Er war der erste Mann in ihren Gedanken. Damals. Da hielt sie noch ihren Teddy im Arm und stellte sich vor, es wäre er.
Sie war nicht körperlich frühreif, sie war es geistig. Erst kurz vor ihrer Volljährigkeit, fing ihr Körper an zu blühen. Beachtet hatte er sie zu dieser Zeit nie. Charis war zu jung für ihn, ein Kind, ein Mädchen mit geflochtenen Zöpfen und Sommersprossen auf den Wangen.
Aber er blieb der Mann in ihren Gedanken, der Mann den sie begehrte, ihr Kindertraum.
Juan war ihr Klavierlehrer seit sie 7 Jahre alt war. Und seit er zur Einstimmung pour Adeline spielte, klebte ihre Sehnsucht an seiner Brust.
Nun seit mehr als 20 Jahren.
Nie hatte sie jemals wieder etwas mehr entzückt. Das war reine Magie, die durch ihr Gehör direkt in die Adern floss, und sich überall in ihrem Körper verteilte. Wie ein Virus, den sie nie wieder los werden würde, und der dann und wann einfach ausbrach. Bevorzugt, wenn sie neben ihm stand und seine schlanken Finger bewundern konnte, wie sie über die Tasten zu fliegen schienen.
Charis wollte nie Klavier lernen, aber ihre Eltern bestanden darauf.
Sie sieht sich noch dort stehen, mit trotzigem Gesicht und verschränkten Armen. Total abgeblockt, bis zum ersten Ton. Von da an war sie gerade zu versessen darauf zu spielen, und verbrachte jede freie Minute an diesem Flügel. Sie liebte es, als sie etwas älter war, auf dem Schemel zu sitzen und seine Wärme mit ihrem Po aufzusaugen, die er hinterließ, wenn er ging.
Danach streichelte sie gedankenverloren die alabastaweißen Tasten. Spielte Pour Adeline, welches sie inzwischen perfekt beherrschte, solange, bis sie sicher war, das jeder seiner Fingerabdrücke liebkost worden waren. Charis wollte jede Berührung, die er auf dem Flügel hinterlassen hatte, herunterspielen, direkt bis tief in ihre Seele. Dort würde sie alles aufheben, jeden Ton, jeden Blick, jede Vermutung, jede Hoffnung, einfach alles was er ausstrahlte und von sich gab.
Juan spürte was in Charis vorging, mit jedem Jahr wuchs die Ahnung, bis es in absolute Gewissheit endete. Und doch hielt er immer Distanz. Sie war seine Schülerin, damals ein Kind und heute eine junge Frau. Und er war alt. Schon damals hätte er ihr Vater sein können. Gewiss, er spürte das Band, konnte es nicht lange leugnen. Es war wie ein Geheimnis, welches sie beide, im Herzen versteckt vor der Aussenwelt bewahrten. Keiner sprach je ein Wort, nur die Augen, sie übergaben heiße Liebesbriefe in Form von Blicken.
Jede Klavierstunde, seit sie endlich Frau war, füllte sich mit purer Erotik und die Luft knisterte. Berührt haben sie sich niemals, was die Spannung ins unerträgliche steigerte. Nur manchmal, wenn er hinter ihr stand, um ihre Fingerfertigkeit zu überwachen, legte er seinen warmen Atem in ihren vollendeten, schlanken Nacken. Für ihn und diese kostbaren Augenblicke trug sie ihr dunkles Haar immer hochgesteckt. Kein Sex mit einem anderen Mann, hätte ihr mehr Erregung schenken können, sie mehr in Ekstase versetzen können, als diese kleine, fast unscheinbare Geste.
Und heute, genau zwanzig Jahre später, würde sie ihn verführen. Er ahnte davon, las es in ihren Blicken. Charis wußte, dass er ein alter Mann war, das seine Haut welk und seine Gestalt gebrechlich wirkte.
Aber das war ihr egal. Was zählte schon ein zeitgeschändeter Körper, gegen ihre unsterblichen Gefühle? Sie hatte ihn schon als Kind geliebt, als er ein stattlicher Mann war und sie liebte ihn auch jetzt als Frau nicht weniger.
Die Haustüre hatte sie vorausschauend für ihn aufgelassen. Ihre Haare waren sorgfältig hochgesteckt und sie saß mit geschlossenen Augen am Flügel und spielte ihr Lied. Charis nahm seine immer noch leichtfüssigen Schritte nicht wahr, erst sein Atem im Nacken bezeugte seine Anwesenheit.
Sie spielte auch noch weiter, als sie den sanften Kuss an der Halsbeuge spürte. Die Sinne schwanden ihr erst in dem Moment und versickerten irgendwo zwischen den Tasten, als sich sein Mund sich auf den ihren legte. Und sie hörte Töne, so himmlische Töne.