Das Lied von Duyens Traum

Text zum Thema Krieg/Krieger

von  max.sternbauer

Duyen kehrte in ihr Heimatdorf zurück. Lange, zumindest für eine junge Frau, war es nun her, dass sie es gesehen hatte. Ein tiefer Seufzer lag auf ihren Lippen und ein noch tieferer hatte sich in ihr Herz gebohrt. Neben ihrem schlug noch ein weiteres Herz, das eines Kindes. Als Duyen auf der Brücke stand, schrieb man das Jahr 1968.  Vietnam, das Land in dem sie lebte, war von einem Krieg zerrissen worden. Weit war ihr Weg gewesen und es hatte ihre ganze Kraft gekostet. Nicht körperlich, nein, aber in ihrem Kopf war jeder Mut und jede Hoffnung zerfressen. Sie konnte nicht mehr zurück, das wäre ihr Tod gewesen. Dyuen sah das junge Mädchen wieder vor sich, welches damals aufgebrochen war. Ohne eine Vorstellung, wie sich das Leben außerhalb des Dorfes abspielte. Sie hatte nur das Gefühl gehabt, als würde sie von dem Wind davon getragen werden. Duyen sah dieses junge Ding und verstand es einfach nicht, so, als hätte sie die Geschichte einer Fremden gehört. Ihr Weg war in die große Stadt verlaufen, nach Saigon. Dort saßen die Amerikaner und ihr Geld. Bald schon, in den Nächten der Slums, wurde ihr klar, dass es nur einen Schlüssel für ihr Überleben gab: ihren Körper. Duyen verkaufte sich an betrunkene GIs für eine Mahlzeit. Irgendwann traf sie dann einen Offizier der Südvietnamnesischen Armee. Er bezahlte ihr eine kleine Wohnung, teure Kleider und ein Moped. Duyen verschwand von der Straße. Dann wurde sie schwanger und alles zerrann vor ihren Augen. Sie musste Saigon verlassen. Ihr ganzes Geld nahmen Soldaten an sich, die eines Morgens in ihre Wohnung gestürmt kamen. Sie waren von dem Offizier gesandt worden. Saigon war für Duyen  zu einer Sackgasse geworden.

Dann machte sie sich auf in die Ungewissheit. Hinter sich ließ sie die Stadt mit ihren Casinos, dem Drogensumpf und den Bordellen. Es war soviel, was Duyen fühlte, als sie ihr Dorf wieder sah. Ein Gefühl war aber das stärkste: die Scham, die sie empfand. Ohne ein Wort des Abschiedes, ohne eine kleine Notiz war Duyen in die Nacht verschwunden. Sie streichelte ihren dicken Bauch und kam sich so grenzenlos dumm vor. Bald musste sie entscheiden, ob sie die letzten Schritte nach Haue gehen wollte oder nicht. Vor ihr verschwand die Sonne unter dem Horizont. Von ihrem Gefühl her, stand sie noch immer auf der Brücke und rang mit sich. Doch ihre Beine machten einen Schritt nach dem anderen, während in ihrem Kopf ein Sturm rauschte. Ihre Füße trugen sie zu der Hütte, in der sie geboren worden war. Ihr Vater öffnete die Tür, bevor sie darauf gefasst war. Beide standen sich gegenüber, schweigend. Sie wurde so heftig gedrückt, dass alle Luft aus ihrer  Lunge gepresst wurde. „Duyen, meine Duyen“, flüsterte Vater in ihr Ohr. Sie wollte weinen, wollte ihren Gefühlen so gerne Ausdruck verleihen. Aber alle ihre Kraft wich aus ihrem Körper und sie erschlaffte in seinen Armen. Er hielt sie und sie ließ sich halten. Erst als die Sonnenstrahlen des vergangen Tages nur noch Erinnerungen waren und in den Fenstern Laternen brannten, gingen sie in das Haus hinein. Vater hielt ihre Hand. Er stellte keine Fragen, wohl nicht, weil er sich um sie keine Sorgen gemacht hatte, sondern weil er spürte dass seine Tochter nicht darüber sprechen wollte. Und er akzeptierte ihren Wunsch.  Er gab sich zufrieden damit, weil er einfach nur froh war, dass Duyen nach Hause gekommen war.  In einer Ecke brannten Kerzen und Räucherstäbchen auf einem Altar. Duyens Mutter lächelte von einem Photo herunter. Leise, so als würde sie durch ein Zimmer voller Schlafender wandeln, ging sie zu dem Altar. „Ich hab dich lieb, Mutter“, sagte Duyen und streichelte das Bild. Vater nahm sie in den Arm und sie spürte, dass sie zuhause war.




