Emilio weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Vom nahen Dorf weht Glockengeläut in verwehten Fetzen herüber. Schweißnass schreit er seinen Frust heraus, seine Ohnmacht, seine Verzweiflung. Das Feuer hat seine Finca schneller erreicht als erwartet. Juan und er haben alles versucht, mit allem, was sie finden konnten, auf das Feuer eingeschlagen. Eimer mit Wasser herausgeschleppt und auf die Glut ausgekippt, solange noch Wasser im Swimmingpool war. Mit dem Gartenschlauch gegen die Flammen angekämpft. Doch die Bäume glimmen weiter, knistern verräterisch. Der Wind entfacht überall neue kleine Feuer. Er bläst ihnen wie ein heißer Föhn entgegen. Immer wieder lodern Stichflammen empor, flammen fauchend auf. Es raucht an allen Ecken.
Die Natur ist verstummt. Wo sonst um diese Zeit Zikaden einen Höllenlärm verbreiten, hört man keinen Laut. Kein Vogel, kein Klagen eines Esels, nur das Knistern des Feuers.
Keine Feuerwehrleute zu sehen, kein Löschflugzeug. Emilio ist todmüde und steht verzweifelt vor dem Wohngebäude. Er steht wie erstarrt, hält den Schlauch in seiner Hand, schlapp wie eine tote Schlange. Juan biegt um die Ecke, läuft so schnell er kann, reckt die Arme zum Himmel. Rauchschwaden von überall her. Die Hitze wird immer unerträglicher, Rauch und Hitze würgen die Luft ab. Eine neue Feuerwand faucht von der anderen Seite heran wie eine riesige gelbrote Katze auf dem Sprung. Auf dem Sprung, Emilios Lebenswerk knisternd aufzuzehren. Meterhohe Flammen in den fahlblauen Himmel, schwefelgelbes Licht, Funkenflug. Der Gegner ist zu stark, zu übermächtig. Er kommt direkt aus der Hölle.
„Wo bleibt das Wasser? Hast du den Hahn aufgedreht?“
„Es gibt kein Wasser mehr. Wir müssen weg. Komm, solange noch Zeit ist.“
„Wir sollen aufgeben? Alles im Stich lassen, was wir uns über so lange Zeit aufgebaut haben?“
„Es hilft nichts. Das Feuer hat die Zufahrtstraße erreicht. Wenn wir uns nicht beeilen, schneidet es uns die letzte Fluchtmöglichkeit ab. Wir nehmen den Weg durch die Plantage.“
Die Touristen sind längst vor der Feuerkatastrophe in Sicherheit gebracht. Juan und er blieben. Gegen den Willen ihres Freundes Antonio von der örtlichen Polizeikommandantur. Überall kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Viele wollten wie Emilio ihre Besitzungen nicht verlassen. Szenen wie aus einem Katastrophenfilm, wie beim Auszug aus Ägypten. Trauer und Verzweiflung, apokalyptische Bilder, Götterdämmerung.
Juan zieht Emilio zum Auto. Hoffentlich springt der alte Golf an. Die Hitze wird unerträglich. Der Sommer zeigt keine Schattenseiten. Kein Tropfen Regen seit Wochen. Das Thermometer bei 40 Grad festgefroren. Heiße Luft aus Afrika. Die Wälder brennen wie Zunder. Das Feuer springt von Wipfel zu Wipfel, überwindet alle Brandschneisen. Windböen fachen es immer wieder an, Feuersbrünste züngeln weiter und weiter. Sitzen sie schon in der Falle? Die elektrischen Außenleitungen beginnen zu schmelzen. Die fortschreitende Glut bedroht alles. Wo sind eigentlich die versprochenen Löschhubschrauber? Sicher dort, wo Politiker um ihre Häuser bangen. Was zählt da schon Ernestos Lebenswerk? Das Lebenswerk eines kleinen, unbedeutenden Mannes. Der Frust sitzt tief.
„Gott sei Dank, die Kiste rührt sich.“
Juan legt den Gang ein, steuert den Wagen weg von der Finca, weg vom Feuer, weg von dem Stück Land, das bis heute ihre Heimat war. Emilio blickt sich um. Das Feuer rückt näher, immer näher. Die Lage wird bedrohlich. Hoffentlich ist die Straße zur Küste noch frei.
