Auf der Baustelle
Kurzgeschichte zum Thema Arbeit und Beruf
von KayGanahl
Es heißt, er sei nicht ganz normal. In diesem Moment befindet er sich auf einem Erdhügel der Baustelle. Der junge Arbeiter August, mit leicht ölverschmierten Papierschnipseln raschelnd, findet jetzt wieder schnell zu sich - negative Gefühle packen ihn immer kurz. Er war auf diesen kleinen Erdhügel gesprungen, um eine Zigarette zu paffen. Und er paffte auch - die Herren Kollegen waren mit wichtigen Tätigkeiten befasst, nahmen von ihm kaum Notiz. Sogar sein freundliches Winken, als er zum Spaß grüßen wollte, sahen sie nicht oder wollten sie nicht sehen. Die Papierschnipsel hatte er vorher in der Kuhle, in der er sich befunden hatte, aufgenommen und zunächst einer Betrachtung unterzogen. Es geht ihm hier darum, ein wenig Entspannung zu finden. Genießen wollte und will er jeden Moment der Entspannung. Viele Momente dieser Art können es jetzt ja schon nicht mehr werden. Die Arbeit auf dieser Baustelle einer Bauunternehmung, die ihn vor ein paar Monaten eingestellt hat, ist wohl nicht das, was er sich unter Arbeit vorstellt, wenn er auch nicht behaupten kann, dass er unter der Arbeit leidet. Altes Zeitungspapier liebt er über alles, er kann es allerorts finden. Ganz besonders verschmiertes Zeitungspapier, - wie diese Papierschnipsel, die mit Öl verschmiert sind. Er fummelt auch jetzt auf dem Erdhügel Minuten lang mit den Papierschnipseln herum. Nun, auf dieser Baustelle, wo er öfter zu niedrigen Tätigkeiten abgestellt wird, hat er immer wieder altes Zeitungspapier aufgenommen.
Der Erdhügel, auf dem er steht, ist sozusagen sein Lieblingsort. Allzu oft steht er auf ihm, neben ihm, hinter ihm. Er ist ihm als ein Aussichtspunkt wichtig geworden, gleichzeitig ist er ein Ort des Rückzugs (aber was heißt Rückzug, man schickt ihn hierher). Was macht er mit diesem zerfetzten Zeitungspapier? Nun ja, zur genaueren Beschreibung: jedes, vielleicht verschmierte, Zeitungspapier (in Schnipseln oder nicht) knüllt er erst, wirft es dann in hohem Bogen über eine Pfütze, welche den Zugang zu gestapelten Eisenstützen versperrt und demnächst zugeschaufelt werden muss. Es landet mitten auf dem Stapel, wird dort bis auf Weiteres liegenbleiben, denn bis die Pfütze zu ist, könnten noch ein paar Stunden vergehen. Die Kuhle da vorn hat es ihm angetan: er ist gerade wieder in sie hinein gesprungen, er in dieser Kuhle, - junger Kerl, gut 170 cm in die Höhe ragend, schlecht rasiert und mit völlig verdreckter Arbeitskleidung. Er durfte nicht noch viel länger pausieren. Paffend. Entspannend? Genießend? Jedenfalls: ruhigen Gemütes. Von dort aus kann er – aber eben den Blicken verborgen – weiter beobachten, und, wenn er will, fröhlich grüßen.
