Rotes Licht

Text

von  max.sternbauer

Rotes Licht

Er hatte zwei Feinde. Manchmal attackierten sie ihn einzeln. Meistens aber im Duett.  Wie heißt es doch bei Goethe, die Geister die er rief wurde er nicht  los?
Seine Gegner hatte er  beschworen. Seine Zauberformel war der Alkohol gewesen.
Seine beiden Feinde hießen mit Namen, Schwerkraft und Gleichgewichtssinn.
Wie im surrealsten aller Träume, schwankte er die Betontreppe hinunter.
Im Gang pisste er gegen die Mauer,
Müde wie ein Grubenarbeiter nach einer 16. Stundenschicht, betrat er das Bordell. „Na wie geht’s dir Frank“.
„Haha guter Witz“,  grummelte er während seine Hände die Augenflächen rieben bis sie brannten. Die Bardame stellte ihm das übliche hin und verzog sich wortlos als wäre sie eine Marionette an Fäden gezogen.  Frank durfte man nicht  ansprechen, wenn er es nicht ausdrücklich genehmigte. Dass selbe galt für Ansehen oder einen Ausgeben.
Das war das schöne an Stammkneipen. Jeder kannte jeden. Alle  ließen sie dich in  Ruhe.
Schweigend saß er auf seinem Barhocker. Wortlos wurde auch nachgefüllt.
Frank verstand es, jeder Konversation aus dem weg zu gehen.
Er kam hier her um zu trinken und dann wieder zu gehen. Er nervte niemanden  mit seinem Schicksal oder demolierte die Einrichtung.
Er war ein Säufer, aber einer der immer Geld hatte und wusste wann es genug war.
Unterbrochen wurde sein tun nur, wenn die Blase rief.
So lief sein Leben in geordneten Bahnen. Ein starres Newtonsches Leben, wo alles seinen Platz und seine Flugbahn hatte.
Als er das letzte Glas absetzte, verschwamm das Bild, das seine Augen einfingen. Mit einer eleganten Bewegung, salutierte er zum Abschied von einem imaginären Oberst und tänzelte zum Ausgang.   
„He Frank, du hast was vergessen“. Ohne sich umzudrehen, betasteten seine Hände  den Mantel und die Hosentaschen.
„Nein du hast deinen Gute-Nacht-Drink vergessen“, sagte die Kellnerin  und zeigte auf ein Glas Whiskey vor sich.
Ein ungewöhnlicher Muskelreflex durchzuckte sein Gesicht. Er lächelte.
Mit einem melancholischen Grinsen, stürzte er den Schnaps  in sich hinein.
Dieses eine Glas war zuviel. Vielleicht lag es an der Mondphase, oder das er auch älter wurde. Er ging zu Boden. Sein Gehirn schaltete sich ab Langsam schloss er die Augen.
Spucke rann  aus seinen Mundwinkeln. Kaum  zwei  Schritte von der Bar weg, gaben seine Beine nach.  Geradeaus, mit mathematischer Präzision auf einer geraden Linie, steuerte sein Körper den Boden an.
Aber sein Nervensystem war schon  zu gelähmt als das er etwas spürte.
Tief sickerten Franks Gedanken in die dunklen Sedimente seines Geistes ein.