In Duyens Dorf lebten die Menschen so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ein Mann konnte tausend Jahre geträumt haben; er könnte einfach aufwachen und sein Leben weiterleben. Der Einzige, der ein Radio besaß oder überhaupt Strom hatte, war der Händler Ngo. Am Abend lud er oft alle Erwachsenen des Dorfes ein. Dann lauschten sie dem Nachrichtensprecher oder dem Pogramm, wie einst einem fahrenden Geschichtenerzähler. Langsam verblassten die Erinnerungen an Saigon. Aber Duyens Herz wollte nicht leichter werden. Denn ihr kleiner Bruder war verschwunden. Er wollte für den Vietcong kämpfen. Ihr Vater starrte nächtelang  in die Dunkelheit. Was er dachte, war für Duyen unergründlich. Sie war es, die diesmal keine Fragen stellte und sich einfach nur zu ihm setzte.

Eines Abends lag Duyen auf ihrem Bett und schloss die Augen. Da kam ein Stein aus der  Dunkelheit geflogen. Er traf in das Wasserglas. Als es auf dem Boden zersprang, erwachte Duyen und fuhr erschrocken hoch. Sie sah wie sich das Licht einer Laterne auf den Scherben spiegelte. Vorsichtig hob sie eine auf und dann sah sie den Stein. Eine Hoffnung durchflutete  sie, wie eiskaltes Wasser fühlte sie sich an. Duyen kroch unter dem Mückennetz hervor. Ihr Herz schlug wie wild. Das konnte einfach nicht sein!Als sie und ihr kleiner Bruder noch Kinder waren, da hatten sie ein Versteck im Dschungel gehabt. Nur sie beide wussten, wo es sich befand. Als Zeichen, dass sie sich treffen sollten, wurde ein Stein geworfen. War das ein Traum, dachte Duyen, als sie zu der Haustür rannte. Duyen wollte eben zu diesem Versteck laufen, als sie auf der Veranda angekommen in die Augen ihres Bruders starrte.  Sie umarmten sich stürmisch und flüsterten immer wieder den Namen des anderen. Duyen wollte sprechen, doch ihr Bruder legte ihr die Finger auf die Lippen. „Sei leise“, flüsterte er. Seine Stimme klang angsterfüllt. Er nahm sie bei der Hand und führte sie hinein. Drinnen sank er zu Boden, rang keuchend nach Atem. Seine Haut auf Armen, Gesicht und Händen glänzte, wo sie nicht von einer dicken Schmutzschicht bedeckt war. Aus seinen Kleidern hatte er Streifen heraus gerissen und damit seine zahllosen Wunden versorgt. Gab es denn keine Stelle, wo er nicht verletzt war, dachte Duyen und musste ihre Tränen zurück kämpfen. Als sie ihn noch mal umarmen wollte, schob er sie sacht von sich. „Lass mal. Ich stinke wie ein Schwein und ich möchte nicht, dass du dich schmutzig machst“. Das stimmte. Er roch so, als wäre er durch eine Jauchegrube gekrochen. Durch den Schmutz in seinem Gesicht sah sie ein breites Grinsen. Es war ein echtes Lächeln und kein gespieltes, um ihr die Sorgen zu nehmen. Duyen sah ihn kurz an und schoss blitzschnell vor. Seine Schwester war zu schnell als sie ihm einen Kuss auf eine Wange gab. Er hätte sich sowieso nicht gewehrt.




