Drei Engel für Charlie

Erzählung zum Thema Geborgenheit/ Wärme

von  Mutter

Im Schlafzimmer der beiden setze ich mich auf das breite Bett und atme einen Moment durch, sammele mich. Wähle die Berliner Nummer und höre auf das Freizeichen, bis er sich meldet.
'Ja?'
'Collie - ich bin's.'
'Scheiße, Corker. Was ist passiert? Wo bist du?'
Ich merke, wie sich mein Kiefer verspannt hat, zwinge die Muskeln, sich zu lösen.
'Ich bin bei Molly.'
Einen Augenblick kommt nichts. Schweigen am anderen Ende der Leitung.
'Shit.'
Ich nicke. Bleibe weiter stumm. Komm, Collie, bau jetzt keinen Scheiß. Sag nichts Falsches. Das hier ist deine große Corker-Prüfung! Fall nicht durch, Collie, bitte nicht.
'Und es ist alles in Ordnung?'
'Alles okay.'
'Dann ist sie nicht ...'
Nein, Collie, ist sie nicht. Ich muss nicht antworten, kann er sich selbst zusammen reimen.
'Scheiße.'
Ich nicke erneut. Nehme an, er überlegt gerade genauso fieberhaft wie ich, was das zu bedeuten hat. was das für Konsequenzen hat.
'Du denkst aber nicht ...'
'Hör zu, Collie, ich denke gar nichts. Deine Info war falsch. Was ist mit dem Rest? Auf wie viel davon kann ich mich verlassen?'
Hamburg, Welshie - für wie viel davon ist Collies sichere Quelle verantwortlich?
'Gib mir Zeit, Corker. Ich check das durch, in Ordnung?'
Mit geschlossenen Augen versuche ich, mich auf seine Stimme zu konzentrieren. Panik oder Angst darin zu erkennen. Außer einem leichten Anflug von Sorge bleibt er ruhig, hat sich im Griff. Ich seufze. Scheiße, wie lange kennen wir uns - fünfzehn Jahre? Dass mich Collie wissentlich verrät ist undenkbar.
Ist es das?
Imkreisimkreisimkreis - drehen sich meine Gedanken. Wo ist der verfickte Ausgang aus dem Labyrinth?
'Bleib da dran, Collie.' Ich muss die Stimmlage nicht verändern, um ihm klar zu machen, dass das eine Drohung ist. Er weiß, was auf dem Spiel steht.
‚Auf jeden Fall, Mann. Du kennst mich.‘
Falsches Stichwort, Collie – kenne ich dich? Wie viel deiner Seele versteckt sich vor mir im Dunkeln.
‚Ich habe was für dich‘, sagt er, wechselt das Thema.
‚Sag an‘, erwidere ich knapp.
‚Der dritte Mann? Neben Thompson und Bento.‘
Jetzt klickt bei mir, wovon Collie redet. Die Connection zu dem Geld, was geflossen ist, um mich in Hamburg an den Arsch zu kriegen.
‚Der unbekannte Mann aus Derry?‘
‚Genau der. Das ist Brewster Damian. Sagt dir das was?‘
‚Nein, nie gehört.‘
‚Das ist ein ganz übler Mutterficker, Corker. Der hat so einiges an Leichen im Keller. Gerüchten nach war der früher bei der SAS.‘
Special Air Service, britisches Spezialkommando – na großartig.
‚In Ordnung – noch was?‘
‚Thompson ist tot.‘
‚Wie?‘ In meinem Kopf gehen die Alarmglocken an.
‚OD. Wurde in seinem Ferienhaus an der Antrim Coast tot aufgefunden. Mehr weiß ich auch nicht.‘
‚Scheiße. Two down, one to go.‘
‚Tut mir leid. Ich bleibe da dran - sobald ich mehr weiß, melde ich mich, okay? Und Corker …‘
‚Ja?‘
‚Mach dir keinen Kopf. Vertrau mir!‘
Mehr als ein ‚Hmmmmm …‘ bekommt er nicht. Mit einem langen Blick auf das Telefon drücke ich den roten Knopf und beende das Gespräch.