Das Licht einer kleinen Nachttischlampe, stach ihm grell in die Augen, als er vorsichtig die Lieder hob. Stöhnend,  als würden Zahnstocher auf seinen Nervenbahnen tanzen, zuckte er zusammen.
In einer fremden Wohnung das Bad zu finden  war eine Kunst die er perfekt beherrschte.
Ohne hinunter zusehen, pisste er los.
„Hinsetzen“, sagte  jemand der hinter ihm vorbei rauschte.
Frank spähte aus dem Bad. Keine Menschseele, außer ihm.
„Zur Küche geht es da lang“,  sagte wieder diese Stimme und wieder hinter ihm.
Egal wie schnell Frank auch war, die Gestalt verschwand wie ein Traumgespinst.
Wahrscheinlich war es das auch eins, dachte er ganz nüchtern.  Und befühlte seine Stirn, als könne er so eine Alkoholvergiftung erkennen.
Ein Frauenkopf lugte bei einer Türöffnung skeptisch zu ihm rüber.
„Essen da“, sagte sie. „Äh danke“, antwortete Frank und folgte ihr.
Die  junge Frau  war etwa Anfang dreißig, das wusste er weil seine Tochter genau so alt war. Auf einem schmucklosen weißen Tisch stand eine Kaffeekanne und Brot in Scheiben geschnitten. Als sich Frank setzte und eine Frage  auf seiner Zunge lag, sagte die junge Frau zu ihm „Sie waren gestern Abend  sternhagelvoll und kein Taxi wollte sie mitnehmen.  Ich habe sie gnadenhalber aufgenommen“.
Sie nahm einen Schluck aus ihrer Tasse  und fügte noch hinzu,
„ach ja mein  Name ist Tatjana“. 
Sie schüttelten sich die Hände. Ein Osteuropäischer Akzent, dachte Frank, als Tatjana seine Hand wieder fallen ließ.
Unschlüssig starrte Frank sie an. Um etwas zu tun zu haben, hob er die Kaffeekanne  von ihrem reservierten Logenplatz weg.
„Danke“, sagte er, während er sich Kaffee einschenkte. „Die Nacht kostet zusammen mit dem Frühstück 200“.
Frank drehte sich auf seinem Stuhl während er die Kanne noch gekippt hielt. „Scheiße“, fauchte er als heißer Kaffee  über seine Beine floss.
„Entschuldigung, das sollte nur ein Witz sein“, sagt Tatjana und reichte ihm ein Küchentuch.
Worauf Frank einfach nur die hellbraune Brühe in seiner Tasse anstarrte.
„Trotzdem danke“ knurrte er 
Tatjana setzte sich zu ihm. „Ich bewundere sie“.
Frank zerknitterte die Haut seiner Stirn in Falten. Tatjana erklärte: „na was sie gestern geschluckt haben,  und heute aber pfeifen sie überhaupt nicht aus dem letzten Loch, so was ist doch bewundernswert“.
Tatjana nahm einen Schluck und warte auf eine Antwort.
Frank rubbelte sich wieder die Augen und schenkte sich aber die Antwort die er ihr gerne ins Gesicht gepredigt hätte. Zwischen seinen Fingern spähte er kurz zu hier hinüber.
Sie  arbeitete im Puff aber als was?
Tatjana trug ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz geflochten.
Ihr Gesicht wirkte so als wäre es niemals mit Schminke in Berührung gekommen.
Viele Frauen die in diesem Wirtschaftszweig arbeiteten, sahen wenn der Tag anbrach nicht mehr aus wie die Menschen die sie bei Nacht waren.
Viele spielten eine Rolle, die sie Sonnenaufgang wieder abstreiften. Wie ihre Kostüme die Sie trugen. Frank, der schon zum Inventar des Nachtclub gehörte, kannte alle Prostituierte, Rausschmeißer und sogar den Buchhalter. Aber an Tatjana konnte er sich nicht erinnern.
Sie reichte ihm ein Foto. Und an diese Frau konnte er sich sehr wohl erinnern!
Sie hatte weinrotes Haar, das mit dem Tiefrot der Couch  fließend verschmolz.
Verspielt lag sie auf diesem Möbelstück, wie ein junges Mädchen. Aber ihre Augen strahlten von einer inneren Ruhe und Würde.
„Oh mein Gott“, sagte  Frank. 
„Nein, Tatjana“ antwortete sie ihm.
Nicht nur wegen seines brummenden Schädels, sondern auch um ihr zu entkommen, befolgte er die Etikette mal  nicht und nahm geraden Kurs in Richtung Tür.
Bei der Polarkalten Verabschiedung, gab sie ihm seinen Mantel zurück.
„Ich habe sie nicht beklaut. Aber ihre Garderobe roch nicht mehr ganz frisch, deswegen habe ich sie mal in die Waschmaschine gesteckt“.
Kommentarlos nahm er ihn an sich.
Obwohl sein Mantel wirklich gewaschen roch und nicht mehr nach Tabakgestank so vieler verlorener Abende, nahm er seine Geldbörse raus.
Aber bevor sein Daumen in das Futter stach, sah er  noch einmal zur Wohnungstüre hoch.
Was soll’s, glauben wir ein letztes Mal noch an die Gattung Mensch.
Dann betrat er wieder die graue Welt.



Überrascht starrte er den Apparat an als wäre  er gerade vor seinen Augen erschaffen worden. 
Er wusste niemanden den er anrufen konnte, aber das wollte er auch gar nicht. Aber jetzt brüllte das verfluchte Mist ding. Und er wusste nicht wie er reagieren sollte. Frank ertrug die Menschen  nur noch, weil die Erde schon so voll war, als das ein Einsiedlerleben  noch möglich gewesen wäre. Er hielt den Hörer an sein Ohr und schwieg.
Mach  es kurz!
Leise konnte er ein Weinen hören. „Tatjana“, fragte er. Eigentlich war es keine Frage.
Er wusste dass sie es war.  Lange schwiegen beide. Als sie dann den Mund aufmachte, war der Ton von ihr so leise als fürchte  sie belauscht zu werden.
„Helfen sie mir“,  sagte sie schließlich.
„Bitte darf ich zu ihnen kommen. Ich kann bei mir nicht reden. Ich brauche Sicherheit dazu“. Zum Schluss hin zitterte ihre Stimme so sehr, dass Frank kaum noch etwas verstehen konnte. „Wenn es nicht anders geht“, antwortete Frank. Daraufhin legte sie auf.
Frank war so überrascht, dass er eine halbe Minute  noch wartete ob sich Tatjanas Stimme sich noch meldete. 
Müde nahm er eine Flasche Wodka und lege sich in die Badewanne.
Frank hatte ein seltsames Gefühl im Bauch, so als hätte es mit zwei unterschiedlichen Menschen zu tun gehabt. Die aber eines gemeinsam hatten; die gleiche Stimme.
Die junge Frau am Telefon  klang nur so wie Tatjana, aber es war nicht dieselbe Frau.
Frank kroch schon seit einigen Jahren über diesen Planeten und ihm waren schon viele Kreaturen begegnet. Heilige waren ebenso dabei gewesen wie Ratten. Menschen zu verstehen war ihm nie gelungen, aber er konnte in ihnen lesen.
Die sarkastische junge Frau mit dem starken Auftreten, war nur ein brillantes  Theaterstück  gewesen. Die Person die Frank angerufen hatte war der Mensch der hinter dieser Dramaturgie lebte.
Er trank jetzt mehr. Schwemmte seine Gedanken mit Alkohol weg.
Irgendwann war Tatjana aus seinem Kopf gespült und er schlief ein.

