Jahresrückblick 2008

Satire zum Thema Jahreswechsel/ Silvester

von  JoBo72

JANUAR. Normalerweise gehört der Januar zu den Monaten, die man eigentlich streichen könnte. So wie den November. Aber in diesem Jahr ist schon im Januar Karneval. Und Karneval ist wichtig. Er hebt die Gemütslage, die Fertilitätsrate und den Aktienkurs von Brau & Brunnen. Neues Liedgut zeugt von der Kreativität der Karnevalisten. Hit der Session wird der musikalische Hinweis auf die angelsächsische Absenz beim kommenden kompetativen Kontinentalkonvent in einem sehr populären Freizeithabitus. Ohne England fahr’n wir zur EM. Cheers!

FEBRUAR. Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) beschwert sich über den fehlenden Schnee bei der Biathlonweltmeisterschaft, über die Deutsche Bischofskonferenz und über irgendwas, das ich vergessen habe.

MÄRZ. Eine Stunde wird uns genommen, verbunden mit dem Versprechen, sie uns im Herbst zurückzugeben. Angst befällt mich: Was, wenn ich im Sommer sterbe?

APRIL. Am ersten des Monats überrascht Papst Benedikt XVI. mit einem Vorstoß zur Ökumene. In einem Motu proprio führt das Oberhaupt der Katholischen Kirche die Konfession „kathestandox“ ein, die – so der Papst wörtlich – für diejenigen „ideal sei, die auf nichts verzichten wollen: nicht auf Maria, nicht auf ihre Ikonen und auch nicht auf ihre Bach-CDs“. Die Entscheidung wurde mit Hoffnung und Skepsis zugleich aufgenommen. Bischof Wolfgang Huber sprach von „einem Zeichen des Beieinanders, das erst noch zum Miteinander werden muss“, wozu aber auch „das Auseinander“ einen „wichtigen Beitrag zum Ineinander“ leisten könne. Kritik kam unterdessen von Claudia Roth.

MAI. Wonnemonat. Und: Am 15. des Monats feiert Claudia Roth Geburtstag.