Am nächsten Morgen, noch bevor die Sonne aufging, schlich Vater nach draußen in den Wald. Er grub ein Loch, groß genug, um einem Menschen als Versteck zu dienen. Ein Deckel aus Korbflechten, in dem auch Äste und Blätter eingearbeitet waren, sollte das Loch tarnen. In den Nächten, wo Duyens Bruder noch bei ihnen im Haus schlief, hörte sie ihn oft weinen. Dann schlich sie zu ihm und wiegte ihn in den Armen wie einen Säugling. Manchmal schlief er ein und brüllte ihm Schlaf die Namen von Fremden. „Ich kann dir nichts von dem Krieg erzählen. Du könntest nicht mehr schlafen.“

Einige Wochen später tauchte eine Patrouille im Dorf auf. Das war nichts Verwunderliches. Die Orte wurden oft nach Waffen oder versteckten Guerillios durchsucht. Aber etwas war anders an diesem Morgen. Sie rauchten Opium und stanken nach Schnaps. Die Soldaten waren nicht gekommen, um einen Befehl auszuführen. Sie standen zuerst nur stundenlang auf der Straße. Dann aber brach die Beherrschung zusammen. Ngo hatte viele junge Töchter und die versteckten sich in seinem Haus. Ihr Vater hielt die Soldaten davon fern, indem er ihnen Schnaps zu trinken gab. Viel Schnaps. Aber es war ein gefährliches Spiel. Denn je mehr sie tranken, so aggressiver wurden sie. Mit jeder Flasche schob er es nur hinaus. Schließlich stießen die Soldaten Ngo in den Staub der Straße. Aber er stand wieder auf und vertrat ihnen den Weg. Er wurde gepackt und zu Boden gedrückt. Aus seinem Heim hallte Geschrei heraus. Ngos Töchter wurden aus der Hütte gezerrt. Ihr Vater wehrte sich verzweifelt, doch presste der Soldat seinen Stiefel noch tiefer in sein Kreuz. Einige Männer traten wütend nach vorne. Aber die Soldaten richteten ihre Maschinenpistolen auf sie. „Wenn einer von euch denkt, er müsste den Helden  spielen, dann äschern wir dieses Kommunistennest ein.“ Duyen wurde von ihrem Vater hinter die Reihen der Männer geschoben. Immer wieder schaute sie in den Dschungel, wo ihr Bruder in seinem Versteck kauerte. Die Soldaten wollten die Frauen hinter Ngos Haus zerren. Da schrie Ngo etwas mit seiner vor Angst kreischenden Stimme. „Ich weiß, wo ein Vietcong ist.“ Die Soldaten hielten inne. Alle starrten sie den zitterten Mann an. Einer beugte sich langsam zu ihm hinunter. „So, und warum rückst du erst jetzt damit raus?“ Seine Stimme klang lauernd und die Augen blitzten, dass es einen schauderte. Heroin und Opium hatten sein Hirn weich gemacht. Ngo schaute dem Soldaten in die Augen. „Ich verrate es aber nur, wenn ihr meine Töchter in Ruhe lasst.“ Wortlos wurde der Lauf einer Pistole in seine Stirn gebohrt. Ngo stemmte sich gegen das Metall. Schweißperlen rannen links und rechts davon die Haut hinab. Ngo widerstand dem Impuls, seine Augen zu schließen. Er dachte nur an seine Töchter.