Langsam kroch sein Bewusstsein durch die  Windungen seines lahm gelegten Gehirnes zurück an seinen Platz.
„Wenn ihr schon meine Wohnung ausraubt, macht wenigstes keinen Krach dabei“, nuschelte er mit schwerer Zunge zu dem Schatten über ihn und legte sich mit einem sanften Grinsen auf die Seite, damit er weiterschlafen konnte. Eine weibliche Stimme räusperte sich. Ein Blitz schlug bei ihm ein. Sofort schüttelte er den Suff von seinen Knochen ab. Erschrocken über seinen plötzlichen Ausfall sprang Tatjana einen Schritt nach hinten und knallte mit dem Kopf gegen die Badezimmerwand. Seufzend rieb sie sich den Hinterkopf. „Was machst du in meiner Wohnung?“, brüllte Frank und versuchte aufzustehen. Tatjana schwieg. Ihr Gesicht war rot gebrannt von den Tränen. Frank winkte verärgert ab und wuchtete sich aus der Wanne. Schwankend taumelte er zur Wohnungstür. Verdammte Sauferei, habe schon wieder nicht abgeschlossen. Mit einer Hand seine Hose haltend ging er in die Küche. Am Tisch stand eine Packung Milch von der er nicht mehr wusste wann er sie gekauft hatte und wie sie dahin gekommne war. Ohne er daran zu riechen stürzte er sie herunter. Ein zweites Mal war es ihm gelungen die Frau zu vergessen. Er holte sich ein  Bier und ließ sich, anstatt dass er sich hinsetzte, auf einen Stuhl fallen. Tatjana kam zu ihm. „Ich muss mich bei Ihnen verstecken!“ Frank glotzte sie schief an und tippte sich an die Schläfe. Tatjana sah zur Seite auf den Küchenboden. „Warum haben Sie dann überhaupt gesagt, Sie würden mir helfen?“ Frank trommelte mit seinen Fingern gegen seine Bierdose. Dann stand er auf und ging zum Telefon um mit einem kleinen Notizblock wieder zu kommen. Er kopierte eine Nummer auf einen Zettel und reichte ihn Tatjana. „Hier, das ist die Nummer von einem ehemaligen Kollegen von mir bei der Polizei. Er ist ein fähiger Mann, sonst würde ich Ihnen die Nummer nicht geben. Ihm können sie vertrauen.“
„Ich kann nicht mehr zurück Das wurde mir angetan, weil ich zur Polizei gehen wollte. Ich und viele andere Frauen werden wie Sklaven gehalten. Ich habe keinen Ausweis, kein Geld und keine Freunde, die mich verstecken könnten. Also bitte ich Sie nochmals.“ Als es Nacht wurde legte sich Tatjana in sein Bett und Frank kramte seinen Schlafsack heraus. Es gab noch vieles über das sie reden mussten, dachte er und starrte die Lichter Frankfurts an. Ohne, dass er es merkte, waren seine Finger über den Tisch zu seinem Bier geglitten. Es war warm. Das erste Mal seit Jahren, das so was ihm passiert war.


