4. Grün

Text zum Thema Hoffnung/Hoffnungslosigkeit

von  Erdbeerkeks

Als ich zuhause im Bett liege und an die dunkle Holzdecke starre, schlage ich mir plötzlich mit der flachen Hand gegen die Stirn und stöhne entnervt.
Wie dumm ich bin. Morgen ist die Bücherei zu. Geschlossen.
Keine Ahnung, warum ich manchmal so ein stumpfsinniger Vollidiot bin, aber in ihrer Gegenwart prägt sich das noch mehr aus, dabei wirkt sie so, als wolle sie einem bloß jegliche Unannehmlichkeit ersparen. Gleichzeitig kann ich nie wissen, was in ihrem hübschen Kopf so vor sich geht, kann nur aus ihrem Gesichtsausdruck schließen, der mir von Tag zu Tag bekannter und wunderschöner vorkommt. Ich könnte mich an sie gewöhnen und würde es nur allzu gerne. Bis dahin lerne ich einfach Geschichte, um mich abzulenken, beschließe ich und irgendwann spät abends falle ich in einen tiefen Schlaf, das Buch immer noch in meiner Hand.
Am nächsten Morgen bin ich ganz krank vor Sorge. Mein Kopf fühlt sich schwer an, so als ob er die ganze Nacht durchgearbeitet hätte und während ich mich anziehe und meine Chucks zuschnüre, dividiere ich die Chance, dass sie wirklich da ist immer und immer wieder durch meinen gnadenlosen Realismus. Ich hab Mathe schon immer gehasst, um ehrlich zu sein. Und Geschichte lernen mit ihr ist sowieso schöner.
Als ich also an der Bibliothek ankomme, bin ich eine halbe Stunde früher da, als sonst, weil ich selten solche Angst hatte. Angst, sie zu verpassen, falls sie sogar noch früher da ist, als ich. Aber ich sehe mich um und niemand ist da. Ich ruckle recht hoffnungslos  noch einmal an der Türklinke, nur um sicherzugehen, lasse mich dann auf die Treppenstufen sinken und stütze den Kopf auf meine Hände. Diverse Möglichkeiten und Optionen fahren in meinem Kopf Karussell und bringen ihn nur dazu, sich noch schlimmer anzufühlen und nach fünf Minuten stehe ich auf, weil ich es nicht aushalten kann, ruhig herumzusitzen.
Nach sieben Minuten gehe ich panisch nervös auf und ab und nach zehn lehne ich mit völlig überdehnten Nerven an der kühlen Steinwand und versuche, ruhig zu atmen. Das kann doch nicht so schwer sein, sich wieder zu beruhigen, oder? Verdammt, ich bin doch kein pubertärer, kleiner Junge mehr. Ich bin aus dem Schmetterlingsgefühl doch eigentlich längst raus, oder? Oder?
Ich höre das gleichmäßige leise Geräusch von Absätzen auf Pflastersteinen und bin mir da gar nicht mehr so sicher; denn als ich meine krampfhaft geschlossenen Augen öffne und sie sehe, fühlt sich mein eigentlich schwerer Kopf plötzlich an, wie ein Heliumluftballon.
„Du bist ja gekommen“, sagt sie und sieht glücklich aus; und ich lache erleichtert und noch glücklicher als sie und sage „Du auch“. Ich denke, sie hört, wie viele Steine mir vom Herzen fallen.
Wir machen uns auf den Weg, nicht wissend auf welchen und vollkommen orientierungslos, denn keiner von uns beiden kommt aus dieser Stadt und wir gehen einfach, denn es ist total belanglos wohin; wir gehen und reden, knüpfen dort an, wo wir gestern aufgehört haben und keinem von uns macht das auch nur das geringste aus.
Wir sitzen in Cafés, bleiben mal hier und mal dort, aber irgendwie scheint uns keines das richtige zu sein und als es schon dunkel wird und der Mond aufgeht, bleiben wir einfach stehen, inmitten der Innenstadt, die fast menschenleer ist. Abends, acht Uhr, Sonntag.
Die Straßenlaternen werfen trübe Lichtkegel auf den Asphalt, tauchen die Läden und Boutiquen in dunkelblaue Schatten und ich halte ihre Hand mit dem dunkelgrünen Band am Arm. Oder sie hält meine. Wir halten uns wohl gegenseitig und ich schwöre, ich werde nicht zuerst loslassen.
Es scheint mir an etwas Weltbewegendes zu grenzen; sie war immer so unnahbar, jedoch niemals distanziert. Ich glaube, sie wollte insgeheim, dass man sie findet und das habe ich getan. Inmitten von wichtigtuerischen Professoren, brummigen Bibliothekarinnen und Tonnen von Büchern.
Ich küsse sie schüchtern und in dem Moment weiß ich, dass ich sie brauchen werde. Lange, sehr lange. Länger, als nur gesprächreiche Abende und Bibliotheksnachmittage.
Und ich denke, das beruht auf Gegenseitigkeit.

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Kommentare zu diesem Text


 princess (04.04.10)
Ich mag es, wie Du durch Innenwelten schlenderst:
Leise, unspektakulär, berührend.
Und ich warte auf die nächste Farbe...;-)
Träumerveve95 (17)
(04.04.10)
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