Kleines Lexikon romantischer Posen - heute: "Traurigkeit"
Essay
von toltec-head
Kommentare zu diesem Text
asche.und.zimt (24)
(26.05.13)
(26.05.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Vielleich ist es ein Fehler, auf eine durch- und durchironisierte Umwelt mit immer mehr Zynismus zu reagieren. Man kann sich auch ein Zurück zum "echten Gefühl" und zur "Naivität" als Gegenstrategie vorstellen. So ein bischen wie bei den Prä-Raphaeliten in der Kunst. Reflektiert und hoch artifizell. Das wäre keine weichgespülte Romantik. So was fänd ich gut.
"Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist."
"Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist."
Im Kommentar wird zuwenig ob der Art der Zustandes, "offen traurig zu sein", differenziert, denn mittels des Textes wird - u.a. durch den Verweis auf den Typus eines "publikumsheischenden Eremit[en] und Melancholikers" - v.a. eine gewollt öffentlichkeitswirksame, aber in ihren Grundzügen substanzlose "Traurigkeit" bzw. "Melancholi[e ]" kritisiert - gewissermaßen eine, die man sich um des Überstülpens willen überstülpt. Jene standardisierte und somit blutleere "Pose[ ]" auf eine Stufe mit nachhaltiger bzw. nicht bloß gemimter Tristesse zu stellen erachte ich hier als weniger sinnvoll, da der Unterschied zwischen der Traurigkeit als Massenphänomen mit jeweiliger persönlicher Schlagseite und als heutzutage als wahrhaft empfunden verkaufter Massenware nicht deutlich herausgestellt wird.
Auch lässt sich die Bedeutung der Verwendung des Stilmittels der Ironie in einem literarischen Text nicht primär mit einer vermuteten psychologischen bzw. soziologischen Funktion umreißen; ebengleich durch ironische Wendungen kann jener anspruchsvoller gestaltet werden, wenn durch die rhetorischen bzw. stilistischen Fähigkeiten des Autors durchdacht impliziert wird, wo und worin die Brechung der konventionellen Erwartungshaltung denn liege. Diese feinen, aber doch als substanziiert erkennbaren Relevanzsignale setzen zu können, dass das Ausgesagte in einem vielschichtigeren Kontext verstanden werden kann, hat im literatischen Sinn vielmehr mit stilistischer Ausdrucksfähigkeit als mit einer simpel anmutenden Art von Schutzhaltung des Autors zu tun, da besagte Wechselbeziehung zwischen dem Syntagma des Werkes, das aus seiner konkreten sprachlichen Verfasstheit abgeleitet werden kann, und dem Paradigma der ironischen Brechung seines Inhaltes, die sich daraus abstrahieren lässt, eine inhaltlich wie kontextuell farb- wie distanzlose Inszenierung, die sich darin äußert, "einfach nur [öffentlich] "einsam" und einfach nur [öffentlich] "traurig" [zu sein]" hinsichtlich des künstlerischen Gehaltes mehr als bloß überragt. Diese geradezu narzisstische Aufführung der ziellos flottierenden Tristesse ohne Tiefe, die somit zu einem platten Lifestyle-"Gefühl" profaniert wurde, muss nicht unbedingt die Forderung, "[erwachsen zu werden]", nach sich ziehen, aber es scheint schwer von der Hand zu weisen, dass jene durch ihre Seichtigkeit eher einen planlosen Plantschkurs an der Oberfläche des immergleich aufgegossenen Sudes der quasi-infantilen Selbsttrunkenheit darstellt, und nicht etwa eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Selbst bzw. der sich im Individuum manifestierenden quälichten Schwermut. Was letzteres angeht, haben die Romantiker im 19. Jh. (deren Werke in puncto Inhalt und Stil kilometerhoch über den aktuellen literarischen Ergüssen über "Traurigkeit", "Einsamkeit", "Melancholie" usf. thronen) tiefschürfende Arbeit geleistet, indem sie durch die ästhetische Reflexion der subjektbezogenen Aspekte des Denksystems des Idealismus diese grundsätzliche Spannung zwischen der Welt und dem die "Vollendung im Unendlichen" suchenden Selbst, das sich mehr und mehr im Allmachtstraum der Phantasie verliert, aber diese Verlorenheit zugleich zu überschauen bzw. überwinden trachtet, indem es neben der identitätsstiftenden synästhetischen Versunkenheit seines Sprecher-Ich zugleich eine Art kritische Stellungnahme dazu miteinfließen lässt, was das Besondere der sogenannten Romantischen Ironie gegenüber der hergebrachten ausmacht, v.a. mittels der Textsorte des Fragments abgebildet haben. Eine gewisse Übersicht wahren zu können bzw. seine Affekte abgeklärter einschätzen, wenn nicht sogar einordnen zu können muss nicht unbedingt mit "Härte" oder "[Zynismus]" des Sprecher-Ich oder gar des Autors zu tun haben. Eine "schöne Seele" äußert sich außerdem wohl eher nicht darin, dass sie ihre "Traurigkeit"/"Melancholie" als zuschauerfreundlichen, aber in ihrer Typizität unmotivierten und vagen Instantbrei dem Publikum in plakativer Weise hinklatscht, sodass deren bloße Zitierung zum Selbstzweck gerät, sondern sich - auch wenn es schmerzhaft wie aufwühlend geraten sollte - mit ihr im Hinblick auf ihre spezifische Beschaffenheit sowie die Formen der Entfremdung, die jene hervorruft, fundiert beschäftigt und sie zugleich kontextualisieren kann - dies käme dem diskursiven Kunstempfinden der Strömung der Romantik nahe.