Tatjanas Geschichte

Frank starrte in den Spiegel und versuchte die Realität außerhalb seines Badezimmers zu verdrängen so gut, wie er es vermochte. Er spielte sich mit seinem Rasierer nur um ein paar Sekunden zu gewinnen. Das wiederholte er mit dem Duschkopf und der Klospülung. „Du bist seit einer Stunde da drinnen! Die Grenze zum Peinlichen hast du schon vor Urzeiten hinter dich gebracht!“ Im Spiegel sah Frank wie sich die Türe öffnete. Tatjana schaute ihn erstaunt an. Offenbar hatte sie nicht gerechnet, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Verdammt, kann ich denn nie zusperren. Beide starrten sich an. Dann stapfte Frank einfach an ihr vorbei. „Bringen wir’s hinter uns.“, sagte er und rieb sich wieder die Augenlieder. Sanft wie eine Feder beugte sich Tatjana vor, um sich auf einem Stuhl niederzulassen. Frank sagte zu ihr, „Ich muss alles wissen, um mir ein Bild davon zu machen. Also brauche ich die ganze Geschichte. Alle Höhepunkt und alle Kleinigkeiten. Auch wenn sie unbedeutend sind. Verstehen Sie das?“
Tatjana holte tief Luft und begann zu erzählen. „Ich komme aus Moldawien. Mein Vater war einmal Lehrer für Kunstgeschichte gewesen, vor dem Mauerfall. Danach als er auf das Arbeitsamt ging wegen einer neuen Stelle, bekam er nur eine als Straßenkehrer. Ich schaffte meinen Abschluss“. Hier brach sie ab.
Ohne gefragt worden zu sein, stellte Frank ihr ein Glas Wasser hin. Vorsichtig hob sie es an ihre Lippen, so als wäre es hochprozentiger Wodka.
„Mein Vater hatte mir  sein ganzes Erspartes mit gegeben. Außerdem eine Zugkarte und einen Brief“. Tatjana griff in einen kleinen Rucksack hinein  und holte in beschriftetes Blatt Papier hervor, das in Plastik eingeschweißt worden war.
„Ich möchte ihn nicht vorlesen,  weil diese Worte nur  mir gelten, ist das okay“?
Frank nickte. Für einen kurzen Augenblick verschwand jeder nur lesbare Ausdruck aus ihren Augen. „In Kiew wohnte eine gute alte Freundin, bei der ich unterkommen konnte. Wir hatten alles durchdacht “.
Frank merkte wie sich ihr Ton veränderte.  Die ganze Zeit über war es ihr schwer gefalle zu sprechen. Es war eine ganze Menge die sie da herumtragen musste.  Aber sie kamen immer näher  an einen  Punkt wo  Frank richtig spürte dass sie es noch nie mit jemand geteilt hatte. Weder die  Erinnerung, noch den Schmerz.
„Also fuhr ich nach Kiew zum studieren. Aber na ja, ich machte einen schweren Fehler. Während meiner ganzen Reise war ich ein Eisblock. Im Zug sah ich weder aus dem  Fenster, aß oder trank etwas. Aber dann im Bahnhof, brach alles aus mir heraus
Ich setzte mich auf  eine Bank und heulte los. Mir war es egal ob mich irgend jemand blöd  ansah, das bemerkte ich sowieso nicht. Mir tat alles weh, mein Körper war ein einziger Schmerz“.
Tatjana  saß nicht mehr in Franks Wohnzimmer, sondern wieder war wieder in ihrer Vergangenheit.
Frank folgte ihr auf dieser Reise und schaute neben sie sitzend, sich um.
Obwohl sie sicher von selbst weitererzählt hätte, wurde Tatjana gefragt, „und wie geht es weiter“. Stumm zeigte sie nach vorne.
In einem kleinen Stehcafe schaute ein junger Mann immer wieder zu der Sitzbank hinüber. Sein Blick war nicht direkt, aber wenn man ihn länger im Auge behielt, bemerkte man die verstohlenen Blicke die durch die Halle zu ihr hinüber schlichen.
Der Mann winkte mit einer lässigen Geste nach der jungen Frau hinter den Metalltressen  und orderte etwas  ohne sie dabei anzusehen.  Die rollte mit den Augen  und stellte nach einigen Minuten zwei Becher hin. Zwei Hände nahmen sie und hechteten dann zu Tatjana hinüber. Einer von ihnen, schwebte dann kurze Zeit später unter ihrer Nase.
„Dieses Arschloch da heißt Michail. Wegen ihm kam ich nach Frankfurt“.
Tatjana rieb ich die Stirn.  „Kann ich eine Zigarette haben“.
Frank rauchte zwar nicht, aber wegen seines Berufes war er auf so manchen Menschenschlag vorbereitet. So wie auch auf Raucher.  Aus einer Schublade holte er eine Packung billige Sargnägel hervor und stellte auch einen Aschenbecher hin.  Schwer nickte Tatjana ein Dankeschön zu ihm hinüber.  Drei oder Vier Wolken stiegen zur Decke auf bevor sie den Faden wieder aufnahm.
„Am Anfang war er ein netter Kerl. Er lud mich zu einer Partie ein. Selbstverständlich erst nachdem er mich zu meiner Freundin gebracht hatte“. Tatjana zog ein säuerliches Gesicht. „Zuerst dachte ich, klar er will mich nur abschleppen. Aber ich sagte mal Ja.
Aber während der ganzen Fahrt versuchte er mich nicht zu verführen oder um mir Honig vors Maul zu schmieren. Michail machte nur liebeswürdigen Smalltalk.
Und so geschah es, dass ich ihn anrief. Nach einiger Zeit wurden wir Freunde und er lud mich auf eine Reise nach Warschau ein. 
Ich weiß nicht  wo er mir  das Betäubungsmittel  einflößte. Aber ich erwachte zu früh.
Mitten in der Nacht bei einem stillen Parkplatz, machte er mit deutlich klar was er wollte“.  Mit anmutigen Bewegungen, nahm Tatjana sich ihre nächste Zigarette. Frank hatte mit dem Zählen aufgehört. In dem Dunst kamen ihre Worte langsam zu ihm hinüber geschwebt. Sie sprach nicht schnell, nicht von Gefühlen übermannt.
