Welthasstag

Innerer Monolog zum Thema Ich

von  Judas

Intro:
„Plötzlich gibt’s ’nen Knall, tausend Scherben überall! Die Nachbarskatze hat’s erwischt bei ’nem Verkehrsunfall. Der Anblick kann einem echt die Laune verderben, was fällt diesem Mistvieh ein hier genau vor meinen Augen zu sterben!“ – Fettes Brot „An Tagen wie diesen“

Prolog:
Jeden Tag steht irgendwo ein Depp auf, nur um im Laufe des Tages meinen Weg zu kreuzen und zu sagen: „Hallo ich bin der Depp!“.
Zum dritten Mal habe ich mir den Fuß gestoßen, am Stuhlbein.

Rote Farbe soll Jeff Buckley tragen. Blutig aussehen meine Hände. Die rote Glühbirne wirft ein irreales Licht auf braunen Lehm. Die raue Wand mischt echtes Blut auf meine Finger. Einen Pinsel habe ich nicht gefunden, wie das so ist, an einem Welthasstag. „Mojo Pin“ winkt mir zu. Schräg weiter „Halleluja“ und lange redet „Last Goodbye“ mit mir. Im Bett liegend stellt man sich vor, wie es sich anfühlt, ein Küchenmesser durch die Brust zu stoßen, sehr langsam. Wahnwitziger Weise ist meine Fantasie gewaltig genug, dieses Gefühl bildhaft aufzumalen. Fast hätte ich den pulsierenden Strom auf der Bettdecke gesehen! Es ist aber nicht der Wunsch nach Schmerz oder Suizid, sondern die Neugier eines Schriftstellers, der Pein gedenkt nachzufühlen. Doch im Dunkeln nur grau… und Grau.

Du weißt, dass du solcher Nächte nicht schlafen kannst. Und du wagst den Blick auf die Uhr nicht. Zu tief sitzt der schmierige Kobold im Nacken und so traust du es dir nicht einmal, das Gesicht in die Kissen zu drücken. Er würde dir sonst die Haare an den Wurzeln herauszupfen, das weißt du ganz genau. Es bleibt dir das graue Grau, die Schatten, welche geworfen werden. Und du weißt genau: morgen geht etwas schief. Morgen geht garantiert die Welt unter. Oder du bekommst einen Brief der GEZ. Vielleicht brennt dein Haus ab? Du brichst dir ein Bein. Möglich wär’ es ja… warum nicht gleich vom Bus überfahren? Überfahren lassen – bevor noch etwas wirklich Schreckliches geschieht. Und du wälzt dich herum und kratzt dich am Nacken. Bekommst nur den Wichtel nicht zu packen. Aber du hörst ihn kichern und er ist ganz nah…

Ich wäre liegen geblieben. Ich hätte jeden Fehltag in Kauf genommen. Jedes Gebrüll und Gezeter, aber des Menschen hervorglänzenste Eigenschaft ist vor allem diese: brüllend komische Naivität. Und so ist der Weg von schillernder Unschuld geprägt und ist mir eigentlich noch nie aufgefallen, wie hässlich dieser Stadtteich ist, nachdem sie die Bäume herum gefällt haben und mit einer Raupe über das Gras gefahren sind? Ich bekam Lust auf Ententreten. Dachte mir, dass ich sowieso schon zu spät komme. Also wart’ mal.
Katzen sind von Mohammed gesegnet, habe ich gehört. Ich werfe mit meinem Frühstücksapfel nach einem runden Erpel. Viele haben diese M auf der Stirn. Die Gedanken drehen sich um meinen grauen Stubentiger. Er hat auch jenes Zeichen über seinen Augen. Aber er benimmt sich nicht wie ein heiliger Geist oder eine gesegnete Kuh. Der Apfel rollt über die Straße und mir wird bewusst, dass ich vor 16.00 Uhr nichts mehr zu Essen kriegen werde. Der Erpel verhöhnt mich mit lautem Quaken. Ich lasse ihm lächelnd seinen infantilen Spaß, dem Arsch.
Hunger lässt Frust vergessen und die pure Lust auf Mittag vergisst, dass ein Welthasstag beginnt. Dass er schon mit dem Aufstehen begonnen hat, ahnt man erst gen Nacht.
Stichwort Spieleabend. Kennt jeder? Jung motivierte Pärchen laden ein zum lustigen Beisammensein mit Knabberspaß und abgezählten Biermixgetränken. Dörte wusste ja nicht, was sie angerichtet hatte, meine Nummer zu wählen. Und es lange genug klingeln zu lassen. Sie hätte weise sein müssen. Und sollen! Es ist ein geheimes Zeichen, wenn jemand nicht ans Telefon geht, obwohl man genau weiß, der jenige ist zu Hause. In Wirklichkeit heißt sie ja auch nicht so. Dörte habe ich heitere Gastgeberin mit dem Charme eines überfahrenen Hamsters kurzerhand getauft aber ich nannte Sabine den ganzen Abend ja auch permanent Sylvia.
Monika habe ich Geld beim Monopoly geklaut. Beim Tabu beschrieb ich das Wort ‚schön’ mit „Ich.“ und ich habe es genossen, Stefan beim Wizard zu erklären, wie schwul er sich anhört, wenn er grünen Trumpf „Leitfarbe“ nennt.
Ich bin ein Spielverderber, Sylvia? Ja? Und Dörte, dir ist es peinlich, dass du mich heute eingeladen hast? Ich weiß, dass du nicht Dörte heißt! Stefan, aber du hättest mir heute nicht über den Weg laufen sollen – du Depp!

