Beschreib mir die Sehnsucht, sagte er, beschreib sie mir wie einen Gegenstand, den du verloren hast. Beschreib sie wie eine Suchanzeige, die du aufgibst. Beschreib sie mir wie deinen Lieblingswunsch, der dir erfüllt werden soll. Beschreib sie mir, bitte.
Sie nahm dunkelrotes Papier, die weiße Schwanenfeder mit der goldenen Federspitze in Form einer Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. sie tauchte die Spitze in ihre schwarze Traumtinte und begann damit, die Farbe der Sehnsucht zu beschreiben.
Ihre Sehnsucht war grau, wie ein Elefant. Ihre Sehnsucht war tonnenschwer, riesengroß mit rauer, rissiger Haut.
Ihre Sehnsucht war durstig, sehr durstig nach Zärtlichkeit. iIre Sehnsucht hatte das Gedächtnis eines Elefanten, sie erinnerte sich an jeden blick, an jedes lächeln, an jede berührung, jeden geruch, jedes lied, das sie gehört hatte. sie erinnerte sich an jeden Augenblick und vergaß nie etwas.Iihre Sehnsucht war scheu, eine scheue Art von Willen, und doch war sie süchtig,willenlos sehnsüchtig.
Tief in ihr lauerte wie ein kleines nagetier die Gier. Manchmal kam sie Nachts hervor, erschreckte die Sehnsucht mit ihren spitzen Zähnen und den rotfunkelnden Augen und verschwand blitzschnell wieder in ihrem Versteck.
Wenn die Sehnsucht tanzen wollte trug sie ein enges Kleid aus Leder, Lack und Netz, viel zu fest geschnürt, so daß ihr fast die Luft zum atmen wegblieb. Die Sehnsucht quälte sich gerne selbst. Wenn die Sehnsucht ihre Musik auswählte, nahm sie tiefe, dunkle Töne, Chelloklänge, Lieder von Bach, schwarze Trommelmusik, schwüle Tangomusik als Klangfarben. Sie passten am besten zu ihr. Die Sehnsucht war eine Frau, während sie sich im Tanz bewegte, zog sie sich aus, legte alles ab, was ihr im Wege war. Wenn die Sehnsucht tanzte, brachte sie sich selbst zum Ausdruck. Sie zeigte Kraft, Energie, Sexualität, Freude, Schmerz, Verletzlichkeit offen und nackt. Die Sehnsucht war eine wilde Göttin die laut brüllte.
Die Sehnsucht steckte in ihr und oft genügte nur ein Blick, und sie brach aus.
Hüte dich vor meiner Sehnsucht, sagte sie leise.
Sie ist stark, und deine?
Beschreib mir die Sehnsucht, wie einen Gegenstand, den du
verloren hast.
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