So als wäre sie in Trance, erzählte sie, „Weil das Zeug in meiner Blutbahn mich noch total benebelte bekam ich nicht allzu viel davon mit. Aber  das reichte“.
Aus der Küche holte Frank zwei Bier. Als Tatjana den Kopf schütteln wollte, sagte er „nein die sind für mich“. Tatjana wartete bis er einen Schluck genommen hatte und führte ihn dann in Michails Wohnung.   
„Es waren nur zwei Zimmer“. Frank und Tatjana standen  in einer Art  Wohnküche. An der längsten Wand  war ein Klappbett angebracht. Tatjana zeigte auf die Tür zum zweiten Zimmer. Eine Armada von neuen Sicherheitsschlössern versperrte sie. Frank ging auf die Knie und musterte die Schlösser.
„Die hatte nur für mich angebracht“ säuselte Tatjana in einem zuckersüßen Ton.
„Die Freier wurden von Michail hier her geführt. Ich besorgte es ihnen und sie verschwanden. Mein ganzen Leben spielte sich in dem Zimmer ab“.  Sie trat leise vor.
Vorsichtig legte sie eine Hand auf das Holz als beruhige sie ein wütendes  Tier. „Genau hinter dieser Tür. Nie wusste ich wann der nächste Gast auftauchte. Meine Warnung war nur immer wenn die Schlösser eines nach dem anderen entriegelt wurden.  Das Zimmer selber war schalldicht. Drinnen gab es auch in Waschbecken wo ich manchmal auch hinein  pissen musste“. Frank wollte die Tür öffnen. Aber eine Hand legte sich auf die Seine die sich nach dem Türgriff ausgestreckt hatte. „Bitte, geh da nicht hinein“.
Und wieder hatte Frank das Gefühl es mit zwei Menschen gleichzeitig zu tun zu haben. Jetzt stand wieder die verletzte  Tatjana vor ihm. Ihre Augen schimmerten. „Okay“, flüsterte Frank und trat von  der Tür weg. Tatjana klopfte mit einer Zigarette auf den Tisch an den sie sich wieder gesetzt hatte.
„Eigentlich hatte Michail nur Drogen gekauft um mich zu kontrollieren zu können. Aber dann nahm er mal selbst was. Am Ende drückte er Heroin“.
Hier lachte sie kurz, aber es klang wie eine Karikatur  allen fröhlichen.   
„Weil er anfing das zu spritzen  was für mich bestimmt war, sollte ich entkommen. Er wurde schnell abhängig.  Ich musste immer mehr Geld verdienen.
Und um es zu bekommen wurde er immer brutaler. Aber er  verlor immer mehr seinen Verstand. Er vergaß einmal sogar die Rechnungen für die Wohnung zu zahlen. Als dann der Gerichtvollzieher in die Wohnung wolle, konnte er das nur mit Glück verhindert“.
Tatjana reckte sich ihre müden Glieder. „An einem gewöhnlichen  Tag wachte ich auf. Es war noch früh am Morgen. Michail hatte mir nichts zum Essen gebracht, was er aber noch nie getan hatte. Nach einigen weiteren Stunden, warf ich mich mit meinem ganzen Körper gegen die Tür und schrie so laut bis meine Stimmbänder fast zerrissen.
Ich dachte, nein ich wusste dass Michail einfach verschwunden war.  Mich konnte niemand hören.    Und weil es noch Wochen dauern konnte, bis mich jemand fand, wollte ich es so schnell wie möglich hinter mich bringen.  In der Decke war ein Haken eingelassen worden.  Ich wickelte Bettlaken aneinander und machte mir einen Strick.
Ich rückte einen Stuhl nahe an die Tür und stieg mit einem Fuß auf ihn. Mit dem anderen  Balancierte ich auf dem Türgriff herum. 
Der gab nach. Ja er hatte vergessen abzuschließen. Michail lag auf dem Bett. Im Koma. Es war eine Überdosis. Für einige Sekunden bekam ich keine Luft mehr. Ich hatte kein Geld, keinen Pass und wusste nicht einmal in welcher Stadt ich mich befand.  Eine Nacht schlief ich im Obdachlosenheim. Ein paar andere konnte ich auch überbrücken in dem ich in einem ausrangierten Waggon am Bahnhof schlief. Aber dann, ich musste ja Geld verdienen, stieß ich auf Lohmann, dem Besitzer des Clubs den sie so gerne aufsuchen“.
Tatjana hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf wie sie in die Fänge von Lohmann
Gekommen war.
„Am Anfang gibt es ein nettes Ritual, mit denen die Mädchen auf ihren Beruf sozusagen vorbereitet werden. Jeden Monat verkündet  Lohmann einen Angestellten des Monats oder einen Gast. Der darf dann kostenlos auf eine von uns rüber. Eine von uns neuen.
Mir blieb das auch nicht erspart“. 
Frank sah aus dem Fenster und stellte fest dass es Nacht geworden war.
„Zwei Jahre arbeitete ich für ihn. Ein wenig Geld legte ich auf ein Sparbuch an. Viele meiner Freundinnen versoffen das Geld, nur um die nächste Runde zu bestehen.
Bis  sie dann  nicht mehr weiter können. Ich wollte das nicht. Weißt du Frank  wie früher Fabrikarbeiter bezahlt wurden;  mit Tauschgutscheinen wo sie in den Geschäften der Firmen  Waren bekamen. So wurden sie noch abhängiger. Lohmann machte es genauso mit uns. Die Hälfte unseres Gehalts bezahlte er mit Gutscheinen. Wir bekamen kaum richtiges Geld, aber an der Bar konnten wir uns abfüllen. So machte er uns zu seinen Robotern“. Eine Pause trat ein. Beide verkrochen sich für eine Zeit  in ihren eigenen Gedanken. Dann erhob sich Tatjana und ging einfach.
Frank drehte sich um und starrte in einen Spiegel der an der Wand hing.
„Wieso passiert so was immer nur dir“.