Duyen hatte jedes Wort gehört. Sie sah das Bild ihres Bruders vor sich. Mit aller Kraft kämpfte sie sich durch, bis ganz nach vorne. Sie hätte die Zeit mit bloßen Händen aufgehalten, das schien in diesen Sekunden möglich. Doch als sie den letzten Körper beiseite gestoßen hatte und sah, wie Ngo vor dem Soldaten kniete, spürte sie erst richtig, wie hilflos sie war. Duyen musste nur drei Schritte gehen und sie wäre bei ihnen. Der Mann mit der Waffe winkte zu seinen Leuten. Die schubsten die Frauen, die sie gefangen hielten, in die Mitte der Straße. Ngo wurde gezwungen, sich in ihre Richtung zu drehen. „Wenn du uns nicht sagst, wo der Kerl steckt, werden wir deinen Töchtern zeigen, was richtige Schwänze sind. Wir haben ja genug Publikum.“ Die Soldaten lachten. Einer von ihnen wurde leichenblass und trank einen tiefen Schluck. Ngos Gesicht wurde in den Staub gepresst, als würden sie ihn ersaufen wollen.  „Halts Maul“, schrie einer der Soldaten, als der Mann am Boden immer noch nicht mit dem Schreien aufhörte. Duyen legte das Gesicht in ihre Hände. Sie zitterte. Wütend nahm der Soldat eines der Mädchen nach vorne. Es war die jüngste, die er gepackt hielt. Er schmiss sie auf den Boden. Dem Mann mit der Flasche, der bisher nur am Rand gestanden hatte, sagte er: „Wenn der Alte die Augen zumacht, knall eine von seinen Schlampen ab.“ Er drückte ihm die Pistole in die Hand. Zuerst riss er sich die Hose auf, dann packte er die Beine des wimmernden Mädchens und schob sie auseinander. „Nein, ich zeige euch die Stelle, bitte hört auf.“ Weinend brach Ngo zusammen. Er konnte nicht mehr aufstehen und musste in den Dschungel getragen werden. Duyen wollte schreien. Sie wollte eines der Gewehre nehmen und diese Soldaten töten. Töten, bevor sie ihren Bruder ermorden konnte. Doch ich Vater packte sie und hielt sie fest, wie er sie noch nie gehalten hatte. „Bitte, bleib bei mir“, flehte er. Duyen wusste nicht was sie tun sollte. Der Griff ihres Vaters war fest wie ein Felsen. Aber von beiden wusste eigentlich keiner, wer wen hielt und wer gehalten wurde. Beide standen noch lange da und weiten. Bis der Klang eines Schusses die Stille zerbrach. Erst ein paar Tage später wagte es Duyens Vater den Dschungel zu betreten. Seinen Sohn fand er in einer Grube. Unter seinen Fingernägeln war Erde, man hatte ihn wohl gezwungen sein eigenes  Grab auszuheben. An dem Tag, wo er beerdigt wurde, kam ein heftiger Schmerz über Duyen. Alle Frauen des Dorfes halfen, so gut sie konnten. Aber das Schicksal oder die Götter wollten, dass Duyens Kind starb. Kaum war er wieder bei ihr, musste er schon wieder hinaus. Um ein weiteres Grab auszuheben. Zurück blieb Duyen.




Das Land lag in einem tiefen Grau. Nur das Trommeln der Tropfen auf den Dächern war zu hören. Sonst schwieg alles. Duyen saß mit untergeschlagenen Beinen auf der Veranda. Sie sah nirgendwohin, dachte und fühlte nichts. Am morgen war ihr Kind bestattet worden. Immer wieder strich sich Duyen über ihren leeren Bauch. Müde atmete sie ruhig ein und aus. Sie spürte den Druck ihrer Lungen und fragte sich, wieso sie noch Luft hinein pumpte. Sie hatte keinen Grund mehr, weiter zu atmen. Es war egal. Duyen stellte sich ihr Kind vor, wie es alleine unter der Erde lag. Ihm war bestimmt ganz kalt. Duyen nahm eine Decke und ging zum Friedhof. Mit bloßen Händen grub sie in der Erde. Sie drückte den kalten Leichnam an sich und wickelte ihn in die Decke.

Vorsichtig machte sie das Gesicht frei und küsste seine Lippen. „Was machst du da“, flüsterte Vaters Stimme heiser hinter ihr. Duyen lächelte verträumt, so als spürte sie all das Glück ihres Lebens auf einmal in seiner ganzen Stärke. Ihr Vater stand im Regen. „Was machst du da“, wiederholte er. Innerlich flehte er, das alles nur ein böser Traum sein konnte. Seine Tochter tanzte durch den Regen, mit dem eingewickelten Kind auf dem Arm.