Molly wartet im Wohnzimmer, als ich herauskomme. Sie steht am Fenster, dreht sich zu mir um, den Rücken zur atemberaubenden Kulisse.
'Und?'
Ich zucke mit den Schultern und lasse mich auf die Kissen der Couch fallen.
‚Ich habe eine neue Spur, einen weiteren Namen.‘
‚Gehst du dem nach?‘
‚Später – jetzt kümmern wir uns erst mal um diesen Scheiß-Hit.‘
Langsam kommt sie zu mir rüber und setzt sich neben mich, vorsichtig. Hält leichten Abstand, als sei ich gefährlich. Oder sie.
'Wo ist Anne?, will ich wissen.
'Meldet er sich bei dir? Wenn er noch mehr rausfindet?'
Ein müdes Nicken beantwortet ihre Frage. 'Ist alles vorbereitet?'
'Ist es. Das wird ein Spaziergang!'
Milde lächelnd sehe ich sie an, honoriere ihren Versuch, mich aufzuheitern. 'Warum macht ihr das?'
'Dir helfen?' Sie setzt sich auf dem Sofa zurecht. 'Anne hilft dir, weil ich es tue.'
'Warum machst du das?'
Diesmal lächelt sie ein echtes Lächeln, das mir den Magen zusammen zieht. Streckt langsam die Hand aus und berührt mich an der unrasierten Wange. Lässt die Hand da liegen, und ich muss alle Willenskraft aufbieten, um nicht die Augen zu schließen und mich in ihre weiche, kühle Hand zu schmiegen. Sehe sie weiterhin aufmerksam an, innerlich verspannt.
Endlich antwortet sie, bohrt ihren Blick in meinen, als müsste sie permanente Spuren auf meiner Netzhaut hinterlassen.
'Weil du dringend Hilfe brauchst, Gordon Corker!'
Mit einem Ruck steht sie auf und geht zurück ans Fenster. Nachdenklich betrachte ich ihre dunkle Silhouette gegen die helle Abendsonne, die dabei ist, rechts aus dem Bild zu verschwinden.
Sie dreht sich um, betrachtet mich einen Moment. 'Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Anne hat mir dieselbe Frage gestellt, und natürlich weiß ich, dass es schlauer wäre, dich nicht mal mit einer Kohlenzange anzufassen.' Wieder lächelt sie das weiche Lächeln. 'Wenn wir zwei dir nicht helfen würden - wer dann?'
Niemand, ist die Antwort. Ich kann mich nicht mal auf Collie verlassen – ich muss echt am Arsch sein.
Sie bekommt ein schwaches Echo auf ihr Lächeln.
'Richtig.' Mit einem Ruck setze ich mich auf. Füge deutlich fröhlicher hinzu: 'Was machen wir heute Abend?'
'Wir warten kurz, bis Anne zurück ist. Dann gehen wir, und amüsieren uns. Wie wäre es, wenn du mit uns tanzen gehst?'
'Oh Mann, wo bleibt Anne?', stöhne ich und springe auf.
Molly lacht. 'Geh duschen, richte dich her. Wir haben einen Ruf zu verlieren!'
Mit gespielt abwehrender Geste gehe ich, um ihrem Befehl nachzukommen.

Groggy setze ich mich am nächsten Morgen an den Tisch. Anne füllt eine Kaffeetasse und schiebt sie mir wortlos rüber. Es ist kurz nach Sonnenaufgang - die bleiche Scheibe fängt gerade erst an, sich vor die Fensterfront zu schieben.
Obwohl wir uns alle drei mit dem Alkohol zurückgehalten hatten, ist es nicht gerade früh gewesen, als wir endlich zurück ins Condo kamen. Immerhin gab es nachts um Drei keinen Sex mehr - dann wäre heute Morgen vermutlich keiner von uns aufgestanden. Mein Blick ruht für einen Augenblick auf Anne, die einen weiteren Toasty in die Maschine schiebt. Sagen wir mal, ich hatte keinen Sex - für die anderen kann ich nicht sprechen.
Molly kommt mit nassen Haaren aus der Dusche, in einen fluffigen Bademantel gehüllt. Noch so ein Bild aus einem Hochglanz-Porno, aber meine Gedanken sind bereits bei dem Hit, den wir in gut anderthalb Stunden durchziehen werden. Scheiß auf die Vivid-Girls!
Wenig später machen wir uns auf den Weg - drei Engel für Charlie! Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich Lucy Liu oder Drew Barrymore bin.

