Letzten Freitag um 4:54 Uhr

Skizze zum Thema Leben/Tod

von  tulpenrot

Da war die Welt so still noch, so dämmrig, dass es unnötig war, schon aufzustehen. Der Tag hatte begonnen und ich wusste es nicht, ein Tag vielleicht wie viele davor und danach, und doch einer in deinem Leben, den du zählst und den ich auch zähle. Jedes Jahr, seit Jahren zählen wir ihn, jeder für sich.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich dich an einem solchen Tag zu Tränen gerührt. Deine Worte stockten, und ich hörte dein Schluchzen und war glücklich. Einer der wenigen glücklichen Momente, da ich dachte, es werde alles gut – endlich sei alles gut für immer bis an unser Lebensende. Das heißt, bis an dein Lebensende. Denn dass du eher sterben würdest als ich, war von Anfang an ziemlich sicher.

Um 7:48 Uhr bin ich dann aufgewacht. Wir hatten uns verpasst. Du warst schon gegangen. Natürlich für immer. Auch wenn mich ein solcher Tag an dein Schluchzen erinnert, es ändert sich nichts mehr.

Wie ist es eigentlich, wenn man an seinen Tod denkt? Jeder denkt an ihn – sicherlich. Man denkt daran, wie man ihn bestehen wird, wie man seine letzten Tage leben wird und welchen Sinn sein Leben gehabt hat. Es bleibt wenig Zeit, das zu finden, was man sucht. Es bleibt wenig Zeit, das zu halten, was man gefunden hat. Wir haben mehrere Leben zu Grabe getragen, nur unser eigenes noch nicht. Wir leben noch und suchen und halten und verlieren uns und andere in einem dauernden sehnsuchtsvollen Kreislauf.

Um 4:54 Uhr an einem solchen Tag, wie es dieser Freitag war, könnte es sein, dass du von 4:52 bis 4:54 Uhr dieses Sehnen spürtest, dieses Gefühl wieder zu suchen, zu finden und zu halten, und du gabst ihm eine kleine heimliche Chance, so winzig, dass es eigentlich unbedeutend ist.
Ich habe gelernt, mit diesen Bedeutungslosigkeiten zu leben. Ein bisschen jedenfalls.


Anmerkung von tulpenrot:

Jemand ermunterte mich, mal wieder einen Text zu schreiben. Leider.

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Kommentare zu diesem Text

The_black_Death (31)
(16.05.08)
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 tulpenrot meinte dazu am 16.05.08:
Das "Leider" kann man auch anders verstehen - es ist eine Art Text geworden, die der Veranlasser nicht so gerne liest. Aber ich hab es mal versucht, aus Fakten etwas zu machen.
Und wenn du ihn gern gelesen hast ... finde ich das nett, dass du es mir schreibst. Danke
LG
Angelika
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