Irrtum(Rechtschreibreform)

Satire zum Thema Bildung/ Wissen

von  tastifix

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So sagt man jedenfalls. Doch alles, was zur Gewohnheit wird, wird eines Tages langweilig. Man sucht nach Gründen, das Gewohnte verändern zu dürfen. Die braucht man allerdings, um gegen die zu erwartenden Prosteste der lieben Mitmenschen gewappnet zu sein. Die sich aus ihrem alltäglich gewohnten Trott gerissen fühlen. Sich verunsichert sehen und aufgefordert, mit zu denken. Denken aber bedeutet Anstrengung. Und die hat man nicht so gerne. Es ist ja so bequem, sich dem Althergebrachten zu überlassen. Die Gehirnzellen fühlen sich rundherum wohl. Zusatzarbeit bleibt ihnen erspart.
Doch nun entdeckten unsere Politiker ein ungeheuer wichtiges Betätigungsfeld. Offenbar ähnlich wichtig wie all die kaum zu lösenden, vielleicht doch noch krasseren Probleme unseres Staates. Putschten dessen Bedeutung hoch: Gut bzw. natürlich gar nicht gut! Man hatte zwar Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ungerechtigkeiten en masse, aber das war nicht ausreichend. Denn das gehörte ja schon zur Routine. Oder sollte die liebe Rechtschreibreform ein wenig ablenken, die Leute so sehr in Anspruch nehmen, dass sie nicht mehr in der Lage wären, so ganz nebenbei auch noch ´mal über die wirklich Ausschlag gebenden Dinge nachzudenken? Um dann irgendwann erschrocken festzustellen, wie die Politiker derweil im Hintergrund diese Unaufmerksamkeit der Bevölkerung zu ihren Gunsten ausgenutzt hatten. Und heimlich, still und leise auf allen anderen Gebieten fix ihre Entscheidungen getroffen hatten, bei deren Durchsetzung das Interesse der Allgemeinheit nur ein Störfaktor gewesen wäre?
Es war ja gar nicht so einfach gewesen, etwas zu finden, was die Massen dermaßen in seinen Bann schlug. Doch, da Politiker ja doch, auch, wenn sie sich manchmal bewusst dumm stellen, recht schlaue Leute sind, hatten sie dann eine wahrhaft glorreiche Idee: Dass sie da aber auch nicht schon früher drauf gekommen waren!!
Die Rechtschreibung, ja, die ging wirklich alle an. Damit ließ sich so Einiges anstellen. Da wären alle gut beschäftigt. Und man konnte behaupten, man hätte des Volkes Geist gefordert und dadurch gefördert. Nein, die deutsche Rechtschreibung war doch viel zu umständlich. Es war darin doch viel zu viel zu bedenken. Also ging es an die Vereinfachung. Es sollte alles so geschrieben werden wie gesprochen. Aus der „Phantasie“ wurde „Fantasie“, und aus dem „Delphin“ wurde „Delfin“. Und aus „daß“ mit „sz“ wurde „dass“ mit „runden ss“. Dazu ließen sie sich, da ja alles ganz einfach werden sollte, noch ein paar niedliche Lockerungen der Zeichensetzungsregeln einfallen.
Was diese ihre Idee an Folgen nach sich zog, kümmerte sie nicht allzu sehr. Doch die Auswirkungen ihres Treibens waren nicht von Pappe. Der des Schreibens mächtige, ja doch nicht unerhebliche Teil der Bevölkerung kämpfte in Folge mit zwei gravierenden Problemen:
1.    Die Entrostung eingeschlafener Gehirnzellen
2. ...und dann doch tatsächlich deren intensivste Inanspruchnahme!
Monate lang brütete das Volk über dem ungewohnten Schriftbild, vermischte der Einfachheit halber die alte mit der neuen Schreibweise. Kriegte ein schlechtes Gewissen gegenüber der Obrigkeit und brütete erneut. Mit dem Ergebnis, dass letztendlich auf dem Papier der reinste Buchstabensalat verzeichnet stand. Mit dem wiederum ebenfalls ein nicht unerheblicher Anteil der Bevölkerung diverse Schwierigkeiten hatte.