Ich hoffe, nachvollziehbar dargelegt zu haben, warum ich Toltec-Heads Ausführungen bezüglich einer "Traurigkeit" bzw. "Melancholie", die geradezu zur publikumsorientierten "Pose" skelettiert wurde, zustimme.
P.S. Ein "Zurück zum "echten Gefühl" und zur "Naivität" als Gegenstrategie" kann es wohl leider nicht geben. Das gegenwärtige Denksystem aus relativistischem wie konstruktivistischem Blubberschaum ohne Gefäß hinsichtlich Begrifflichkeit und Inhalt bewirkt eher eine Totaltrivialisierung von Kunst, bis eben alles als solche verstanden wird.
Auch lässt sich die Bedeutung der Verwendung des Stilmittels der Ironie in einem literarischen Text nicht primär mit einer vermuteten psychologischen bzw. soziologischen Funktion umreißen; ebengleich durch ironische Wendungen kann jener anspruchsvoller gestaltet werden, wenn durch die rhetorischen bzw. stilistischen Fähigkeiten des Autors durchdacht impliziert wird, wo und worin die Brechung der konventionellen Erwartungshaltung denn liege. Diese feinen, aber doch als substanziiert erkennbaren Relevanzsignale setzen zu können, dass das Ausgesagte in einem vielschichtigeren Kontext verstanden werden kann, hat im literatischen Sinn vielmehr mit stilistischer Ausdrucksfähigkeit als mit einer simpel anmutenden Art von Schutzhaltung des Autors zu tun, da besagte Wechselbeziehung zwischen dem Syntagma des Werkes, das aus seiner konkreten sprachlichen Verfasstheit abgeleitet werden kann, und dem Paradigma der ironischen Brechung seines Inhaltes, die sich daraus abstrahieren lässt, eine inhaltlich wie kontextuell farb- wie distanzlose Inszenierung, die sich darin äußert, "einfach nur [öffentlich] "einsam" und einfach nur [öffentlich] "traurig" [zu sein]" hinsichtlich des künstlerischen Gehaltes mehr als bloß überragt. Diese geradezu narzisstische Aufführung der ziellos flottierenden Tristesse ohne Tiefe, die somit zu einem platten Lifestyle-"Gefühl" profaniert wurde, muss nicht unbedingt die Forderung, "[erwachsen zu werden]", nach sich ziehen, aber es scheint schwer von der Hand zu weisen, dass jene durch ihre Seichtigkeit eher einen planlosen Plantschkurs an der Oberfläche des immergleich aufgegossenen Sudes der quasi-infantilen Selbsttrunkenheit darstellt, und nicht etwa eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Selbst bzw. der sich im Individuum manifestierenden quälichten Schwermut. Was letzteres angeht, haben die Romantiker im 19. Jh. (deren Werke in puncto Inhalt und Stil kilometerhoch über den aktuellen literarischen Ergüssen über "Traurigkeit", "Einsamkeit", "Melancholie" usf. thronen) tiefschürfende Arbeit geleistet, indem sie durch die ästhetische Reflexion der subjektbezogenen Aspekte des Denksystems des Idealismus diese grundsätzliche Spannung zwischen der Welt und dem die "Vollendung im Unendlichen" suchenden Selbst, das sich mehr und mehr im Allmachtstraum der Phantasie verliert, aber diese Verlorenheit zugleich zu überschauen bzw. überwinden trachtet, indem es neben der identitätsstiftenden synästhetischen Versunkenheit seines Sprecher-Ich zugleich eine Art kritische Stellungnahme dazu miteinfließen lässt, was das Besondere der sogenannten Romantischen Ironie gegenüber der hergebrachten ausmacht, v.a. mittels der Textsorte des Fragments abgebildet haben. Eine gewisse Übersicht wahren zu können bzw. seine Affekte abgeklärter einschätzen, wenn nicht sogar einordnen zu können muss nicht unbedingt mit "Härte" oder "[Zynismus]" des Sprecher-Ich oder gar des Autors zu tun haben. Eine "schöne Seele" äußert sich außerdem wohl eher nicht darin, dass sie ihre "Traurigkeit"/"Melancholie" als zuschauerfreundlichen, aber in ihrer Typizität unmotivierten und vagen Instantbrei dem Publikum in plakativer Weise hinklatscht, sodass deren bloße Zitierung zum Selbstzweck gerät, sondern sich - auch wenn es schmerzhaft wie aufwühlend geraten sollte - mit ihr im Hinblick auf ihre spezifische Beschaffenheit sowie die Formen der Entfremdung, die jene hervorruft, fundiert beschäftigt und sie zugleich kontextualisieren kann - dies käme dem diskursiven Kunstempfinden der Strömung der Romantik nahe.