Franks Geschichte


 
Die nächsten zwei Tage, waren zwei autistische Tage. Für beide.
Frank und Tatjana gingen nicht hinaus, blieben nur in der Wohnung.  Tatjana schlief diese zwei Tage einfach nur durch, ohne ein einziges Mal aufzuwachen. 
Frank schlief überhaupt nicht und kroch  nur wie ein  Schatten durch seine eigene Wohnung. Minutenlang  blieb er oft  an einem Fleck  und starrte in sich hinein, ohne  auch nur eine Spur schlauer zu werden. 
Sie lag auf seinem Bett, vollständig  der Decke vergraben. Nicht einmal ein Haar war zu sehen. Frank nahm eine Flasche Wodka und setzte sich. Solange sie schlief, wollte er die Zeit sinnvoll nutzen; sprich sich besaufen, seine Neuronen  in destillierten Kartoffelschnaps ertränken. Er dachte nicht an Lohmann, Tatjana oder sein eigenes Leben.  Das brachte nichts. Stattdessen  „grübelte“ er nur von Glas zu Glas.
Jahrzehnte alte Szenen aus seinem Polizisten Leben flanierten an seinem inneren Auge vorbei. Bilder von Frauen und Männern die sich  gegenseitig das schlimmste angetan hatten. Frank hatte nie verstanden wieso es Menschen überhaupt gab.
Er konnte nur in ihnen lesen. Aber bei Tatjana war ein Schleier der seinen Blick verhüllte. Ein bedrückendes  Gefühl kroch in seine Magengegend und wollte einfach nicht verschwinden.  Er schmiss dass Glass weg und setzte die Flasche an.
Als er wieder zu sich kam, sah er ohne große Überraschung das Gesicht von Tatjana über sich  schweben. Lustig fand er in diesem Moment nur, dass er das Gefühl hatte auf einen fliegenden Teppich zu liegen.
„Du säufst zu viel“, stellte sie knapp fest. Frank Augen rollten von rechts nach links.
„Bin ich mit dem Stuhl umgekippt“, fragte er. Tatjana  wandte sich ab. Aha also doch.
In diesem Zustand war es besser wenn er liegen blieb. So war die Welt stabil.
Aber Tatjana ging in die Knie nahm ihn unter den Armen und wuchtete ihn hoch.
Zumindest versuchte sie es. Bei der Hälfte der  Höhe angelangt, spürte wie ihr Kraft nachließ. „Schon gut“, murrte er und stand auf. Als wäre er halbseitig gelähmt, schwankte er in das Bad hinein und drehte achtlos an den Wasserhähnen herum.
Mit halb geschlossenen Augen, kroch er wieder heraus. Vielleicht drei Sekunden stand er in der Tür. Aber für ihn  vergingen sie so langsam, als wollten sie ihn quälen. Auf der genau anderen Seite des Wohnzimmers, kniete Tatjana vor einer Kiste. Der  Deckel war aufgeschlagen worden. Sofort rannte er durch das Zimmer und schlug ihn  wieder zu.
Frank achtete nicht einmal darauf dass er dabei beinahe Tatjanas Finger zerquetschte.
„Mach das nie wieder“, zischte er. Ohne auf eine Reaktion zu warten, rannte er in die Küche und riss die nächste Flasche auf. Er sah überall hin, nur nicht auf die junge Frau 
die  ihm gefolgt war. Er ging an sie vorbei und rannte aus der Wohnung.
Tatjana nahm sich einen Stuhl und starrte die Kiste an. Jeder Mensch vergräbt etwas in seinem Herzen und bei manchem liegt mehr in der Grube als sie verkraften können. 
Und ich habe es wohl ausgegraben, dachte sie.
Jetzt fiel ihr auf, wie leer  die Wohnung war. Keine Bilder hingen an den Wänden. 
Keine Gegenstände die etwas von  Schrulligen Seiten des Bewohners erzählen konnten, waren vorhanden. Diese Wohnung war eine Mönchzelle ohne Bibel. Hier war nichts zum Leben und nur das was ein  Mensch brauchte  um sich zu erhalten.
Da haben sich zwei gefunden, dachte sie und seufzte.
Wie an einer Schnur gezogen, glitt sein Wagen durch das Licht der Bordelle.   
An einer Ecke hielt er. Es gibt so Orte im Leben die man zurück gelassen hat  und egal wie weit du kommst, wenn du zu ihnen zurück kehrst  fühlst du dich so als wärst du nie weg gewesen. Die öffentliche Toilette schimmerte noch immer in dem  dumpfen blauen Licht. Warm war die Luft und schmeckte nach Urin.
Hier hatte er das Portemonnaie gefunden. Frank setzte sich auf die Klobrille, wie damals und starrte auf den Boden.  Es hatte mal einen Jungen gegeben. Er war ein Junkie und verkaufte das Zeug nach dem er selber süchtig war. Sein ganzes Leben bestand nur aus dieser einen Droge.  Er machte sich kaputt und andere. Als er einmal verhaftet wurde, rückte er mit dem Namen eines Mannes heraus für den er arbeitete.  Ein Polizist half diesem Jungen. Er steckte ihn in ein Entzugsprogramm und half ihm einen Job zu finden.
Seine Akte verschwand auf mysteriöse Weise im Nebel und Regen.
Tatsächlich raffte er sich auf. Nach einem halben Jahr fand er eine Wohnung und kümmerte sich ehrenamtlich um Obdachlose 
  Das waren die guten Nachrichten. Die schlechten waren, das man dem Kerl für den der Junge  gearbeitet hatte, nichts nachweisen konnte.  Die Ermittlungen wurden fallen gelassen, trotz Protesten eines Polizisten. Am nächsten Tag verschwand der Dealer ins Ausland. Einige Zeit war Ruhe. Als mal der Polizist bei dem Jungen nach dem Rechten
sah, fand er ihn weinend auf dem Boden seiner Wohnung liegen. Neben sich eine Pfeife die nach Crack stank. Sein Boss war wieder im Lande.
Der Polizist brachte ihn ins Krankenhaus und alles ging wieder von vorne los.
Diesmal endete es in einem Park wo der Junge wieder erwischt wurde. Er hatte ihn verloren. Frank wollte gar nicht wissen wer dieses Trauerspiel inszeniert hatte was darauf folgte. Genau hier an diesem Ort, fand er eine Geldbörse. Weil es noch nicht so spät am Abend war, brachte er sie zu der Adresse die auf einem Ausweis geschrieben stand.
Aber wer öffnete ihm die Türe. Es war der Dealer. Frank sah wieder, wie er ihn mit einem einzigen Schlag zu Boden streckte. Er konnte wieder spüren, wie seine Fäuste auf den Körper eindroschen.  Eine Nachbarin wurde  von seinem Geschrei geschockt und rief die Polizei. Eine Streife folgte diesem Ruf und fand einen ihrer Kollegen vor, der brüllend und ohne Hemmungen auf einem Menschen einschlug.
Als Frank überwältigt worden war und in einer Zelle saß wo er sich zuerst einmal beruhigen sollte, fand ein Freund des Dealers einen Weg sämtliche Beweise zu versenken.
Still und leise fing Frank an zu weinen. Stundenlang, ohne Tränen ohne Schluchzen.
Mit dem nächsten Liedschlag seiner Augen war er wieder in seinem Schlafzimmer.
Eine Wölbung unter der Decke verriet ihm  Tatjana schlief.
„Ich helfe dir“, sagte er.       
         