Hat er Grund zum fröhlichen Grüßen? Eher nicht …, denn seine Kollegen hier auf der Baustelle, so ist er überzeugt, können ihn nicht leiden. Die Kritik an seiner Arbeitsleistung im Hochbau, ja an seiner Person, hat beträchtlich zugenommen. So mancher Streit wurde mit für ihn dubiosen Vorwänden eingeleitet, die man ihm entgegenwarf. Keiner seiner Kollegen hat ihm bislang ein bisschen Sympathie gezeigt. Sie heißen ihn, hinter seinem Rücken, sogar idiotisch. Es ist auch vorgekommen, dass sie ihn des Diebstahls bezichtigten, außerdem der Lüge und auch des Anscheißens von Kollegen. Sie haben ihn ein Kollegenschwein genannt! Wie sehen sie ihn? Beantwortet sich diese Frage nicht selbst? Er kommt sich völlig unschuldig vor, weiß an sich, seinem Verhalten oder seiner Arbeitsleistung, kaum etwas zu beanstanden. Diese Kollegen sind in seinen Augen Angreifer! Kürzlich wollte er mal Konkretes von ihnen hören, sie sollten ihm die Gründe für ihr Verhalten offen benennen, doch es kam von ihrer Seite nichts. Die Kollegenschweine sind die „lieben Kollegen“, so sagt er sich. Denn sie verleumdeten ihn sogar ein Mal vor dem Maurerpolier! Echte eigene Arbeitsfehler kann er sich in dieser Phase seines Arbeitslebens gar nicht mehr leisten. Wäre diese Arbeit für ihn doch nicht so wichtig! Er muss vom Einkommen aus ihr seinen Lebensunterhalt bestreiten, wird sicherlich so lange hier arbeiten, bis er gekündigt wird. Allerdings glaubt er, dass die Kündigung nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.
Ach ja, diese Kuhle … die Kuhle, in der er sich heute gut verborgen wähnt, wird ihn vor den Anfeindungen der Kollegen nicht schützen können. Sein Maurerpolier wird voraussichtlich heute Nachmittag kommen, um nach dem Rechten zu sehen. August wird vorher wohl durchaus genug Zeit haben, sich über seinen Arbeitsalltag, so wie er sich ihm darstellt, Gedanken zu machen. Kritisch. Nachdenklich. Mit großer Ernsthaftigkeit. Eine kühle Flasche Bier liegt in der Kuhle. Gut so! Arbeiten? Was? Äh. Er muss ja eigentlich schon, doch wo ist sie, diese Arbeit? Er überlegt krampfhaft. Es fällt ihm in dieser Kuhle ein keine Tätigkeit, die er sofort allein ausführen könnte. Prima ist allenthalben, dass er in dieser Kuhle allein sitzt, sich eine Flasche nach der anderen reinzieht. Er kommt sich wie ein mit seiner Leistung und mit dem Betriebsklima zufriedener Arbeiter vor.
„Könnte alles viel angenehmer sein, … verstehe nicht, was die gegen mich vorbringen können. Wieso das alles?“ entfährt es ihm.
Einen entzwei gesprungenen Kalksandstein hat er in der Kuhle aufgenommen. Die Hälften sind von ihm mit Hingabe ans Objekt … beschwörend … studiert worden; es ist wie eine Beschwörung seiner gegenwärtigen beruflichen Lage gewesen: er sollte sich dazu entschließen, von sich aus auf einen Kampf gegen die Kollegen, den er kaum gewinnen kann, zu verzichten.
Er starrt eine der Steinhälften an, sagt halblaut: „Was tun? Etwa den Schwanz einziehen? Warum sollte ich auf diesen Kampf, auf einen Sieg verzichten? Die Eskalation zum Kampf hin ist sowieso sehr wahrscheinlich. Mich werden sie nicht schaffen …!“ Gut, dass ihn keiner gehört hat. Und er setzt sich nunmehr in diese ungemein feuchte Kuhle. Nur zu gern würde er jetzt den Heimweg antreten. Die beiden Steinhälften hat er inzwischen auf eine verrottete Diele neben sich gelegt. Aus der Kuhle heraus beobachtet er seine Kollegen, will auch mithören, was hörbar ist. Zu seinem Leidwesen hört er nur ein Raunen.
„Gewöhnliche Menschen,“ so stellt er halblaut sprechend fest. Mit denen könnte er gut fertig werden, so denkt er; sie sind, wie er bestens weiß, kaum der deutschen Sprache mächtig, rau im Umgang, ungebildet und ohne Zukunft. Dann folgt er einem Impuls. In der Kuhle sieht er eine Holzkiste. Auf die setzt er sich. Sie beherbergt eine Vielzahl von neuwertigen Werkzeugen: Zangen, Hämmer, Schaufeln, Äxten, Keilen und Eisenscheren, welche dieser Tage benutzt werden sollen.
Die Kollegen, die da drüben tätig sind, scheinen ihm ganz weit weg zu sein - sie zählen momentan nicht.
