Wer weiß schon, was beim nächsten Mal passiert...

Erzählung zum Thema Krankheit/ Heilung

von  Nora

Manchmal werde ich wach und spüre bereits, dass es wieder geschehen ist. Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und dieser ekelige Gedanke in meinem Kopf nicht wirklich zu wissen, was passiert ist.
Erst ein Auge, dann öffene ich beide und schaue mich um. Meine Hand tastet vorsichtig meinen Körper ab. Wo liege ich? In meinem Bett? Auf dem Boden? Bin ich überhaupt zu Hause?
Dann schießt mir der nächste Gedanke in den Kopf und zeitgleich rollen Tränen über mein Gesicht. Ja, ich lebe noch! Dankbarkeit - Dankbar für mein Leben und gleichzeitig will ich so nicht leben.
Meine Hände erreichen die Innenseiten meiner Schenkel und ich befürchte bereits das Schlimmste. Doch erneut hatte ich Glück und ein sanftes Lächeln weicht meiner Scham. Dankbarkeit, erneut!
Ich bin müde! Auch das Gefühl kenne ich bereits. Meine Zunge tastet meinen Mund ab. Da ist es wieder, diese kleine Ecke in meinem Mund, verwundet, schmerzhaft bei der Berühung meiner Zungenspitze.

Mit jedem Atemzug beruhigt sich mein schwacher Körper. Sanft gleitet meinen Hand meinen Körper entlang, über meinen Bauch, meinen Arm, meinen Hals, über mein Gesicht bis zu meinen Haaren. Da ist sie, die Narbe auf meinem Kopf. Verursacht durch diesen Unfall, der soviele Jahre zurück liegt. Es ging damals alles so schnell. Rauf aufs Rad, losgefahren, Lenker losgelassen und auf einmal war kein Spielraum mehr zwischen den Speichen meines Vorderrades und meinen Badeschlappen. Wer zieht schon Badeschlappen zum Radfahren an... Und es folgte der erste und einzige Salto meines Lebens, der durch die Bordsteinkante hart gebremst wurde. Krankenhaus, Haare entfernt, OP und die Hoffnung, dass alles gut wird. Ich nahm es hin - als Kind so sorglos und positiv denkend, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass mir etwas geschieht. Es war doch alles gut und kurze Zeit später durfte ich wieder Radfahren. Demnach - was sollte schon sein.
Jahre später erst die Erkenntnis, dass sich mein Leben verändert hatte... meine Gedanken schweifen wieder ab. Zurück zu meinem Unfall. Sie springen wie Tischtennisbälle hin und her. Zwischen gestern, heute, dem Tag, der mein Leben veränderte und dem, was erneut geschehen war.

Oft wurde ich gefragt, wie es für mich ist. Wie ich so einen Anfall beschreiben würde. Ich kann es nicht. Wie soll man das erklären? Ich fühle mich einfach "doof im Kopf". Anders kann ich es nicht beschreiben. Ich friere - wo ist meine Decke? Ich ziehe sie hinauf. Es fällt mir schwer. Noch immer liege ich in meinem Bett und wieder - Dankbarkeit. Dankbar, dass ich nicht auf dem Boden aufgewacht bin - dankbar, dass keine Treppe zwischen mir und dem Gewitter in meinem Kopf stand.

Ein brennendes Gefühl breitet sich in meinen Armen und Beinen aus. Schmerzhaft und doch bin ich dankbar dafür... denn ich darf fühlen, darf spüren, dass ich lebe.

Tag für Tag lebe vor mich hin mit dieser bedrückenden Angst, dass ich wieder umfallen könnte. Keine Kontrolle zu haben - keine Macht über sich selbst... Dem Moment ausgeliefert sein und zu hoffen, dass man die Augen wieder öffnet. Werde ich allein sein? Wird mich jemand sehen? Stigmatisiert ist meine Krankheit schon immer gewesen. Ich bin es demnach auch. Ich bin aber nicht anders als Du - als er - als sie... Ich bin ich. Naja, manchmal leider auch nicht. Dann liege ich da - unkontrolliert zuckend, schluchzend, manchmal schreiend, versteift, beißend, kratzend, wie auch immer... man wird es mir erzählen, wenn man es sieht. Ich habe mich so oft verletzt und doch bin ich dankbar - ich lebe! Immer und immer wieder schießt dieser Gedanke durch die kleinsten Windungen meines Hirns.

Die Menschen sehnen sich so oft nach Reichtum, Berühmtheit, wollen schön sein, suchen das perfekte Glück. Willst Du wissen, was wirkliches Glück ist? Gesundheit! Was nützt Dir all Dein Geld, Dein perfekter Körper, was nützt die Karriere, wenn Du doch nicht leben kannst? Ich sehne mich nach Glück - einen Tag ohne Angst zu leben... Die Gedanken drehen sich und ich sitze auf diesem Karussell, dass sich immer schneller und schneller dreht...

Es kribbelt in meinem Körper und mir ist kalt. Bruchstücke fliegen durch meinen Kopf und ich versuche die Worte, die sich buchstabenhaft zusammensetzen, zu ordnen. Ich habe Angst und doch ist da dieses warme Gefühl - Dankbarkeit!

