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Text

von  RainerMScholz

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Ich kann zu dem darauffolgenden Jahr irgendwie überhaupt nicht sagen. Meine Erinnerung schleicht durch einen undurchdringlichen Nebeldunst von Alkohol und Depression und Leck-mich-am-Arsch. Eigentlich will ich mein Studium abbrechen, weil ich keinen rechten Sinn mehr darin zu erblicken vermag, Bücher über Bücher in meinem Kopf zu vergraben, die mich nicht interessieren und die ich nie wieder anfassen werde, artifizielle literarische Themen mit Kommilitonen(und -innen) zu diskutieren, die keine Ahnung vom Leben ohne Bafög oder schweinereiche Eltern zu haben scheinen, während für andere der Job am Flughafen Alltag ist, für den Rest ihres Lebens, bis das Rentenalter das frisst, was der Beruf davon übrig gelassen hat, die tägliche Maloche Tag wie Nacht, das zu Kreuze kriechen, sommers wie winters.
Danni ist spezialisiert auf Dentalmedizin. Aber der Hypokratische Eid scheint am Flughafen außer Kraft gesetzt zu sein, oder er reagiert lediglich seine Aggressionen ab. Niemand wirft 25-Kilo-Postsäcke im Flugzeug so hart und so weit wie er. Irgendjemand muss die grünen Ungetüme auffangen, um den Akkord in der Reihe, in der Chaingang, nicht zu unterbrechen und so den Unmut aller auf sich zu ziehen, die die Arbeit so schnell wie möglich beenden möchten. Mittelalter wie bei den Dachdeckern, nur dass Ziegel leichter sind. Danni ist verheiratet und hat zwei Kinder. Wenn er von der Nachtschicht kommt, geht er gleich weiter zur Uniklinik. Die Kinder muss er zwischendurch gemacht haben oder in vitro. Dann fährt er seine Frau zu ihren Eltern nach Hamburg, um anschließend wieder zur Nachtschicht aufzukreuzen.
Danni ist auch schon im Stehen eingeschlafen. Das heißt, lange gestanden hat er nicht, denn Postsäcke können auch in die andere Richtung fliegen. Da ist er einfach umgefallen im Gang zwischen den Sitzen des Flugzeugs, über die die Container für die Post gehakt sind. Danni schluckt keine Pillen oder Aufputschmittel oder trinkt übermäßig Kaffee. Ich glaube, dass er Zähne mit der Beißzange ziehen könnte, ohne Betäubungsmittel. Danni lacht viel. Ich nehme an, er liebt seine Familie, denn es gibt keinen triftigen Grund, das hier zu tun, als diesen. Danni hat vor zwei Jahren gekündigt. Niemand hat mehr etwas von ihm gehört. Oder seiner Familie.

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