„Dieser Hund. Wollte er allen zeigen, dass er unersetzlich ist? Saß der Frust so tief, weil er entlassen werden sollte?“
„Hat dieser Kerl nicht selbst die Feuerwehr gerufen?“
„Ja, als es längst zu spät war.“
„Brandstiftung ist ein niederträchtiges Verbrechen. Würden die Behörden die Täter konsequent verfolgen und hart bestrafen, würde vieles im Keim erstickt.“
„Du weißt doch selbst, dass auf den abgebrannten Stellen ganz schnell gebaut wird. Erst der Brand, dann die Spekulanten.“
Dieser elende Forstgehilfe spielte Schicksal. Schicksal für unzählige Menschen, zerstörte ihre Existenz. Ob er daran dachte, als er das Feuer legte? Als er viele Hektar Wald vernichtete, viele Häuser und Gehöfte, in denen Menschen sich ihre Existenz aufgebaut hatten. Als er viele Inselbewohner, Touristen und Feuerwehrleute gefährdete. Wer ist dieser Kerl, der Herr über Leben und Tod spielte? Darf er weiterleben? Gibt es überhaupt die passende Strafe für dieses Verbrechen?
Ein Löschhubschrauber kreist über dem Wagen, in dem Juan und Ernesto der Hauptstadt entgegen rumpeln.
„Zu spät.“
Das Propellergeräusch des Hubschraubers versinkt im Aufruhr der tosenden Feuerwalze hinter ihnen. Juan drückt das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Wagen fliegt förmlich über die unebene, mit Schlaglöchern übersäte Piste der nächsten Straße zu.
Die taucht hinter einer Kurve auf, während ein weiterer Löschhubschrauber über ihnen auf das Feuer zu donnert. Juan hat das schwankende Gefährt sicher im Griff; er schafft es, den schlimmsten Löchern auszuweichen. Emilio wird hin und her geschleudert, obwohl er sich krampfhaft festhält.
„Nicht so schnell.“
„Bete bei Gott, dass wir noch schnell genug sind. Sieh da vorn.“
„Mein Gott.“
Leichenblass starrt Emilio aus dem Wagen. Von Süden nähert sich eine weitere, gewaltige Feuerwalze. Sie nähert sich der einzigen Straße, die die beiden Männer in ihrem alten Golf noch aus der Flammenhölle hinab zur Küste bringen kann. Der Wind hat zugenommen und treibt das Feuer mit großer Geschwindigkeit vor sich her. Windeseile, denkt Emilio. Dieses Wort fällt ihm ein, drängt sich zwischen ihn und seine Todesangst, nimmt plötzlich eine grauenhafte Bedeutung an.
*
„Hast du Emilio erreicht?“
„Er meldet sich nicht.“
„Hoffentlich hat er nicht zu lange gewartet.“
„Er ist bestimmt schon weg.“
Antonio steht mit einem Kollegen auf dem Hof der Kommandantur und schaut sorgenvoll nach Norden gegen die Berge. Dicke rotgelbe Rauchwolken steigen wie Nebelschwaden hinter ihnen auf und verdunkeln den Himmel. Asche rieselt herunter.
„Wir werden den Kampf die ganze Nacht fortsetzen.“
„Aber dann müssen wir auf die Löschflugzeuge verzichten.“
„Versuch noch einmal, Emilio zu erreichen. Ich mache mir Sorgen.“
„Juan ist bei ihm.“
„Hoffentlich bringt der ihn zur Vernunft.“
Währenddessen holt Juan aus dem alten Wagen heraus, was noch heraus will. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Wenn das Feuer die Straße erreicht, bevor sie durch sind, ist ihnen der rettende Weg zur Küste abgeschnitten. Und das Feuer rast unaufhörlich weiter. Die Hitze ist selbst im Innenraum des Wagens zu spüren. Hitze und Angst mischen sich zu einem höllischen Cocktail und treiben den Schweiß aus allen Poren.
„Wir sitzen wie Kaninchen in der Falle.“
„Du wirst sehen, wir schaffen es.“
„Das Feuer ist schneller.“
„Wir geben nicht auf.“
Die Lage ist dramatisch. Temperaturen weit über 40 Grad, meterhohe Flammen dichter Rauch und starker Wind. All dem stemmt sich der Wagen mit seinen beiden Insassen entgegen. Eine prasselnde, lodernde Flammenwand schiebt sich näher und näher an die Straße heran. Die Zeit schmilzt unter der Hitze dahin.
Juan drischt vergeblich das Gaspedal, der Wagen bäumt sich auf wie ein Pferd unter der Peitsche, während das Feuer die Straße erreicht. Von allen Seiten züngeln die Flammen heran, der Wind treibt sie vor sich her. Blitzschnell sind sie von Flammenwänden eingeschlossen. Ein Inferno, der Himmel rot gefärbt.
„Ich komme mit dem Handy nicht durch. Das Netz ist schon wieder überlastet.“
Während Antonio fieberhaft versucht, eine Verbindung zu Emilio herzustellen, wird dessen Wagen von den Feuerwänden überrannt. Eine heftige Detonation, eine riesige Stichflamme. Zwei Männer sterben in den Flammen.