Fuck, déjà vu. Das Telefon klingelt – das im Zimmer. Mein Handy schweigt zur Abwechslung. Groggy suche ich in meinem dissonanten Universum nach Fixsternen. Stemme leise fluchend den Oberkörper hoch, greife zum Nachttisch. Hebe ab.
‚Mmmh?’ brumme ich in den Hörer.
‚Mister Corker? Spreche ich mit Gordon Corker?’
Die eiskalte Dusche und den halben Liter Kaffee kann ich mir sparen – bin schlagartig glockenwach. Nüchtern.
Ich räuspere mich. ‚Wer spricht da?’
‚Corker, sind Sie das?’
Wer sonst, Arschloch. ‚Kann sein. Kann nicht sein. Wer zum Teufel will das wissen?’
‚Mister Lomax hat mir von Ihnen erzählt. Viel von Ihnen erzählt. Mister Lomax? Izzy Lomax?’
‚Hab ich mal gehört den Namen. Und?’
‚Es sieht aus, als hätten wir ein gemeinsames Interesse.’
‚Reden wir von gemeinsamen Interessen oder von einem Interessenskonflikt?’
‚Darüber würden wir gerne mit Ihnen persönlich sprechen, Mister Corker.’
‚Holen Sie Izzy Bizzy an die Strippe. Ich gehe duschen.’
Ohne Eile hänge ich das Telefon auf. Schiebe mich ächzend aus dem Bett, gehe ins Bad. Während ich das Wasser aufdrehe, höre ich entfernt im Zimmer das Läuten des Telefons. Mit einem Lächeln stelle ich mich unter den schmerzhaft heißen Strahl.
Wenige Minuten später bin ich zurück im Zimmer, halbwegs lebendig. Trockne mir die Haare mit dem Handtuch, während ich zum Telefon gehe. Vier Anrufe in Abwesenheit, sagt das Display. Ihr motherfucker habt’s eilig? Corker nicht.
Ich lasse mich auf die Bettkante sinken und schlinge mir das Frotteetuch über den Nacken. Das Telefon klingelt.
‚Ja?’
‚Corker, hör zu. Die Jungs wollen sich bloß unterhalten, okay? Mein Boss will mit dir reden.’
Izzy.
‚Will ich mit deinem Boss reden?’
‚Komm schon, Corker. Ein kurzes Gespräch, mehr nicht.’
Ich schweige.
Izzy fährt fort: ‚Wenn sie dich hätten umlegen wollen – glaub mir, du wärst bereits gewaschen und autopsiert. Shit, die hätten Mister Armstrong anrufen können. Dem irgendeine Scheiße erzählen - der hätte dich selber umgelegt. Reden, nicht mehr.’
Der kleine Izzy hat Recht. So viel Mühe macht sich niemand, nur um mich bei sich zu Hause umlegen zu können. Call A Corker.
‚In Ordnung. Wann und wo?’
‚Wir schicken einen Wagen. In einer halben Stunde.’
‚Keinen in Silber – ich hasse Silber.’ Ich beende das Gespräch.
Sitze dort auf der Bettkante mit einer Gänsehaut. Ich friere. Oder ich habe eine Scheiß-Angst. Was mache ich hier? Spiele den eiskalten Hund, marschiere direkt zu denen rein, lege die Eier auf den Tisch. Hoffen wir, dass sie mir keiner abschneidet. Der Gedanke lässt mich schrumpfen. Fuck.
Exakt 28 Minuten später steht ein schwarzer Mercedes Offroader draußen auf der Straße. Ich betrachte ihn durch das Fenster. Sieht gepanzert aus. Ich hätte ihnen schwarz ebenfalls verbieten sollen – hätten die Penner alt ausgesehen. Wahrscheinlich besteht der gesamte Fuhrpark aus abgrundtief bösem Schwarz. Ich lasse die Vorhänge zufallen und mache mich auf den Weg nach unten.
Der Fahrer steigt aus und macht mir die hintere Tür auf seiner Seite auf. Der Kerl trägt eine schmale schwarze Sonnenbrille und sieht damit aus wie Agent Smith. Seine ebenfalls schwarzen Fliegerjacke und Cargopants sowie sein militärischer Crewcut vervollständigen das Klischee.
Mit einem wortlosen Nicken schiebe ich mich nach innen auf das weiche Leder. Schwarz.
Schweigend fährt mich Agent Smith für ein paar Minuten durch Belfast, während ich darüber nachdenke, ob ich ein paar witzige Gespräche mit ihm anfange. Ihn nach der blauen und der roten Pille frage, oder wer sein Flügelmann ist. Oder welche Rolle er im letzten Film von Chuck Norris gespielt hat. Ich lasse es – ist er nicht wert.