Gern würde er sich von einem Moment auf den anderen von dem Job, den er in dieser Lebens- und Arbeitsphase seines Lebens durchführt, verabschieden, aber was könnte er beruflich alternativ tun? Straßenkehren? Müllabfuhr? Noch nicht einmal Zeitungen austragen kommt für ihn in Frage. Wahrscheinlich wäre für ihn die Arbeitsagentur auf unbestimmte Zeit die erste und letzte Anlaufstelle nach der Kündigung. Wie könnte man für ihn, dieses alkoholsüchtige Arschloch, schnell berufliche Verwendung finden? Es gibt keinen gangbaren Weg, der vor ihm liegt, wenn er den Job auf der Baustelle einfach hinschmeißt! Die besagte Holzkiste, die er auszuräumen hat, ist nur halb voll; der Maurerpolier, gerade um die Ecke gebogen, hat ihm die herauszunehmenden Werkzeuge detailliert angewiesen. Danach soll auch noch die Kuhle, in der August gestanden, beobachtet und gesessen hat, zugeschippt werden. Im gleichen Aufwasch sei die Pfütze vor den Eisenstützen mit Sand voll zu schippen. Geplante Arbeitsdauer: der restliche Nachmittag!
„Beeilung bitte, keine Müdigkeit vorschützen! Keine Pause!“ hat der Maurerpolier gewettert.
August reagierte mit einem „Ja, doch, ich weiß, die Kuhle und die Pfütze, kein Problem … ich wollte eben schon daran gehen!“ .
Er holt jetzt die Werkzeuge eines nach dem anderen aus der Kiste. Einer seiner Kollegen, ein Grieche, gesellt sich überraschend zu ihm.
„… lass mich dir doch ein bisschen helfen, habe nichts gegen dich!“ gibt der Grieche von sich.
August hingegen: „Nein danke, das packe ich schon!“ Und anfügend: „Auch Du hast was gegen mich! Alle hier!“ - Der Grieche erwidert sogleich: „Blödsinn, die spinnen doch nur, machen Quatsch! Das musst Du nicht so ernst nehmen!“
August würde diesem Griechen gern Saures gegeben, aber dieser kommt August recht freundlich. Also denkt August lediglich … der will mich foppen, hat doch gestern mit den anderen gelacht, gegen mich gelacht; der ist wie die anderen auch! – Und weiter: … können sie mich nicht einfach ganz normal meinen kleinen Job machen lassen? Sie sagen dies, sagen das: er sei nicht normal, dumm, unfähig, hinterhältig … was weiß ich noch alles … es ist zum kotzen! Aber ich ertrage das.
„Du bist Bauhelfer. Das ist Deine Rolle hier bei uns!“ hat ihm der Maurerpolier gerade offen mitgeteilt, als er gesehen hat, wie gut Augusts Arbeitsfortschritt beim Ausräumen der Holzkiste ist.
„Danke!“ sagt August nur dazu und setzt seine Arbeit fort. Nun erfreut er sich vorübergehend eines guten Gefühls.
Vielleicht ist der Maurerpolier auf seiner Seite. August hat ihn momentan im Blick. Der Polier ist kurz danach nahebei in ein Gespräch mit einem Transporteur vertieft. Ein Anwohner der Baustelle, der dazu gekommen ist, sagt (und August hört alles bestens): „Ich helfe der Stadt schon auf die Sprünge. Ich habe Zeit. Bin Rentner!“ - Maurerpolier: „Gut so! Die brauchen mal einen auf den Deckel!“ - „Oh ja.!“ bestätigt der Anwohner. Er ist so ein respektabler Mitbürger mit grauen Schläfen, aus der Nase heraushängendem Popel und krausem Haarwuchs, was dazu verleiten könnte, ihn für einen Stadtstreicher zu halten, der sich als interessierten und bemühten Anwohner ausgibt.