Der letzte Akt

Lohmanns Füße fuhren immer wieder über den Teppich nervöse Bahnen. Seine Stirn glänzte vor Schweiß. Er konnte sich nicht auf seinem Stuhl halten und veränderte pausenlos seine Position.
Frank ging in diesem Moment der alte Gedanke durch den Kopf. Wenn ein Monster gejagt worden war und erledigt auf dem  Boden lag, es keuchte und Angst in seinen Augen war, dass es einfach keinen Triumph darüber gab. 
Lohmann wurde nach draußen geführt. Auf ihn wartete die Untersuchungshaft. Und dann Jahre im Gefängnis. Hinter Frank wurde eine Türe geöffnet.  Ein alter Kollege von Frank war eingetreten. Er blieb vorerst im Schatten, so dass Frank ihm noch nicht ins Gesicht blicken konnte. Aber er konnte es fühlen, wie die Augen aus den Schatten hinaus ihn anpeilten, als lauerten sie auf etwas.
Der Mann im Dunkel lehnte sich gegen die Wand. Frank wartete. Nichts geschah.
Irgendwann begann er sich wieder die Augenlieder zu reiben. Der Mann hinter ihm wartete. Ein gewaltiges Gewicht legte sich auf seine Schultern. 
„Hast du eigentlich schon mit dem Saufen aufgehört“. Frank schüttelte den Kopf.
„Bist immer noch am Arsch der Welt zuhause“. Frank hob etwas verlegen die Schultern.
Aus der Ecke kam ein Lachen das vor Sarkasmus nur so tropfte und sabberte.
Sein alter Freund kam zu ihm geschlendert.  Er nickte in Richtung Tür wo Lohmann verschwunden war. „Den haben wir. Mit den Beweisen die jetzt gefunden wurden, bricht das alles andere zusammen wie ein schlecht gebautes Kartenhaus“.
Lohmann wurde schon seit Jahren wegen  einigen nicht ganz sauberen Geschäften gesucht.  Zwar  nicht wegen Körperverletzung, aber das kam sicher noch. Wie er es vorhin gesagt hatte, das Kartenhaus brach zusammen.     
Frank hatte  ein halbes Kilo Kokain in Lohmanns Safe versteckt. Zwar hatte es nie eine Ermittlung wegen Rauschgift gegeben aber Frank hatte einige Spuren gelegt. Spuren aus weißem Schnee. Ein geständiger Zwischenhändler der Kontakte  zugab und einige Freier die auf einen gewissen Service aufmerksam machten Und einen verdeckten Ermittler der zur rechten Zeit genau mit dem richtigen Ohr gelauscht hatte.
Franks alter Freund tippte sich auf den rechten Wagenknochen und lächelte verzaubert.
„Seit Jahren keine Spur dort wo wir gegraben haben und plötzlich kommt dieser Knochen
Aus anderer Richtung her geflogen“. Er schüttelte den Kopf.
Jetzt war der Punkt erreicht. Sein alter Freund glaubte kein Wort dieser Geschichte.
Aber er hatte nur dieses Wissen in seinem Kopf. Das wusste Frank, das wusste auch er.
„Du hattest einen Grund Frank das ist klar“, begann sein Gegenüber. Er  kramte eine kleine Tablette hervor und schluckte sie. „Wahrscheinlich war es der einzige jemals gerechte Kreuzzug, was weiß ich. Mein Mund bleibt versiegelt. Wozu sollte ich mir den Stress machen. Aber eine Frage will ich von dir dafür haben“.
Frank schob eine Hand in die Jacke, die andere  hob er hoch zur einer Geste dass er weiter sprechen sollte.
„Hat dich etwas verändert, oder hast du das alles nur getan weil  du nichts mehr zum verlieren hast“. Frank überlegte. Er dachte an eine  Schnapsflasche. Eine kleine algengrüne  die eigentlich bei sich sein müsste. Aber die jetzt zuhause lag.
Er zuckte mit den Achseln. Sein Freund grinste und wollte von dannen schreiten.
Da sagte Frank den einzigen Satz an diesem Tag.
„Kann ich dir mal eine Frage stellen. Lebst du lieber in einer Welt mit Sechs Milliarden Arschlöchern oder teilst du sie dir lieber doch mit einem weniger.
Sein Freund sah ihn wieder lange an. „Das musst du wissen“, sagte er.