Unauffällig drück ich mich weiter in den Türeingang, ziehe den Belfast Telegraph noch höher vors Gesicht. Gegenüber hebt sich langsam das Garagentor.
Als das Tor sich zwei Drittel geöffnet hat, rollt eine beige-farbene Limousine ungeduldig vorwärts. Aus Metriçs Unterlagen weiß ich, wie fett das Ding gepanzert iss. Darauf schießen kann ich mir sparen. Mollys Warfare würde bei dem Monster vielleicht Eindruck machen – aber nicht meine Glocks.
Der Wagen schiebt sich unter dem Garagentor hervor und rollt knirschend über den Kies, auf das ebenfalls automatische kleine Gartentor zu. Als sich die doppelflügelige Pforte komplett geöffnet hat und der Plymouth gerade anfahren will, höre ich den Knall des Reifens vorne rechts. Und unter dem Geräusch ein zweites, leiseres. Das wird man im Wageninneren nicht hören können. Es ist das Projektil der Sniperrifle, das sich erst durch den Kies und dann die fruchtbare nordirische Erde bohrt. Nachdem sie den Reifen zerfetzt hat.
Ich unterdrücke den Wunsch, mich suchend umzusehen. Wo Molly sitzt, weiß ich nicht und  werde ich nicht erkennen können. Nicht auf die Distanz. Ist egal – mir reicht, dass sie da ist. Dass sie mein Back-Up ist.

Der Wagen ist zum Stehen gekommen. Die Beifahrertür geht auf, und der erste Anzugträger schiebt sich raus. Im Wagen befinden sich zwei, jeweils vorne – meine Zielperson sitzt alleine hinten.
Während der Kerl sich suchend umsieht, tritt er vorne an den Reifen. Tritt dagegen, als könne ihm die Geste verraten, warum ausgerechnet jetzt der Scheiß-Reifen geplatzt ist. Er verzieht das Gesicht, sieht sich noch mal um. Nicht misstrauisch – eher verärgert. Als könne er so den Sündenbock, der ihm den Morgen versaut hat, finden. Wird er nicht. Nicht, bis ich ihm wuchtig von hinten in die Eier trete.
Ich grinse hinter meinem Telegraph.
Es ist Zeit für meinen Auftritt.
Der Anzug geht um den Wagen rum, offenbar, um mit dem Fahrer zu reden. Gerade als er sich vorbeugt und durch das herunter gelassene Fenster spricht, knallt es erneut. Diesmal sinkt der Wagen deutlich sichtbar auf den Kies – die gesamte Front ist platt.
Mit einem lauten unchristlichen Fluch und verzerrter Miene bewegt sich der Anzug erstaunlich schnell vorne um die Motorhaube. Steht da und sieht sich die Bescherung an. Gestikuliert in Richtung Wageninneres.
Die Fahrertür geht auf, und ein Typ in Sportblouson und einem modischen Iro-Haarschnitt, wie ihn Beckham vor ein paar Jahren getragen hat, steigt aus.
Ich löse mich aus meiner Deckung, lasse den Telegraph ungelesen zu Boden gleiten. Sprinte geduckt über die Straße und dann an einer Hecke entlang, den Vorgarten mit den beiden Bodyguards gerade noch im Blick.
Als ich die offene Pforte passiere, hockt Beckham gerade vor dem Wagen und befingert den Reifen. Der Anzug hat sich in der Hüfte vorgebeugt und gibt schlaue Kommentare ab – wahrscheinlich will keiner der beiden den Reifen wechseln.
Kurz bremse ich ab, nehme die Szene in mich auf und gebe dann voll Stoff. Fetze über den Kies auf den Wagen und die beiden zu.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(29.09.09)
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 Mutter meinte dazu am 29.09.09:
Mmmmh, verstehe ...

Schau ich mal drauf. :)
Danke.

 Mutter antwortete darauf am 29.09.09:
So, hab' mal die lapidaren, flapsigen Stellen überarbeitet.
Lustigerweise musste man gar nichts umschreiben - streichen hat völlig ausgereicht.
:)
Kitten (36) schrieb daraufhin am 29.09.09:
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Alegra (41)
(18.11.09)
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 Mutter äußerte darauf am 18.11.09:
Dann streng Dich gefälligst mehr an! :-P

Danke ... :)
Alegra (41) ergänzte dazu am 18.11.09:
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