Epilog:
Es ist abends niemand da, der mir sagt, wieso. Den GEZ-Brief habe ich im Kamin verschmoren lassen. „Grace“ blickt mich an. Mohammedanischer Kater hält wacker mein Bett besetzt. Die Gedanken bohren so gnadenlos. Wenn ich den Kopf hebe, fallen mir lyrische Staubkörner über das Pastellgesicht des Mondes in den Schoß und ich ertränke den Welthasstag in L'Après Midi.

Outro:

„If I should die
this very moment
I wouldn't fear
For I've never known completeness
like being here
Wrapped in the warmth of you
Loving
every breath of you
Still my heart this moment
or it might burst“


- für shadowhunter

Illustration zum Text
Grace - Mojo Pin
(von Judas)

Anmerkung von Judas:

Inspirationen und Dank an:
29. Januar 2007.
Fettes Brot - An Tagen wie Diesen.
Deppen der Straße.
Phillipp Jessen - Einarmig unter Blinden.
Jeff Buckley - Grace; Last Goodbye; Mojo Pin; Halleluja.

Besonderen Dank an:
Alle, die diesen Schriebs lesen und verstehen versuchen.
Euer Mystery White Boy.
"Ich rise up"

Erklärungen:

Jeff Buckley: Musiker (genialer).
Grace, Last Goodbye, Mojo Pin, Halleluja: Lieder von Jeff Buckley auf dem Album "Grace" (wunderschöne).
Wizard: skatähnliches Kartenspiel (nichts für Deppen).
L'Après Midi: 4. Lied auf "Die fabelhafte Welt der Amelie" O.S.T.

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Kommentare zu diesem Text

Synonym (32)
(30.01.07)
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 Judas meinte dazu am 30.01.07:
Als ich gestern spät Nachts mir einen Früchtetee gemacht habe, lag ein Gummibärchen im Tee. Das war für mich das Zeichen, dass mein Welthasstag zu Ende ist.

Das Lied wirst du heute noch bekommen, so gegen 20.30 Uhr schätz ich.

Liebe Grüße,
dein liebes Porträt
orsoy (44)
(01.02.07)
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 Judas antwortete darauf am 01.02.07:
Ich glaube, um es zu verstehen, also wirklich, wirklich nachvollziehen zu können muss man entweder
a) einen Welthasstag haben
oder
b) mir gegenüber sitzen und Gummibärchentee trinken.

Aaaber dass du es geil findest - hey: geil!
shadowhunter (28)
(04.02.07)
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 Judas schrieb daraufhin am 06.02.07:
Anhör'n.
Hinsetzen.
Gummibärchen im Tee finden.
shadowhunter (28) äußerte darauf am 06.02.07:
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 Judas ergänzte dazu am 06.02.07:
Madame, dies ist kein Wunschkonzert (äh -text?).
shadowhunter (28) meinte dazu am 06.02.07:
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 Judas meinte dazu am 06.02.07:
Der Teewunsch wird nicht das Problem darstellen, aber Schokostücken im Gummibär... obwohl. Ich kann beides ja auch getrennt liefern.
shadowhunter (28) meinte dazu am 07.02.07:
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 Judas meinte dazu am 14.02.07:
Nagut. Überredet. Werd mir die Mühe machen und... "backen"

 Untergänger (27.02.07)
weisst du, dass ich gerade angefangen habe an paralleluniversen zu glauben?
ok, ich hab' noch nie einen GEZ Brief bekommen...
aber der rest dürfte mir schonmal passiert sein ;)

echt gut geschrieben...

lg,
Alfons

 Judas meinte dazu am 28.02.07:
Dankefein :)

Na, wenn der Rest dir auch so oder so ähnlich passiert ist, dürfste du einer der wenigen sein, der den Text wirklich versteht :]

Liebe Grüße zurück
(Antwort korrigiert am 28.02.2007)
Neoex (30)
(17.04.07)
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 Judas meinte dazu am 18.04.07:
Du hast's erfasst. Und natürlich passieren alles Hassbare an einem Tag. Es gibt da so eine Theorie der Zufälle, die keine Zufälle sind... das geht schon über Murphys Law hinaus.
Danke für den Klick,
- Jue
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