Fazit: Deutschland hatte sein zusätzliches, langersehntes Problem. Die Zeitungen und Zeitschriften ein neues Lieblingsthema. Das ihnen zu ungeahnten Umsatzsteigerungen verhalf. Überall, zu jeder Zeit beschäftigten sich menschliche graue Zellen mit „daß“ und mit „dass“, ließen heiße Diskussionen entbrennen. Damit hatten die Politiker nicht gerechnet, damit nicht. Ihre eigenen Taktik könnte ihnen zum Verhängnis werden. Was wäre, wenn das Volk mit seinen auf Hochtouren gebrachten Gehirnzellen anfinge, sich bei diesem Lieblingsthema tatsächlich zu langweilen? Oder den so gut trainierten Geist auch in Bezug auf ganz andere Dinge einsetzten? Wohlmöglich sogar für die eigenen Interessen, die sich eventuell dann sogar gegen die Ziele der Obrigkeit richteten. Es nahm gefährliche Ausmaße an: Eltern stiegen auf die Barrikaden, denn Schüler fühlten sich ihres 6-Stunden-Schlafes in der Schule beraubt(sie übten stattdessen die Hälfte der Unterrichtszeit “dass mit ss“!) und kehrten darob total fertig mit den Nerven nach Hause zurück. Wo sie dann ihren Erzeugern die ihrigen raubten. Das wiederum führte dazu, da0 mindestens die Hälfte aller Erziehungsberechtigten vorzeitig ergraute. Das hielt die Lehrerschaft für eine durchaus akzeptable, da absolut nicht mehr vermeidbare Möglichkeit und kriegte ebenfalls diese Zeichen des Alterns. Damit demonstrierten sie eine gewisse, durchschnittlich gesehen nicht eben übliche Solidarität mit Millionen verzweifelter Mütter und Väter. Deutschland hatte sich selbst in eine schier ausweglose Buchstabenkatastrophe hinein katapultiert ohne den leisesten Schimmer einer Ahnung, wie es sich aus dieser Mixerreform befreien könnte. Zur Rettung der restlichen Grammatikkenntnisse der Schülerschaft und der noch nicht ergrauten Haare von Eltern und Lehrern. Was tun?
Da sowieso keiner mehr Bescheid wusste, welcher Rechtschreibung er eigentlich anhing oder auch nicht, und deshalb verstohlen meist äußerst interessante Eigenkreationen ins Leben rief, entschieden eben diese Urheber der Rechtschreibreform, unsere heißgeliebten Politiker, das ganze Affentheater müsse unbedingt ein Ende finden. Denn die von ihnen propagierte, ach so tolle Vereinfachung der Schrift erwies sich als die einfachste Möglichkeit, Deutschland in ein Land von rechtschreiberischen Irren zu verwandeln.
Und als Vertreter eines total durchgedrehten Volkes wollten sie nicht so gerne da stehen. Das hätte ihr Prestigedenken erheblich gestört. Daraufhin entschieden sie sich dann in Folge in Folge für den Erwerb der eindeutigen Zeichen des Alterns. Zeigten sich zumindest dann in der Auffassung mit Eltern, Lehrern und Schülern solidarisch, dass die von ihnen mit Begeisterung eingeführte Veränderung der Schreibweisen schleunigst wieder geändert werden müsse. Damit alle klar kämen und sie mit Recht wieder von sich behaupten könnten, einem doch ach so klugen Deutschland vor zu stehen. Womit dann endlich ihre verunsicherte Seele Ruhe fände. Und Deutschland einen sicheren Leitfaden, der rasch zur Rekonvaleszenz der gebeutelten Nerven von Lehrern, Eltern und natürlich auch Schülern beitrüge.
Also beratschlagten sie:
Entweder man führe alles wieder auf die alte Schreibweise zurück...
Oder man ließe die umstrittenen Worte einfach ganz weg...
Mit der Begründung: Im Englischen z.B. käme man auch ganz gut ohne die klar. Und das kluge Deutschland schaffe das dann erst recht!!
Und falls nicht wieder irgendwelche überkandidelten Politiker auf eine ähnliche verrückte Idee verfallen, wird sich Deutschland in seinem Rufe als Land der Intelligenzbestien sonnen können.
Was die „Intelligenzbestien“ angeht: Da beweise erst einmal jemand das Gegenteil!