Ich habe Kopfschmerzen. Wenigstens ist der pelzige Geschmack auf der Zunge nach einem halben Dutzend Spiegeleiern und einer guten Portion Schwein, sorgfältig in der Pfanne kross gebraten, komplett verschwunden. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen – ich hätte mir was von dem Bacon mitnehmen sollen.
Stumm steuert der Soldat vor mir den Wagen durch Belfasts Straßen, bis wir unser Ziel erreicht haben.
Geschmeidig schiebt er sich nach draußen. Ich bleibe sitzen. Warte darauf, dass er mir höflich die Autotür öffnet. Macht er - dauert eine Weile. So lange, bis er geschnallt hat, dass ich ansonsten in seiner Karre sitzen bleibe.
Als ich ihm auf dem Weg nach draußen freundlich zunicke, kann ich durch die nachtschwarze Brille erkennen: Ich habe einen Freund fürs Leben gewonnen.
Der Wagen steht vor einem Bookie – einem Buchmacher für Sportwetten. Agent Smith geht rein, macht sich nicht die Mühe, mir die Tür aufzuhalten. Ich nehme an, der Elitesoldat will nicht ein weiteres Mal als Butler missbraucht werden.
Drinnen ist der kahle Raum in ein grünliches Licht getaucht – als würde ich mich in einer Bierflasche befinden. Die schmalen Fenster, die oben in zwei Metern Höhe liegen, sind mit verschiedenen Aufklebern abgedichtet und filtern auf diese Art das wenige Licht.
In dem Raum ist es gemütlich wie in einer Wartehalle – der Linoleumboden ist mit Papierschnipseln übersäht, die Hocker an den hohen Tischen kahl und die Durchreichen, hinter denen die Buchmacher sitzen, abweisend.
Drei armselige Zocker starren auf einen Bildschirm, den ich nicht sehen kann. Dem Sound nach ist es ein Pferderennen. Die anderen Screens sind entweder dunkel oder auf stumm geschaltet. Hinten rechts läuft ein Mittelgewichtskampf.
Vor einem der Schalter steht die Gruppe, wegen der ich hier bin: Noch ein Agent Smith, dieser im Anzug, ein hartgesichtiger Graubart im Rollkragenpullover und ein älterer Kerl mit silberner Löwenmähne stehen dort beisammen. Ihnen nähert sich ein Kerl, der eindeutig als Inventar des Bookies zu erkennen ist: Klein, leicht vorgebeugt mit einem kahlen Kopf sieht der Typ aus wie das Abziehbild des blutarmen Buchmachers. Er reicht dem Graubart einen Zettel und verzieht sich.
Mein Agent Smith stellt sich zu den dreien und ich werde offiziell begutachtet. Begrüßt werde ich nicht.
Ich stehe vor der Entscheidung, ob der Graubart oder die Silbermähne der Boss ist. Der Bigshot, mit dem ich reden soll. Hey – habe ich um das Treffen gebeten oder er?
Überlege kurz, wie weit ich diese Provokationen noch treiben will. Weit, entscheide ich. Ich bin fuckin’ All-In! Schiebe alle Chips, die ich habe, auf den Tisch. Hoffe auf den Royal Flush. Und hoffe, dass man mir meine beschissene Angst nicht ansieht.
Mit einem freundlichen Lächeln trete ich nach vorne und drehe mich zum Fernseher hinter mir um. Verfolge ebenfalls das Pferderennen. Nach einem Augenblick sage ich: ‚Ibbo’s Mom auf Platz!’
Ich kann die vier hinter mir in ihrer Verspanntheit spüren, alle Augen auf meinem Kreuz. Kein Problem – bin breit genug. Fühle, wie die beiden Agent Smiths mir an die Gurgel gehen wollen für meine Unverschämtheit. Sollen sie – wird ein kurzes Gespräch.
Das Rennen ist zu Ende. Ibbo’s Mom wird Zweiter.
‚Yeah!’ rufe ich und fahre herum. Direkt hinter mir steht Agent Smith in der Fliegerjacke. Ich betrachte mein eigenes Spiegelbild in seiner Brille. Hölle, hier drinnen ist es so dunkel – ich würde ihm gerne meinen Arm anbieten, damit er mit dem Ding auf der Nase zur Tür findet.
‚Sehr witzig, Arschloch’, zischt er.
Insgeheim schließe ich Wetten darüber ab, ob er mir in die Kniekehlen treten wird, einen Schlag an den Hals verpasst oder mir einen hammerharten Haken auf die Leber mitgibt.