Ich hoffe, nachvollziehbar dargelegt zu haben, warum ich Toltec-Heads Ausführungen bezüglich einer "Traurigkeit" bzw. "Melancholie", die geradezu zur publikumsorientierten "Pose" skelettiert wurde, zustimme.
P.S. Ein "Zurück zum "echten Gefühl" und zur "Naivität" als Gegenstrategie" kann es wohl leider nicht geben. Das gegenwärtige Denksystem aus relativistischem wie konstruktivistischem Blubberschaum ohne Gefäß hinsichtlich Begrifflichkeit und Inhalt bewirkt eher eine Totaltrivialisierung von Kunst, bis eben alles als solche verstanden wird.
Andererseits ist wahr: Die Literatur ist ein Darkroom und besser als zehntausend Betriebszynisten aus dem germanistischen Oberseminar, die gern auch mal mit den neuesten französischen Wässerchen parfümiert sind, ist ein Kind, das reinen Herzens singt wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Oder nicht?
Schief?
Nein, zu gerade. Man muß doch auch die notwendige Naivität der Anfänge loben
Des Anfangs des Waschganges?
Der Schleudergang kommt früh genug
Jack (33)
(26.05.13)
(26.05.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
"Dass ausgerechnet Romantiker sich keine Posen erlauben dürfen sollen, während das ganze soziale Leben ein Zirkus der Posen ist, wirkt daher willkürlich."
Doch, dürfen sie. Sie werden hierbei aber reflektiert und hoch artifiziell vorgehen. Sie werden posieren und dabei gleichzeitig zu erkennen geben, dass sie das Posieren durchschauen. Sie werden nicht einfach "naiv" sein, sondern vorher eine Reise um die Welt machen. Und wissen, dass das Paradies, wenn überhaupt, dann nur von hinten betretbar ist.
(Antwort korrigiert am 26.05.2013)
Doch, dürfen sie. Sie werden hierbei aber reflektiert und hoch artifiziell vorgehen. Sie werden posieren und dabei gleichzeitig zu erkennen geben, dass sie das Posieren durchschauen. Sie werden nicht einfach "naiv" sein, sondern vorher eine Reise um die Welt machen. Und wissen, dass das Paradies, wenn überhaupt, dann nur von hinten betretbar ist.
(Antwort korrigiert am 26.05.2013)
Ich halte deine Forderung nach der Vermeidung romantischer Posen oder wenn nicht, sie ironisch zu brechen, für berechtigt, wenn Kunst nicht die Wiederholung des immer Gleichen sein soll. Heine hat doch elegant vorgeführt, wie man es machen kann. (Das soll nicht heißen, dass man ihn heute kopieren sollte.)
Es geht also nicht um ein Verdikt bestimmter Themen wie Einsamkeit und Traurigkeit - sie werden "ungerührt" bleiben - sondern um eine Darstellung, die genügend Distanz zeigt.
Es geht also nicht um ein Verdikt bestimmter Themen wie Einsamkeit und Traurigkeit - sie werden "ungerührt" bleiben - sondern um eine Darstellung, die genügend Distanz zeigt.
Konzilianter im Ton, aber gleiche Kerbe. Danke.
Dieter Wal (58)
(02.06.13)
(02.06.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Komische Vorstellung von Romantik, die du da hast.