"Kaffee ist fertig!", höre ich Dich rufen... Du bist noch da... auch hierfür bin ich so dankbar!

Irgendwann stehe ich auf und der Alltag hat mich wieder... Ja, ich habe noch Kopfschmerzen ... aber das ist normal... Epilepsie halt... und so wie die Kopfschmerzen noch etwas bleiben, so bleibt auch die Dankbarkeit... ich lebe noch! Doch das kann sich beim nächsten Mal ändern... wer weiß es schon!


Anmerkung von Nora:

Ein sehr persönlicher Text, der hoffentlich zum Verständnis für diese Erkrankung beitragen kann...

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Kommentare zu diesem Text


 susidie (06.01.14)
Dieser Text ist so berührend geschrieben. So nachvollziehbar, authentisch und offen erklärend. Dafür Danke von Lesers Seite, also jedenfalls von meiner.
Ich habe Angst, und doch ist da dieses warme Gefühl - Dankbarkeit. Den Text nehme ich mit, der bleibt. Liebe Grüße von Su :)

 Nora meinte dazu am 06.01.14:
Liebe Su,
vielen lieben Dank für Deine schönen Worte. Ich freue mich so sehr darüber, dass mein Text so ankommt, wie er geschrieben wurde... mit soviel Seele... und das er nachvollziehbar ist.. das wollte ich so gern erreichen... und gerne darfst Du den Text mitnehmen - während ich erneut dieses warme Gefühl spüren darf... Danke :) Lieben Gruß zurück, Nora

 princess (06.01.14)
Ein berührender Text. Nein. Ein sehr berührender Text.

Liebe Grüße
princess

 Nora antwortete darauf am 06.01.14:
Vielen lieben Dank und lieben Gruß zurück :)

 Fuchsiberlin (07.01.14)
Ich weiß, was es bedeutet...Ein Mitpatient auf einer neurologischen Station sprach mir gegenüber mal einen Satz aus, den ich verinnerlichte: Epileppi, aber happy: Das drückt so viel aus, dass man sich von dieser Erkrankung nicht unterkriegen lassen sollte, und in den meisten Fällen auch gut und "normal" damit leben kann. Und zum Glück gibt es einmal im Jahr einen Tag der Epilepsie, um aufzuklären, zu informieren. Die Krankheit trägt nicht mehr ein solches Stigma wie es noch vor. ca. 20-30 Jahren der Fall war. Dennoch existiert bei manchem Außenstehenden hier immer noch eine große Unsicherheit, und gibt es auch zum Teil noch Vorurteile oder Fehlinformationen. Und es gibt nicht die Epilepsie, denn es gibt unterschiedliche Formen/Arten der Epilepsie. Und auch die Medikamente sind in den letzten Jahrzehnten weiter entwickelt worden, es wurde und wird viel getan. Und: Letztendlich kann jeden diese Krankheit treffen. Verursacht durch einen Unfall, eine Hirnhautentzündung... Das Gewitter im Kopf...Ich hoffe, Du bist medikamentös gut eingestellt, und hast nicht zu viele Anfälle.

Sehr guter und sehr berührender Text.

Liebe Grüße
Jörg

 Nora schrieb daraufhin am 07.01.14:
Lieber Jörg,

vielen Dank für Deinen sehr ausführlichen Kommentar. Ja, man mag sich kaum vorstellen, dass es nicht "die" Epilepsie gibt, sondern weit über 130 Formen in verschiedenen Ausprägungen. Leider ist die Stigmatisierung immer noch vorhanden - auch wenn man es kaum glauben mag. Man könnte eine Menge darüber schreiben - daher nochmal danke dafür, dass Du einiges über die Erkrankung geschrieben hast... und dann für Deine beiden letzten Sätze. Ja, ich bin medikamentös eingestellt, leider jedoch immer noch nicht anfallsfrei... und es ist, wie bei sovielen anderen Epilepsie-Erkrankten - die Angst bleibt... Natürlich kann man auch mit der Erkrankung ein relativ normales Leben führen - wie ich ja schrieb - ich bin nicht anders, als andere auch... nur manchmal eben nicht :)

Dir alles Liebe und einen lieben Gruß,
Nora
Koka† (46)
(07.01.14)
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 Nora äußerte darauf am 07.01.14:
Damit magst Du wirklich recht haben. Es gibt viele, die Verständnis vor"heucheln" und im Ernstfall dann die ersten sind, die weg sehen... leider muss ich mich in der "Öffentlichkeit" auf meine Mitmenschen verlassen... oder auch nicht.. solang die Augen wieder aufgehen, ist alles gut... Was der junge Mann Dir sagte stimmt vollkommen... man fühlt sich, als hätte man einen Marathon hinter sich, jede Faser des Körpers schmerzt.. aber für mich persönlich sind die Kopfschmerzen am schlimmsten.. so ein Gefühl, als ob der Kopf platzt.. naja - ich will jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass ich Mitleid suche - denn das will ich ganz und gar nicht. Mir reicht es schon, wenn ich durch meinen Text die Sichtweise eines einzelnen verändern kann.. Ich danke Dir von Herzen für Deinen Kommentar :) Lieben Gruß :)
Koka† (46) ergänzte dazu am 07.01.14:
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