Nunmehr zeigt der Maurerpolier mit seinem Zeigefinger geradewegs auf August, der mit dem Zuschippen der Pfütze begonnen hat und erfolgreich zu sein scheint. Er geht direkt auf August zu, trägt eine verdrießliche Miene zur Schau. August entgegnet einem krassen Vorwurf des Maurerpoliers sogleich: „Das ist eine Anscheißerei, eine Lüge! Ich habe den Vertreter der Stadt, der vor einer Woche hier war, kein Sterbenswörtchen von unseren betrieblichen Angelegenheiten erzählt. Die Kollegen haben das bloß behauptet!“
Der Maurerpolier zieht nun ein Gesicht des Zweifels auf. Er wendet sich dem nicht weit entfernt stehenden neugierigen Anwohner zu, meint: „Dieser … Herr Kollege ist ja so verschlagen! Kennen Sie sowas - ?“
„Nee! Ich nich!“ antwortet der Anwohner und guckte ins Leere. Er zeigt völliges Desinteresse.
Und sagt weiter: „Danke, ich muss jetzt …!“
Ende
Kay Ganahl
Copyright by Kay Ganahl.
All rights reserved.
Der Erdhügel, auf dem er steht, ist sozusagen sein Lieblingsort. Allzu oft steht er auf ihm, neben ihm, hinter ihm. Er ist ihm als ein Aussichtspunkt wichtig geworden, gleichzeitig ist er ein Ort des Rückzugs (aber was heißt Rückzug, man schickt ihn hierher). Was macht er mit diesem zerfetzten Zeitungspapier? Nun ja, zur genaueren Beschreibung: jedes, vielleicht verschmierte, Zeitungspapier (in Schnipseln oder nicht) knüllt er erst, wirft es dann in hohem Bogen über eine Pfütze, welche den Zugang zu gestapelten Eisenstützen versperrt und demnächst zugeschaufelt werden muss. Es landet mitten auf dem Stapel, wird dort bis auf Weiteres liegenbleiben, denn bis die Pfütze zu ist, könnten noch ein paar Stunden vergehen. Die Kuhle da vorn hat es ihm angetan: er ist gerade wieder in sie hinein gesprungen, er in dieser Kuhle, - junger Kerl, gut 170 cm in die Höhe ragend, schlecht rasiert und mit völlig verdreckter Arbeitskleidung. Er durfte nicht noch viel länger pausieren. Paffend. Entspannend? Genießend? Jedenfalls: ruhigen Gemütes. Von dort aus kann er – aber eben den Blicken verborgen – weiter beobachten, und, wenn er will, fröhlich grüßen.
Hat er Grund zum fröhlichen Grüßen? Eher nicht …, denn seine Kollegen hier auf der Baustelle, so ist er überzeugt, können ihn nicht leiden. Die Kritik an seiner Arbeitsleistung im Hochbau, ja an seiner Person, hat beträchtlich zugenommen. So mancher Streit wurde mit für ihn dubiosen Vorwänden eingeleitet, die man ihm entgegenwarf. Keiner seiner Kollegen hat ihm bislang ein bisschen Sympathie gezeigt. Sie heißen ihn, hinter seinem Rücken, sogar idiotisch. Es ist auch vorgekommen, dass sie ihn des Diebstahls bezichtigten, außerdem der Lüge und auch des Anscheißens von Kollegen. Sie haben ihn ein Kollegenschwein genannt! Wie sehen sie ihn? Beantwortet sich diese Frage nicht selbst? Er kommt sich völlig unschuldig vor, weiß an sich, seinem Verhalten oder seiner Arbeitsleistung, kaum etwas zu beanstanden. Diese Kollegen sind in seinen Augen Angreifer! Kürzlich wollte er mal Konkretes von ihnen hören, sie sollten ihm die Gründe für ihr Verhalten offen benennen, doch es kam von ihrer Seite nichts. Die Kollegenschweine sind die „lieben Kollegen“, so sagt er sich. Denn sie verleumdeten ihn sogar ein Mal vor dem Maurerpolier! Echte eigene Arbeitsfehler kann er sich in dieser Phase seines Arbeitslebens gar nicht mehr leisten. Wäre diese Arbeit für ihn doch nicht so wichtig! Er muss vom Einkommen aus ihr seinen Lebensunterhalt bestreiten, wird sicherlich so lange hier arbeiten, bis er gekündigt wird. Allerdings glaubt er, dass die Kündigung nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.