                                                                                                                                    16. August 04

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Kommentare zu diesem Text

Tara (43)
(16.08.04)
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 tastifix meinte dazu am 16.08.04:
Hallo, Tara!

Freue mich riesig über die Pünktchen!!
Ich war mir gar nicht so sicher, wie der Text aufgenommen werden würde, da ich mir aus der gesamten Problematik nur ein Teilgebiet herausgepickt habe. Aber dich wundert das bestimmt nicht. Denn schließlich hatte ich ja vier Schulkinder, die sich murrend damit herum geschlagen haben.
Und jetzt werde ich versuchen, in Anlehnung an diese Langform eine Kolumne zu verfassen. Das ist nicht ganz einfach, aber gerade deshalb...!!

LG
Gaby
P.S.: Natürlich sehe ich den Text noch einmal durch. Die verrückte Satzstellung war zwar Absicht, aber ich gebe Dir zu, daß sie sehr ugnewöhnlich ist. Vielleicht ändere ich den Satz noch.

 Alpha (16.08.04)
Ich weiß nicht, was die Menschen für ein Problem in der neuen Rechtschreibung sehen... Ich finde sie korrekt und logisch. Habe früher nie verstanden, warum "muß" mir "ß" geschrieben werden soll, wenn man das "u" doch kurz spricht. Bei "dass" besteht das Problem wohl weniger darin, dass es mit "ss" geschrieben wird (denn das wiederum ist ebenfalls logisch), sondern überhaupt erst einmal zwischem "dass" und dem Relativpronomen "das" unterscheiden zu können... Die Kommaregel wurde auch nicht schwieriger, sondern es wurde einem teilweise nur mehr oder weniger frei gestellt, ob man das Komma der Übersicht wegen setzen will oder nicht - man MUSS es aber nicht setzten (zB beim Infinitiv mit zu). Beim Ersatz von "ph" durch "f" ist es das Gleiche - es ist einem frei gestellt. Es darf also jeder Phantasie mit "ph" schreiben, ich finde es so ja auch schöner... Also: Was ist an der neuen RS so schlimm? Es haben einfach nur die Menschen Probleme, die nicht logisch denken können, unflexibel sind oder vorher auch schon Rechtschreibnieten waren.

 tastifix antwortete darauf am 16.08.04:
Hallo, Alpha!
Ich habe mich riesig darüber gefreut, dass Du so ausführlich geantwortet hast.
Ich stimme Dir zu, dass die neuen Schreibweisen der Logik entsprechen. Aber -Du erwähnst ja selbst, wieviel darin nicht eindeutig festgelegt ist. Und ich finde, wenn in der Grammatik so viel Spielraum gelassen wird, ist die Orientierung für viele Menschen schwere, als wenn sie starre Gesetzmäßigkeiten befolgten. Es verunsichert sie.

Und, wie ich ja auch in meinem Text schrieb, finde ich, dass es in unserem Lande wahrlich wichtigere Probleme zu lösen gäbe. Denn, mit eienr nicht ganz einfachen Grammatik kann man leben. Aber , wie erwähnt, mit sozialer Ungerechtigkeit bis hin zur Armut unter Umständen nursehr, sehr schlecht.

Zum Dank fürDeinen ausführlichen Kommentar werde ich morgen ´mal nachforschen, was Du alles so geschrieben hast. Ich verspreche Dir, dann ebenfalls sehr ausführlich stellung zu nehmen!

LG
Tastifix
Symphonie (73)
(07.10.04)
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 tastifix schrieb daraufhin am 07.10.04:
Liebe Ela!

Ich freue mich besonders über diese zehn Pünktchen von Dir.
Ich bin gerade zurück.
Entweder schreibe ich Dir nachher ausführlic hoder ich rufe dich gleich an!

Einen ganz lieben Gruss
Deine Gaby
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