Der Wind verfing sich spielerisch in seinem Haar. Es schien fast so, als wollte er ihn absichtlich an den Haaren ziepen um ihm zu sagen: „Wach endlich auf“. Ja, es stimmte, heute war es das erste Mal seit langer Zeit, dass er überhaupt wieder etwas wahrnahm. Genau genommen seit Christines Tod. Noch immer war es ihm, als sei alles gar nicht passiert. Er verdrängte es. Dieser Tag vor einem Jahr, damals im Herbst. Es war doch alles so schön, so traumhaft schön. Zu dieser Zeit spielte Christine in seinen Haaren. Sie liebte es. Es war so schön, wenn sie ihn liebkoste und so schön, wenn ihre kindlich heiteren Augen ihn erfreuten.
Und nur deshalb war er jetzt aufgewacht, als der Wind in seinem Haar ihn an Christines zärtliche Gesten erinnerte. Ach Christine..... schwermütig hing er seinen Gedanken nach. Die Sonne ließ die Allee in vielerlei Rot- und Brauntönen erstrahlen. Alles wirkte so warm, warm wie seine geliebte Frau. Sie mochte den Herbst und meinte, er erinnere sie daran, dass alles irgendwann vergeht. Und der Herbst machte es ihr in seiner eigens liebevollen Art deutlich, indem er die Blätter langsam von den Bäumen fallen ließ. Oft ließ sich Christine in ihrem kindlichen Übermut in einen Blätterhaufen fallen. Dabei lachte sie. Ihre langen, rötlich gewellten Haare breiteten sich wie ein Fächer über ihre Schultern aus. Die Farbe schien sich dem Ton des Herbstes anzupassen. Mit gesenktem Blick ging er weiter die Kastanienallee entlang. Allein, ohne Christine.
Die Blätter fielen wie in Zeitlupe von den Ästen. Fast so, als wollten sie ihm etwas begreiflich machen, ihm Zeit geben, etwas zu verstehen. Nämlich, dass auf dem Herbst unweigerlich der Frühling folgen wird. Dass nach Regen wieder die Sonne scheint. Er aber konnte daran nicht glauben. Für ihn würde es nie wieder eine andere Frau geben. Für ihn würde immer Herbst in seinem Herzen sein. Der Wind frischte auf. Die leichte Brise holte Jan in das Diesseits zurück. Unwillig öffnete er die Augen. Verstohlen schaute er zwischen den Bäumen entlang, ihm war, als erwartete er, dass Christine jeden Moment hinter einem von diesen Riesen hervorsprang um ihn zu erschrecken. Sie hatte das früher oft getan. Gerade da sank ein welkes Blatt auf seine Schulter. Fast, als wäre es ein Gruß von ihr!
Braun und gespreizt sah es aus, an den Enden zusammen gerollt. Und alles wird vergehen, dachte er und lächelte still. Das Blatt fiel zu Boden und machte ein raschelndes Geräusch. Er ging weiter, mit schlurfenden Schritten, den Blick zum Erdboden gerichtet und dann wie ein kleiner Junge, den der Klang des Herbstlaubes beglückt.
Jetzt war alles still, alles leer. Ohne Christine, hatte der Herbst keinen Sinn mehr für ihn. Ohne Christine starb alles viel schneller. Ja, auch der Herbst starb, er schien schneller zu altern, denn er hatte durch sie sein Kind verloren.