Ach ja, diese Kuhle … die Kuhle, in der er sich heute gut verborgen wähnt, wird ihn vor den Anfeindungen der Kollegen nicht schützen können. Sein Maurerpolier wird voraussichtlich heute Nachmittag kommen, um nach dem Rechten zu sehen. August wird vorher wohl durchaus genug Zeit haben, sich über seinen Arbeitsalltag, so wie er sich ihm darstellt, Gedanken zu machen. Kritisch. Nachdenklich. Mit großer Ernsthaftigkeit. Eine kühle Flasche Bier liegt in der Kuhle. Gut so! Arbeiten? Was? Äh. Er muss ja eigentlich schon, doch wo ist sie, diese Arbeit? Er überlegt krampfhaft. Es fällt ihm in dieser Kuhle ein keine Tätigkeit, die er sofort allein ausführen könnte. Prima ist allenthalben, dass er in dieser Kuhle allein sitzt, sich eine Flasche nach der anderen reinzieht. Er kommt sich wie ein mit seiner Leistung und mit dem Betriebsklima zufriedener Arbeiter vor.
„Könnte alles viel angenehmer sein, … verstehe nicht, was die gegen mich vorbringen können. Wieso das alles?“ entfährt es ihm.
Einen entzwei gesprungenen Kalksandstein hat er in der Kuhle aufgenommen. Die Hälften sind von ihm mit Hingabe ans Objekt … beschwörend … studiert worden; es ist wie eine Beschwörung seiner gegenwärtigen beruflichen Lage gewesen: er sollte sich dazu entschließen, von sich aus auf einen Kampf gegen die Kollegen, den er kaum gewinnen kann, zu verzichten.
Er starrt eine der Steinhälften an, sagt halblaut: „Was tun? Etwa den Schwanz einziehen? Warum sollte ich auf diesen Kampf, auf einen Sieg verzichten? Die Eskalation zum Kampf hin ist sowieso sehr wahrscheinlich. Mich werden sie nicht schaffen …!“ Gut, dass ihn keiner gehört hat. Und er setzt sich nunmehr in diese ungemein feuchte Kuhle. Nur zu gern würde er jetzt den Heimweg antreten. Die beiden Steinhälften hat er inzwischen auf eine verrottete Diele neben sich gelegt. Aus der Kuhle heraus beobachtet er seine Kollegen, will auch mithören, was hörbar ist. Zu seinem Leidwesen hört er nur ein Raunen.
„Gewöhnliche Menschen,“ so stellt er halblaut sprechend fest. Mit denen könnte er gut fertig werden, so denkt er; sie sind, wie er bestens weiß, kaum der deutschen Sprache mächtig, rau im Umgang, ungebildet und ohne Zukunft. Dann folgt er einem Impuls. In der Kuhle sieht er eine Holzkiste. Auf die setzt er sich. Sie beherbergt eine Vielzahl von neuwertigen Werkzeugen: Zangen, Hämmer, Schaufeln, Äxten, Keilen und Eisenscheren, welche dieser Tage benutzt werden sollen.
Die Kollegen, die da drüben tätig sind, scheinen ihm ganz weit weg zu sein - sie zählen momentan nicht.
Gern würde er sich von einem Moment auf den anderen von dem Job, den er in dieser Lebens- und Arbeitsphase seines Lebens durchführt, verabschieden, aber was könnte er beruflich alternativ tun? Straßenkehren? Müllabfuhr? Noch nicht einmal Zeitungen austragen kommt für ihn in Frage. Wahrscheinlich wäre für ihn die Arbeitsagentur auf unbestimmte Zeit die erste und letzte Anlaufstelle nach der Kündigung. Wie könnte man für ihn, dieses alkoholsüchtige Arschloch, schnell berufliche Verwendung finden? Es gibt keinen gangbaren Weg, der vor ihm liegt, wenn er den Job auf der Baustelle einfach hinschmeißt! Die besagte Holzkiste, die er auszuräumen hat, ist nur halb voll; der Maurerpolier, gerade um die Ecke gebogen, hat ihm die herauszunehmenden Werkzeuge detailliert angewiesen. Danach soll auch noch die Kuhle, in der August gestanden, beobachtet und gesessen hat, zugeschippt werden. Im gleichen Aufwasch sei die Pfütze vor den Eisenstützen mit Sand voll zu schippen. Geplante Arbeitsdauer: der restliche Nachmittag!