Als sie erschöpft auf den Boden sank, fühlte sie eine Stimme in ihrem Bauch. Und diese Stimme flüsterte eine Frage: Wieso? Wieso war geschehen, was geschehen war. Diese Frage wurde Teil ihres Selbst. Sie konnte sie nicht wegstoßen. Egal wohin sie sich wandte, hörte sie die Frage in ihren Ohren flüstern. Dann machte sie sich auf, sie zu beantworten. Der Regen wütete plötzlich noch stärker, als wollte er sie aufhalten. Die ungepflasterte Straße wurde zu einem Schlammfluss. Duyen sank bis zu den Knien in der Erde ein, aber sie kämpfte sich vorwärts. Ihr Vater tauchte auf. Er hielt sie fest „Wo willst du denn hin, du kannst doch nirgendwo mehr hin.“ Das Wasser rann an ihrem Gesicht hinunter. Ruhig antwortete sie ihm. „Deswegen gehe ich, weil ich nichts mehr habe.“ Er versuchte sie aufzuhalten. Doch Dyuen riss sich immer wieder los. Er flehte sie an, befahl ihr zu bleiben und drohte ihr sogar. Als nichts half, brüllte er durch das Dorf: „Meine Tochter hat den Verstand  verloren. Bitte hört nicht auf das, was sie sagt.“ Ngos Hütte, wurde in dem Dunst sichtbar. Ohne anzuklopfen, berat sie sein Heim. Der Händler saß mit untergeschlagenen Beinen  auf dem Boden und bürstete seiner jüngsten Tochter das Haar. Erschrocken starrte er Duyen an, als wäre sie ein Geist aus seiner Vergangenheit. „Du schuldest mir einen Bruder. Fahr mich nach Saigon.“ Ngo sah sie verwirrt und fassungslos an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Nicht einmal ein Gestammel brachte er fertig. Duyen reichte ihm das  Kind, was er auch annahm, weil er nicht wusste was sie ihm gab. Als es in seinen Armen lag, entblößte Duyen das Gesicht. Ein Schrei entfuhr Ngos Kehle. „Du wirst mich nach Saigon bringen. Nicht weil du ein gutes Herz hast. Ich verlange es von dir und  du stehst in meiner Schuld.“ Duyen starrte direkt in seine Augen: Für den Mann gab es kein Versteck, keine Gnade. Brutal brach sie sich einen Weg in seine Seele. Auch wenn er wegsah, bohrte sie weiter. Ich habe doch nur meine Familie beschützt, wimmerte er in Gedanken. Ja, und das Leid auf eine andere Familie abgewälzt. Ngo sah auf. Er konnte nicht mehr. So kehrte Duyen nach Saigon zurück. Ngo fuhr durch die überfüllten Straßen dieser großen Stadt, direkt zu einem Luftwaffenstützpunkt. Ratternd fuhr der kleine Laster auf das Gelände. Duyen kletterte heraus und ging zu einem der Flugzeuge. Sanft schwebte die Laderampe herab. Eine Reihe schmuckloser Särge vom Fliessband, alle sahen sie gleich aus, lagen in Reihen. Duyen bestieg einen von ihnen. Ein Soldat, dem die obere Hälfte seines Körpers fehlte, ruhte schon darin. Duyen war aber klein genug um sich zusammen zu rollen. Das Flugzeug trug Duyen und die anderen  Toten über den Pazifik und über Nordamerika. In Washington wurden  die Särge auf einen Friedhof gebracht. Duyen kroch heraus und sah zu, wie die toten Soldaten unter Salutschüssen in die Erde getragen wurden. Niemand nahm Notiz von der kleinen Frau. Sie fühlte sich klein und hilflos. So als wäre ihr Körper nur eine Illusion und die ganze Welt ging durch sie hindurch. Dann ereichte sie das Kapitol. Das Gebäude wuchs in die Höhe eines Berges. Wütend sah es auf sie herab. Was willst du hier? Aber Duyen setzte sich auf die Stufen und wartete. Bald würde jemand kommen, ihr Rede und Antwort zu stehen. Solange würde sie warten. Langsam schlossen sich ihre Augen. Um sie nie wieder zu öffnen. Denn hier endete Duyens Traum.




Im Jahr 1970 stieß eine Aufklärungseinheit der U.S. Army, tief in die Region Quang Tri vor. Diese Provinz lag nahe an der Front zu Nordvietnam. Als die Soldaten in das Dickicht des Dschungels  eindrangen, fanden sie ein Lager von Flüchtlingen. In Höhlen und gegrabenen Tunnel lebten die Menschen in Angst vor den Luftangriffen. Einer der Soldaten  fand eine junge Frau, die in einer Wolke aus beißendem  Gestank schlief. Die Familie des Mädchens erzählte, dass sie ihr Kind vor Wochen verloren hatte. Aber sie wollte es einfach nicht loslassen. Sie konnte es nicht.


Anmerkung von max.sternbauer:

Wenn Kriege geführt werden, aus welchen Gründen auch immer, sterben Menschen und niemand lässt sie zu Wort kommen.

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