JUNI. EM. Endlich wieder ein Grund aufzustehen. Und dann noch bei unseren Nachbarn, in der Schweiz und in Österreich. Im außereuropäischen Ausland bringen uns die südöstlichen Nachbarn ja manchmal arg in Verlegenheit, wenn wir erklären müssen, dass Schwarzenegger, Wittgenstein, Sissy, Hermann Meyer und der Walzer... „äh... eigentlich aus Österreich“ kommen. „Und Mozart?“ – „Ja, der auch.“ Und selbst bei Beckenbauer ist man sich ja nicht mehr sicher. Und dann der Charme! Der Schmäh! Udo Jürgens! – Aber auf dem Platz zeigen wir der Welt, wer Herr im Hau... „Elfriede Jellinek“ – „Ja, die auch!“ EM. Das ist ja auch ein Grund, Fußball zu gucken, selbst wenn es einen nicht interessiert. Ich meine, es gibt Menschen, die sehen sich jede Wiederholung eines bedeutungslosen Zweitligaspiels an. Die stellen sich bei strömendem Regen auf die baufällige Tribüne irgendeines brandenburgischen Verbandsligisten, um ein Vorbereitungsspiel ihrer Hertha zu sehen. Die fiebern mit Oberligateams mit, von denen der Durchschnittsbürger nicht mal weiß, dass es sie gibt. Und dann gibt es Menschen, die interessieren sich „eigentlich“ nicht für den Fußballsport, außer „wenn Deutschland spielt“, also „bei der EM und... wie heißt das andere, wo die Brasilianer mitspielen?“. Und am besten nur, wenn Deutschland im Finale spielt, versteht sich. So wie morgen. Dann wird nicht „Fußball“, sondern „Deutschland“ geguckt. Ein Sommermärchen. Also, das ist alles in Ordnung. Das hält schließlich auch Angela Merkel so. Und auch ich habe mich schon dabei ertappt, wie ich um 4 Uhr morgens aus patriotischen Gründen den olympischen Mannschaftswettbewerb im Dressurreiten verfolgt habe (Es ging gegen Holland, wir haben gewonnen.). Oder 12 Stunden Daviscup. Und warum schaue ich Biathlon und Frauenrodeln? Genau! – Das ist so lange in Ordnung, wie man Dritte nicht ob deren relativen Expertenstatus’ als Co-Kommentatoren einspannt, sprich: mit Fragen überhäuft, die auf einem derart niedrigen Niveau liegen, dass man zur Abseitsregel erst kommt, wenn das Duo Delling und „der, der aussieht wie Gérard Depardieu“ schon jede Szene zum dritten Mal durchgekaut oder Urs Meier „schlussendlich“ gesagt hat. Zum dritten Mal. Schlimmer noch als Nachfragen („Wieso darf der jetzt mit der Hand...?“ – „Einwurf.“ – „Ach, dann darf...“ – „Ja.“) ist das angelesene Halbwissen bestimmter Akademiker-Freunde, das diese sich einige Stunden zuvor aus dem Sportteil der FAZ gesaugt haben, um „mitreden“ zu können. Am meisten nerven unter diesen die Altphilologen, die ständig auf die griechisch-lateinischen Wurzeln bestimmter Fußballbegriffe anspielen. „Der hat bei Borussia Dor...“ – „Borussia ist der lateinische Name von Preußen, der sich von boreus, also: ,nördlich’, ,im Norden gelegen’ ableitet.“ – „Jedenfalls hat er schon Champions-League gespielt und...“ –„Campio: ,Kämpfer’, ligamen: ,Verband’. Ich kenn mich aus, oder?!“ – „Ja. Im DFB-Pokal hingegen...“ – Von poculum: ,Becher’, ,Trinkgefäß’.“ – „Du kriegst gleich Stadionverbot!“ – „Ein Stadion war in der Antike ein Längenmaß. Wusstest du das? In Olympia betrug es umgerechnet 192,28 m, in Delphi nur 177,35 m und in Athen 184,30 m. Das hing damit zusammen, dass die einzelnen Stadtstaaten...“ Zumeist sind sie erst ruhig, wenn sie erfahren, dass heutzutage ohne „Libero“ gespielt wird. Ihnen auf den Fersen sind Historiker, denen die dämlichen Floskeln von den „Türken vor Wien“ Anlass zu langen und breiten Exkursen geben. Natürlich läuft das Spiel währenddessen weiter. Und natürlich sagt man als gut erzogener Jesuitenschüler nicht einfach „Mund halten!“. Oder schlimmeres. Man hört geduldig zu und zeigt Interesse („Wie hieß der Kämmerer des Sultans und warum hat Papst... äh... wie war noch mal der Name...?“), dicht gefolgt von Juristen („Das war streng genommen Körperverletzung. In Tateinheit mit Nötigung.“ – „Und beim Löw?“ – „Da war’s Nötigung mit Freiheitsberaubung im Amt. Mindestens.“), während Mediziner einem wenigstens noch erklären können, warum man Wadenkrämpfe bekommt, wenn man zwei Stunden rennt. Irgendwas mit Magnesium. Den Rest hab’ ich vergessen. Was sang einst Franz Beckenbauer: „Gute Freunde kann niemand...“ – Richtig!

JULI. Leider ist auch die schönste EM einmal vorbei. Im Hochsommer droht das jährliche Fernpraktikum für Pharmaziestudenten, die Tour de France. Nach drei Wochen Frankreichrundfahrt träumt man – je nach Temperament – von Männerwaden oder von Luftaufnahmen bretonischer Klöster, die „lange vor der ersten Tour erbaut wurden“ (ARD) und „ziemlich groß sind“ (Eurosport). Energiekrise und Klimawandel lassen in meinen Träumen die Idee reifen, endlich mal umzusetzen, was Generationen von Tour-Kommentatoren den Radsportlern beim Schlussanstieg am Col de soundso begeistert beimaßen: eine Energieleistung vollbracht zu haben. Ich habe das gleich mal ausgerechnet. Wenn die 180 Fahrer 3 Wochen jeweils 5 Stunden am Tag mit durchschnittlich 200 Watt unterwegs sind, dann macht das insgesamt 3,6 Megawatt Leistung. Energie für den dreitägigen Dauerbetrieb von 1.000 Schreibtischleuchten. Da sind Jan Ullrich und Lance Armstrong noch nicht mit dabei. Und die Jungs von Astana-Energy. Also, die nächste Tour findet auf Hometrainern statt. Wer den meisten Strom erzeugt und am wenigsten ausatmet, gewinnt das grüne Trikot. Die Fernsehanstalten können ja trotzdem berichten, irgendwelche alten Geschichten aufwärmen, ab und zu Puls, Blutdruck und Krankenversicherungsnummer der Fahrer einblenden. Was sie eben so tun. Zwischendurch Luftaufnahmen bretonischer Klöster. „Lange vor dem Klimawandel gebaut.“ ZDF. „Ziemlich groß.“ Eurosport. Es gäb’ nur Gewinner. Die Tour wäre über jeden Zweifel erhaben, Ullrich und Armstrong rehabilitiert und Angela Merkel könnte wieder tun, was sie am liebsten tut: junge Männer in kurzen Hosen gucken. Ich bekäme für meine Idee den Nobelpreis für irgendwas und dürfte mit Al Gore vegetarisch essen gehen.