„Beeilung bitte, keine Müdigkeit vorschützen! Keine Pause!“ hat der Maurerpolier gewettert.
August reagierte mit einem „Ja, doch, ich weiß, die Kuhle und die Pfütze, kein Problem … ich wollte eben schon daran gehen!“ .
Er holt jetzt die Werkzeuge eines nach dem anderen aus der Kiste. Einer seiner Kollegen, ein Grieche, gesellt sich überraschend zu ihm.
„… lass mich dir doch ein bisschen helfen, habe nichts gegen dich!“ gibt der Grieche von sich.
August hingegen: „Nein danke, das packe ich schon!“ Und anfügend: „Auch Du hast was gegen mich! Alle hier!“ - Der Grieche erwidert sogleich: „Blödsinn, die spinnen doch nur, machen Quatsch! Das musst Du nicht so ernst nehmen!“
August würde diesem Griechen gern Saures gegeben, aber dieser kommt August recht freundlich. Also denkt August lediglich … der will mich foppen, hat doch gestern mit den anderen gelacht, gegen mich gelacht; der ist wie die anderen auch! – Und weiter: … können sie mich nicht einfach ganz normal meinen kleinen Job machen lassen? Sie sagen dies, sagen das: er sei nicht normal, dumm, unfähig, hinterhältig … was weiß ich noch alles … es ist zum kotzen! Aber ich ertrage das.
„Du bist Bauhelfer. Das ist Deine Rolle hier bei uns!“ hat ihm der Maurerpolier gerade offen mitgeteilt, als er gesehen hat, wie gut Augusts Arbeitsfortschritt beim Ausräumen der Holzkiste ist.
„Danke!“ sagt August nur dazu und setzt seine Arbeit fort. Nun erfreut er sich vorübergehend eines guten Gefühls.
Vielleicht ist der Maurerpolier auf seiner Seite. August hat ihn momentan im Blick. Der Polier ist kurz danach nahebei in ein Gespräch mit einem Transporteur vertieft. Ein Anwohner der Baustelle, der dazu gekommen ist, sagt (und August hört alles bestens): „Ich helfe der Stadt schon auf die Sprünge. Ich habe Zeit. Bin Rentner!“ - Maurerpolier: „Gut so! Die brauchen mal einen auf den Deckel!“ - „Oh ja.!“ bestätigt der Anwohner. Er ist so ein respektabler Mitbürger mit grauen Schläfen, aus der Nase heraushängendem Popel und krausem Haarwuchs, was dazu verleiten könnte, ihn für einen Stadtstreicher zu halten, der sich als interessierten und bemühten Anwohner ausgibt.
Nunmehr zeigt der Maurerpolier mit seinem Zeigefinger geradewegs auf August, der mit dem Zuschippen der Pfütze begonnen hat und erfolgreich zu sein scheint. Er geht direkt auf August zu, trägt eine verdrießliche Miene zur Schau. August entgegnet einem krassen Vorwurf des Maurerpoliers sogleich: „Das ist eine Anscheißerei, eine Lüge! Ich habe den Vertreter der Stadt, der vor einer Woche hier war, kein Sterbenswörtchen von unseren betrieblichen Angelegenheiten erzählt. Die Kollegen haben das bloß behauptet!“
Der Maurerpolier zieht nun ein Gesicht des Zweifels auf. Er wendet sich dem nicht weit entfernt stehenden neugierigen Anwohner zu, meint: „Dieser … Herr Kollege ist ja so verschlagen! Kennen Sie sowas - ?“
„Nee! Ich nich!“ antwortet der Anwohner und guckte ins Leere. Er zeigt völliges Desinteresse.
Und sagt weiter: „Danke, ich muss jetzt …!“
Ende
Kay Ganahl
Copyright by Kay Ganahl.
All rights reserved.