Der Tag an dem ich Olga aus dem Fenster warf

Text

von  atala

Ich sitze in der dunklen Wohnung auf dem Sims und rauche. Das Fenster habe ich geöffnet, denn es hallt seit Ron nicht mehr da ist. Unter mir ist das Quartierfest im Gange. Die beschwingte Menge lässt sich im Strom mittragen. Von der Ecke covert eine schrille Stimme die gängigen Lieder und wird begleitet von Gitarre und Schlagzeug. Mein Blick schweift von der Feier zum Wandbrett über meinem Bett. Darauf thront eine goldene Dose mit rotem Aufdruck.

Olga schenkte mir nie besonders viel Beachtung. Sie verbrachte die Tage schlafend auf dem braunen Sessel. Zur Seite gefläzt lag sie meist da und blinzelte durch ihre verklebten Augen. Nur um zu Essen stand sie auf, dann keuchte sie nach jedem Schritt.
Olga veränderte sich als Ron ging. Sie ass kaum noch und starrte missmutig vor sich hin. Ihre Beine wurden schmal, die Gelenke sichtbar, gegen Ende hin zeichneten sich die Rippen ab. Ab und zu stiess sie Klagelaute aus, die schrill wie Kreide auf einer Tafel waren.
Als ich eines Morgens aus der Dusche kam, stand Olga im Flur. Sie blickte mich unausweichlich an. Wie erstarrt blieb ich stehen und spürte ihre Anklage durch die Haut in den Knochen. Mit dem Rücken zur Wand um Olga nicht aus den Augen zu lassen, schlich ich ins Zimmer. Ihr Blick folgte mir aus schwarzen Höhlen.
Olga wartete darauf, dass Ron zur Tür hineinkam mit seinen glänzenden Schuhen und dem Lächeln auf den Lippen. Bis er aus dem Papiersack das Bündel mit der blauen Folie herausnahm. Ganz vorsichtig löste er das Schweineherz aus der Verpackung und legte es sanft in den Napf. Mit so einer Vorsicht, die nur Schlachter zu eigen sind. Olga vermisste seine glatten Hände, die sie liebkosten, die weiche Stimme, der man alles glaubt. Die von einem tollen Mann und seiner schönen Frau erzählte und meinte, das seien wir. Als wäre alles was ich könnte schön zu sein und zu ihm zu gehören. Olga sehnte sich nach den Zeiten, als ich still war und versuchte zu genügen. Bevor ich sagte, Ron, ich habe dich durchschaut. Du schläfst und isst wie ein Tier, das sich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Du bringst der Katze die Herzen geschlachteten Viehs, die alle meine sind.

Eines Tages erwachte ich und es war ruhig. Ich hörte kein Krächzen und kein Keuchen mehr. Mit nackten Füssen lief ich auf dem steinernen Boden und schritt die Wohnung ab. Sie lag auf dem Küchenboden, steif und kalt.

Es war ein kühler Nachmittag im Frühling als ich auf die Terrasse ging und den Grill aus der Ecke nahm. Die Briefe und Fotos tränkte ich in Benzin, legte sie auf Kohlen und zündete es an. Die Flammen wärmten meine Hände, mein Gesicht. Ich legte Olga mitten in den Lichtkegel, ihr grauliches Fell, das einst rostrot war, wurde langsam vom Feuer aufgenommen und färbte sich schwarz. Eine dunkle Wolke bäumte sich auf, es stank nach faulen Muscheln. Es dauerte den ganzen Nachmittag und ich brauchte zwei Kanister Sprit. Doch als die Glut erloschen war, lagen nur noch Olgas Zähne und Überrest der Knochen in der Asche. Ich wischte ihre Überbleibsel mit dem Handbesen zusammen und tat sie in die Kaffeedose. Doch ich spürte Ron noch immer in allen Ecken und Nischen. Ich sah noch immer Ron mit einem Glas in der Herzhand auf dem Sessel, das schnurrende Bündel streicheln. Olgas vorwurfsvolle Augen tauchten hinter meinen Lidern auf, ich hörte sie krächzen.
Der Wind, der durchs Fenster weht, spielt mit meinem Haar. Ich drücke meine Zigarette aus und hole die goldene Dose. Mit weit ausgelehntem Oberkörper stehe ich am offenen Fenster und hole aus. Eine schwarze Wolke schwebt über mir und riesselt über die Menge. Ich fühle mich, als hätte ich mit Konfetti geworfen. Olga auf den Köpfen, Olga im Bierbecher, Olga auf dem Boden, unter den Sohlen. Ich glaube, ich gehe an den Fluss spazieren.

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Kommentare zu diesem Text


 Vessel (04.05.15)
schön, dass olga wieder ihren weg hierher gefunden hat, ich erinnere mich an die geschichte und mag sie noch immer :)

 atala meinte dazu am 28.09.15:
Jetzt wieder verwandelt, ich hoffe du magst sie noch immer:-)

 Vessel antwortete darauf am 23.12.15:
oh, die geschichte hat sich sehr verändert, zumindest ist sie ganz anders, als in meiner erinnerung. ich mag sie noch immer, auf jeden fall!
Graeculus (69)
(09.07.18)
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