AUGUST. China gewinnt bei den Olympischen Spielen 436 Goldmedaillen. Wobei sich die Frage stellt, warum die ausgerechnet im Dressurreiten so schwach sind. – Schlussfeier. Die olympische Familie ist zufrieden. Claudia Roth auch. Alle sind froh, wieder nach Hause zu fahren. Franzi van Almsick freut sich auf Currywurst. – Ja, die olympische Familie. Wie müssen wir uns die olympische Familie vorstellen? Vater Junki, Mutter Hure und die Kinder gehen im Stechschritt über’n Flur und verprügeln die Katze, weil die es gewagt hat, „Miau“ zu machen! „One world, one dream!“ Wir Deutsche winken ab und sagen: Kennen wir schon!

SEPTEMBER. Ich denke über mein Leben nach. Mein Glück beschränkt sich zunehmend darauf, dreimal täglich von einem ehemaligen nigerianischen Präsidentschaftskandidaten fünf Prozent seines Milliardenvermögens zugesprochen zu bekommen. „Please send me your account information and PIN-Code. I will transfer the 25 Million US-Dollar immediately.“ 25 Million Dollar! Dafür kann man sich 50 Millionen Flaschen Öttinger Export kaufen. Oder das kriselnde europäische Bankensystem. Oder 3 Minuten Afghanistan-Krieg.

OKTOBER. Claudia Roth ist sauer: Die Finanzkrise weitet sich aus und reißt die Weltbörsen in den Keller. Alle sind pleite. Viele müssen bald hungern. Ich seh dem ganzen Drama gelassen entgegen. Ich habe mich nie sonderlich um Materielles geschert. Meine Lebensfreuden sind preiswert. Meine Lieblingsbeschäftigung ist, bei IKEA auf dem Parkplatz zu stehen und zu gucken, wie die Leute versuchen, die Pakete in den Kofferraum zu kriegen.

NOVEMBER. Der mächtigste Mann der Welt wird neu gewählt. Es ist Barack Obama. „Yes, we can!” Was sich anhört wie eine „Viagra“-Werbung ist das Motto, mit dem der nunmehr mächtigste Mannes der Welt zu seinem Titel kam. Claudia Roth wird vor Freude ohnmächtig.

DEZEMBER. Weihnachten. Warst Du brav, kommt der Weihnachtsmann, wenn nicht, Frau Roth. Bei einem Freundschaftsturnier anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der israelischen Staatsgründung und im Rahmen einer Israel-Reise des DFB stehen sich in Tel Aviv die Autoren-Nationalmannschaften von Deutschland und England gegenüber. Das Spiel wird von drei schwere Verletzungen überschattet, erfreulich ist allein das Ergebnis: 6:1 für Deutschland. Das tut gut! Und mancher Kicker der siegreichen DFB-Autorenelf wird sich gedacht haben: „Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / dann will ich gern zugrunde gehn!“ Goethe.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Caterina (46)
(31.12.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 JoBo72 meinte dazu am 03.01.09:
Dir, liebe Caterina, auch ein gutes neues Jahr! Was die Ökumene angeht, so gibt es wohl beides: Hoffnungszeichen und Frustration. Einerseits ist der theologische Diskurs festgefahren, andererseits sind viele der Neuen Geistlichen Bewegungen der kath. Kirche ökumenisch orientiert. Einerseits gibt es Streit um Grundsatzfragen (Kirchenbegriff, Abendmahlsverständnis), andererseits gibt es die Einsicht, dass in pastoralen und karitativen Fragen zusammengearbeitet werden muss. Der Impuls kommt derzeit eher von unten, aus der Praxis, was nicht reicht, was aber auch kein schlechtes Zeichen ist. Mal sehen, ob der Zweite Ökumenische Kirchentag in München neue Impulse bringt. Allerdings ist der erst im nächsten Jahr! LG, Josef
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram