Ingeborg war vierzig Jahre jünger als ich. Dennoch war sie schon seit Jahren meine beste Freundin. Ich hatte sie kennengelernt, als sie noch Studentin gewesen war. Jetzt war sie schwanger und ich ahnte, wer der Vater ihres Kindes war. Beruhigt legte ich mich auf mein Sterbebett und hoffte, die Geburt noch zu erleben.
Freudestrahlend kam Ingeborg mit dem Baby zu mir. Es war ein Junge und sie hatte ihn Frieder genannt.
„Gib ihn mir einmal“, bat ich. „Sterben ist nicht ansteckend.“
Ingeborg legte mir ihr Kind in den Arm, obwohl ich kaum noch Kraft hatte, es zu halten. Frieder schlief und wachte auch nicht auf, als die Tür geöffnet wurde und mein Mann den Raum betrat. Auch er war viel jünger als ich und kümmerte sich fürsorglich um mich. Er strahlte wie ein Weihnachtsstern. Da wusste ich, dass meine Ahnung richtig gewesen war.
„Da kommt ja der stolze Vater!“ rief ich fröhlich.
Nach einer Schrecksekunde fragte Inge fassungslos: „Du weißt es?“
„Wolltest du es mir etwa verheimlichen?“ antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Freilich hatte sie es mir verheimlichen wollen. Man sagt doch nicht zu einer Sterbenden: Ich erwarte ein Kind von deinem Mann.
„Bist du mir denn gar nicht böse?“ wollte Ingeborg recht dringend wissen.
„Wieso denn? Im Gegenteil! Eine Geburt ist doch kein Grund, der jungen Mutter böse zu sein!“ beteuerte ich.
Ich wusste, dass auch Ingeborg die gesellschaftliche Ehemoral belächelte und oft verkündet hatte, sich nicht danach zu richten. Und nun hatte sie doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Ich musste lächeln.
Mein Mann, der mich besser kannte, bemerkte aufgeräumt: „Ich hab gewusst, dass du dich mit uns freust!“ Frieder regte sich ein wenig in meinem Arm.
„Babysitten kann ich noch!“ behauptete ich angesichts des Winzlings, der noch hilfloser war als ich.
Zur Empörung von Nachbarn, Bekannten und Verwandten lebten Inge und mein Mann ihre Beziehung fortan offen. Wenn sie miteinander ausgehen wollten, legten sie Frieder zu mir.
Mir war, als hätte ich noch auf dem Sterbebett ein Kind bekommen. Jedenfalls war ja mein Mann der Kindesvater.