Tatjana schlief, als er wieder zurückkehrte. Müde sank er auf die Bettkante. Er fühlte sich einsam im Universum sitzen. Tatjana schnarchte hinter ihm leise. Vorsichtig legte er sich neben sie. Frank hatte keine Lampe angemacht um sie nicht zu wecken.
Leicht fühlte er ihren Atem auf seiner Wange. Diesem Menschen  hatte er geholfen. Dieser Gedanke kam so unerwartet, als hätte sich ein Vogel auf seine Stirn gesetzt.
Frank starrte auf die Decke hinauf  und dachte nicht mehr ans saufen. Das erste Mal seit, ach was da wusste er nicht mehr. Er wollte gerade einschlafen, als Tatjana etwas murmelte. „Stirb Michail, stirb“. Mit einem Gefühl als würden tausend Ameisen
unter seiner Haut krabbeln, stand er auf und ging zu Tatjanas Seite. Ihre Augenlieder zuckten, als würde sie träumen. Sein Magen war zu einem Eisblock gefroren.
„Tatjana, schläfst du noch“, fragte er. „Jaha“, flötete sie leise und kicherte.
Franks Mund fühlte sich trocken an. Die Worte die er aussprechen wollte, hingen wie Schleimklumpen in seiner Kehle fest.
„Was hast du mit Michail gemacht“, fragte er. „Na ich hab ihn umgebracht“.
Tatjana sang es fast hinaus. Er sackte auf den Boden und berührte mit seiner Stirn den Rand des Bettes. „Du hast ihn in das Zimmer gesperrt und bist einfach gegangen, habe ich recht“.  „Nein“, hauchte sie im Schlaf. „Ich blieb bei ihm. Einmal kam er sogar wieder zu sich und bettelte ich solle einen Arzt holen. Ich sagte ihm, der sei schon unterwegs. Dann jammerte er ich solle ihm halten. Gut, das machte ich, bis er starb“.
„Hat Lohmann wenigstens dir oder den anderen Frauen etwas getan“ wollte Frank wissen und spürte wie etwas in ihm starb. Da war noch etwas gewesen?
Tatjana schüttelte hektisch wie ein kleines Kind den Kopf. „Er war ein riesen Arschloch das uns betrog, aber geschlagen hatte er uns nie“.
Ein Schwall toter Luft brodelte aus Franks Mund.  Er ging  aus dem Zimmer, aus der Wohnung und trat auf die Straße. Er ging du hörte gar nicht mehr auf zu gehen.
Seine Schritte führten Nirgendwo hin, er wollte Nirgendwo hin.
Da war das Ende, klar und deutlich. Kein Gott, keine zweite Chance. Nur das blanke Vorbei. Ab hier war nichts mehr. Frank war der erste Mensch der vor dem physikalischen Nichts stand. Wut war es gewesen, was Tatjana in den letzten Jahren empfunden hatte.
Und zwar nur das. Er hatte es gespürt, diese Wolke aus Zorn, dieser eine pure Hass der von ihrem Körper zusammengehalten wurde.
Ihre Rache hatte nie etwas andere gebracht als Zerstörung und genau das war es was sie gewollt hatte.
Herzlichen Glückwunsch Tatjana, hier ist dein Preis!
Er hob alle Geld von der Bank ab und knallte es auf einen namenlosen Tresen.
„Bis alles weg ist“, sagte er und nahm sich die erste Flasche.
Da spürte er, wo ihn Tatjana am härtesten getroffen hatte. Jetzt bemerkte er  nicht das schlimmste Verbrechen aber das was ihn am meisten wehtat.
Er trank einen Schluck und spürte nichts. Weil er ihr vertraut hatte,  war ihm die Zuflucht Alkohol genommen worden. Und er konnte nicht mehr zurück. Es gab keinen Trost mehr 
Jetzt war er alleine.   

Ende


Anmerkung von max.sternbauer:

Zwei Menschen die schon alles verloren haben. Zwei Menschen die in der Welt der Gewalt leben. Aber vielleicht finden sie einen Ausweg. Diese Geschichte wurde im Stil der Hardboiled-Krimis geschrieben.

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Kommentare zu diesem Text


 makaba (25.05.10)
eine krasse geschichte.
der stil gefällt mir.
lg makaba
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