genauerer Kommentar nch kommt, sag ich dir bis hierhin schon einmal lieben Dank und herzliche Grüße,
die -bea
C.S.Steinberg (43) antwortete darauf am 05.04.06:
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TanzderSinne (30)
(30.03.06)
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 apocalyptica schrieb daraufhin am 30.03.06:
Liebe ive, ich freu mich sehr, dass du meine Geschichte so gut nachempfinden konntest, dass du auch schon fast die Knoblauchpizza riechen konntest...auch das Schmunzeln sei dir verziehen...heute lach ich schließlich selbst darüber, nur damls...war mir echt nicht so lustig zumute...
Knuddelgrüße und nochmal danke,
die -bea
Schroebibri (48)
(30.03.06)
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 apocalyptica äußerte darauf am 30.03.06:
Pizza zum Frühstück? Ich bin dabei! Okay, habs eben schon gesagt, damals war das nicht ganz so lustig...aber genauso hat sich die OP abgespielt...heute kann ich halt sagen: Hurra, wir leben noch...
Ich grüß dich ganz doll lieb,
die -bea

 Traumreisende (30.03.06)
he eine neue form, die gut zu dir passt! irgendwie war mir kalt und..... brrrr
was du mit worten anrichten kannst... nur nach pizza da war mir nicht zumute...
wirklich gut geschrieben!. lg silvi

 apocalyptica ergänzte dazu am 30.03.06:
Danke, liebe Silvi, für dein Lob! Nun ja, ich esse immer noch gerne Pizza...obwohl ich damals gedacht habe, ich würde so etwas nie wieder erleben...aber zum Glück hatte man die Gegenmittel beizeiten parat... und hat mich ja dann noch so eben zurückgeholt. War aber schon eine komische Erfahrung...
Ich drück dich,
die -bea
mmazzurro (51)
(30.03.06)
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 apocalyptica meinte dazu am 30.03.06:
pronto, pronto ;) e mille grazie!
*bacioni e un abbraccio, la -bea =)
starfish (45)
(01.04.06)
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 apocalyptica meinte dazu am 01.04.06:
Lieber Ralf, ich denke einfach mal, bei dieser Geschichte hatte ich eine gute Inspiration....die Vergangenheit, die Tatsachen...da fällt es mir leicht, so etwas in Worte zu fassen. Die Gedichte hingegen sind eben oft nur Träumereien, und Träume aufschreiben ist manchmal ungleich schwerer, weil man da immer wieder in Gedanken abschweift und neue Träume, Tagträumereien, provoziert...ich wünsche uns allen, dass unsere Träume in Erfüllung gehen werden...irgendwann.
Und für deinen Superkomm und die beiden Kreuzchen knuddel ich dich mal wieder ;)
Ganz liebe Grüße dir, die bubumouse =)
zackenbarsch† (74)
(23.04.06)
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 apocalyptica meinte dazu am 23.04.06:
Danke, lieber Friedhelm, für dein Kompliment und das Sternchen, das du mir geschickt hast! Weißt du, das Schlimme damals war, dass ich während meiner "Auszeit" einen wenige Minuten alten Säugling im Wärmebettchen neben mir liegen hatte....der somit fast zum Halbwaisen geboren worden wäre....und das war der Gedanke, den ich mit "hinüber" genommen hatte...
Heute, rückblickend und nach über 20 Jahren, kann ich mich dann schon eher den lustigen Aspekten dieses Erlebnisses widmen, aber es ist nun einmal so...immmer mal wieder, wenn ich eine intensive Knoblauchfahne rieche, kommt die Erinnerung!
Ganz liebe Grüße in deine Nacht,
die -bea =)

 Maya_Gähler (19.10.06)
ja liebe bea, jetzt verstehe ich, wieso du morgen gemeinsam mit deinem sohn, an seinem geburtstag, deinen geburtstag auch nochmal feierst...... weisst du..... als ich die geschichte las, da wurde mir kalt, heiss, traurig zumute und im nächsten moment musste ich lachen, ein wechselbad der gefühle hat sich da abgespielt.. was ja wieder mal zeigt, welch hervorragende beiträge du schreibst... doch als ich die kommentare las und vor allem den, den du dann zackenbarsch beantwortet hast, da ist mir der 10ner endgültig gefallen.......meine güte bea......es ist schon schlimm, dass du erleben musstest, wie das alles so ablief im op, aber die gewissheit zu haben, dass das neugeborene eigene kind gerade nebendran liegt und du es evtl nie in die arme nehmen kannst, das hat mich total aus den schuhen gehauen...... ich kann nur sagen......es ist wunderbar, dass du uns deine geschichte erzählen kannst......herzlich willkommen ihr zwei....auch wenn es schon lange her ist...
eine total berührte maya knuddelt dich mal ganz dolle

 apocalyptica meinte dazu am 19.10.06:
Und ich bin immer noch unheimlich berührt von deinem tollen und so sehr lieben Kommentar! Danke, liebe Maya! Ja, es war heftig damals. Okay, ich wollte die Kaiserschnittentbindung keinesfalls in Vollnarkose erleben, wollte einfach "dabei sein", wenn mein Sohn das Licht der Welt erblickt. Deshalb eben die Rückenmarkspritze. Es war alles in allem ein faszinierendes Erlebnis...bis zu dem Punkt hin, wo ich meinen Abgang gemacht habe...aber Gott sei Dank ist ja doch noch alles gut geworden und morgen wird der geliebte Bengel 21. So feiern wir also beide zusammen!
Ich knuddel dich von Herzen,
deine -bea
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