Altkleidersammlung

Erzählung

von  Nora

Und gestern stellte ich fest, dass ich nichts anderes bin, als eine Jacke!

Vor vielen Jahren war ich neu, gewollt, geliebt und jeden Tag wurde ich angezogen und es schien als fühlte sich mein Träger wohl in meiner Nähe.
Ich wärmte Dich - wärmte Deinen Körper und Dein Herz.

Jahre vergingen und hier und da sahst Du neue Jacken. Neue Modelle, andere Schnitte - dicke Jacken, für den Winter, dünne Jacken für den Sommer. Manche waren lang, andere kurz. Helle und dunkle Jacken, manche sogar handgenäht. Einfache Jacken, so wie ich eine bin, andere aufwendig bestickt und verziert. Viele Jahre gingst Du an Ihnen vorbei - natürlich gab es auch eine Zeit, als die Versuchung Dich lockte, Du probiertest sie an und mich legtest Du dafür eine kurze Zeit ab. Doch Du holtest mich immer wieder hervor, zogst mich wieder und wieder an und ich war mir sicher, dass keine andere Jacke Dich jemals so gut wärmen könnte, wie ich es tat.

Dann kam der Sommer und ich war endgültig aus der Mode.

Erst hing ich einige Zeit an der Garderobe, dann lag ich auf einem Stuhl neben dem Bett, später hing ich im Schrank und schlussendlich legstest Du mich in die Ecke zu den alten Sachen, die Dir schon lange nicht mehr passten. Ungetragen, ungewollt lag ich dort bis zu dem Tag, als Du mich in einen großen blauen Sack stopftest und  in die Altkleidersammlung gabst. Ja, vielleicht würde es doch noch jemanden geben, der eine alte Jacke wie mich brauchen würde. Vielleicht gab es jemanden, der meine Wärme spüren wollte. Waren das Deine Gedanken?
Doch lange geschah nichts.

Ich lag dort in diesem dunklen Container, umgeben von stinkenden Socken, zerschlissenen Hosen und Schwestern im Geiste - ungeliebten Jacken. Manchen Hemden fehlten Knöpfe, andere waren bereits verfärbt. Gestreift, uni-farben, blau, rot, gelb und manche mit einem Karomuster. Ich zog meine Kaputze fest zusammen, schloss den Reissverschluss und legte die Ärmel fest an meinen mit Daunen gefüllten Körper.

Irgendwann wurde der Container geöffnet und als man mich herausnahm, fielen einige Daunen aus meinem Körper. Je weiter ich getragen wurde, je mehr Daunen fielen aus mir heraus und mein einst so wohlig warmer Körper veränderte sich immer mehr. Das Gefühl, nicht mehr ich zu sein, schlich sich mehr und mehr in meine Gedanken ein. Man legte mich in ein Regal, eng zusammen gefaltet. Hände griffen nach mir, sahen mich an und legten mich immer wieder zurück.

Oft dachte ich an Dich und daran, wie Du mich von heute auf morgen gegen eine neue Jacke eingetauscht hast. Ja, ich bin eine ungeliebte Jacke, nach so vielen Jahren, in denen ich Dir treue Dienste geleistet hatte, nach all den Jahren, in denen ich Dich vor jedem Sturm, jedem Gewitter geschützt habe. Viele Nächte kamen und gingen. Das Loch in meiner Jacke wurde immer größer und es fielen unzählige Daunen aus mir geraus. Mit jeder Daune merkte ich, wie egal es mir wurde. Sollten doch alle Daunen aus mir fallen, sollte man mich doch endgültig entsorgen, so wie Du mich entsorgt hast. Entsorgt - was für ein Wort! Ja, vielleicht gab es Zeiten, in denen Du Dich "gesorgt" hast um mich - aber doch nur, ob ich Dich auch noch einen weiteren Winter lang warm halten würde. Du hast Dich entliebt, Dich meiner entledigt, mich entsorgt.

Es ist müßig sich Gedanken darüber zu machen - doch ich tat es, bis ich eines Tages aus dem Regal genommen, das Loch in mir geflickt  und ich, auf einem Bügel feinsäuberlich, ins Schaufenster gehängt wurde.

Es war hell - die Sonne schien mir ins Gesicht - Hoffnung durchströmte mich. Viele Menschen blieben vor dem Fenster stehen, sahen mich an, zeigten mit dem Finger auf mich, tuschelten und doch wollte mich niemand. Nun, wenn ich mich recht erinnere, gab es den ein oder anderen, der mich anprobierte, doch es schien, als ob ich nicht gut genug sei, zu alt, zu gebraucht und ich wollte nicht aus Mitleid mitgenommen werden, um kurze Zeit später wieder in die Altkleidersammlung zu landen.

Wieder kam der Sommer und die Gedanken an all die Dinge, die geschehen waren, kamen wieder in mir hoch. Ich glaubte nun wirklich nicht mehr daran, dass diese Jacke jemals wieder getragen werden würde...

... und heute im Winter... ja, da gibt es Dich... Du sahst mich, zogst mich an.. und bis heute hast Du mich nicht für einen Augenblick ausgezogen... Du trägst mich an Dir wie eine zweite Haut und solange auch nur eine Daune noch in mir ist, will ich Dich wärmen - wie ich noch nie einen Menschen vor Dir gewärmt habe.. Denn Du bist das Hemd ohne Knopf, die zerschlissene Hose, denn auch Du kennst die Dunkelheit des Containers...

Nein - wir sind keine Altkleider mehr... wir sind Second Hand.. Wir sind wie ein Oldtimer.. wir sind wie ein guter Wein.. je älter, desto besser...

Und nun schließ meinen Reissverschluss - ein Sturm zieht auf... und ich beschütze Dich!

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Kommentare zu diesem Text

holzköpfchen (31)
(03.01.14)
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 Nora meinte dazu am 03.01.14:
Hallo und vielen lieben Dank... ja, Deine Assoziation ist nicht ganz falsch.. fast genau so war es.. nur das Modell war dann doch älter... aber so ist es manchmal... ich freu mich sehr, dass Dir mein Vergleich gefällt und um die Fehler kümmer ich mich natürlich direkt mal... hab das irgendwie übersehen... :)
Hab einen schönen Tag und vielen lieben Dank!!

 EkkehartMittelberg (03.01.14)
Auch ich kann an deiner Jacke nicht ungerührt vorüber gehen. Auf die Idee muss man kommen. Sie ist schön.
Gruß
Ekki

 Nora antwortete darauf am 03.01.14:
Hallo Ekki,
wow - vielen lieben Dank :) und ebenfalls Dankeschön für die Empfehlung. Es freut mich sehr, dass meine alte Jacke doch nicht so unbeachtet rumliegen muss :) Lieben Gruß zurück :)

 SapphoSonne (03.01.14)
Sehr schön das Thema durchgehalten und die Bilder gemalt. Gern gelesen.
LG Sappho

 Nora schrieb daraufhin am 04.01.14:
Hallo Sappho, wow, auch Dir vielen lieben Dank :) Freu mich sehr darüber :)

 Songline (03.01.14)
Das ist mit so viel (Jacken)Wärme erzählt, dass es Spaß gemacht hat, das zu lesen.
Liebe Grüße
Song

 Nora äußerte darauf am 04.01.14:
Hallo Song, danke schön... also wenn Dir kalt wird, kannst gern Deine Hand auch mal in die (Jacken-) Tasche stecken :)
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