Zwei Finalistinnen stehen sich gegenüber und blicken sich in die Augen. Eine Stimme ruft: AND MISS ARIZONA 2023 IS.... . Der Plan geht so: die Aufgerufene zeigt ihre Überraschung, ihre Fassungslosigkeit. Damit hätte sie jetzt wirklich nicht gerechnet. Sie fächert sich Luft zu, hält die Hand vor den staunenden Mund. Die Tränen, die ihr über die Wangen rollen, sind heilend. Sie lindern die Schmerzen des Kampfes, der Schlacht im Bikini, im Abendkleid und die Fallen des Interviews. Die neue, geboren aus der Asche der alten, bezeugt mit der Krone, erwacht zum Leben. Vorher war sie irgendeine Teilnehmerin unter vielen Teilnehmerinnen, jetzt MISS ARIZONA. Ein Feuer lodert in ihren Augen, lässt ihre Wangen schimmern. Sie ist die Auserwählte.
Die Verliererin zeigt ihre Enttäuschung nicht. Sie simuliert, dass sie sich die Glückliche freut, umarmt sie, gratuliert ihr, steht ihr bei in diesem Moment der Überwältigung.
Jetzt betritt die amtierende Miss Arizona die Bühne. Sie nimmt sich die Krone vom Kopf und setzt sie der neuen auf. Die Noch-Königin, die im Begriff ist zu sterben, setzt ein mütterliches, ein wohlmeinendes Gesicht auf. Sie senkt den Blick, und entzieht sich selber das Symbol ihrer Macht.
Nach dieser Geste wird sie vollständig von der Bildfläche verschwinden. Ihr Gesicht wird nicht mehr auf Bildschirmen vergrösst, niemand wird sie mehr mit einem Mikrofon fragen, was sie sich für ihr Land wünscht.
Sie wird nur in ungewöhnlichen Situationen wieder ins Rampenlicht treten. Beispielsweise titelt die “Entertainment Times Beauty Pageants”, die Online-News zu den Misswahlen veröffentlichen, über die ehemalige Miss: „Beauty queen’s skull was partly removed after stroke”.
Aber nicht immer halten sich alle an das unsichtbare, unausgesprochene Skript, an die Rollenverteilung. Es kommt vor, dass sich jemand wiedersetzt und nicht nach den Regeln spielt. Die Medien nennen es: Skandal!
Eine scheidende Schönheitskönigin hat der neuen Königin die Krone wieder abgenommen, die Scherpe entrissen und ist von der Bühne gestürmt. Man könnte das als ein Zeichen der Wiedersetzung lesen, als eine Art Rebellion. Die Kommentare unter dem Video gehen aber in eine andere Richtung. Der Königin wird Eifersucht unterstellt, sie könne das Unabwendbare nicht annehmen.
Die erste schwarze Frau, die zur Misswahl im Bundesstaat zugelassen wurde, hat 2021 einen Vlog über die Tage rund um den Wettbewerb in Phoenix geführt. Sie filmt sich auf dem Weg zur Massage, ihre Zehen während der Pedicure und zeigt in Schnellraffer, wie sie geschminkt wird. Es sei heiss, sagt sie auf dem Weg an den Veranstaltungsort. Über 45 Grad. Sie sagt: es fühle sich so an, als stünde sie in Flammen.
In der Garderobe gibt ihr eine Teilnehmerin den Tipp, man solle der Jury nicht weniger, als das beste zeigen, was man hat. Die erste Challenge, die Bikinis habe sie schon hinter sich, nun folge das Abendkleid.
Sie sagt ins Mikrofon: ich bin die erste schwarze Frau, die an diese Misswahl antreten darf. Der Moderator gratuliert ihr.
Sie wird nicht Miss Arizona werden, also keine Miss Phoenix, die nach einem Jahr wieder vergeht, sondern sie wird die fünfte im Kreis der Gesehenen. Auch ssie bekommen eine kleine Krone, der Gewinnerin wird die grosse aufgesetzt. Auf jedem Zacken trägt sie einen glitzernden Stern. Die neue Miss heisst Cassidy und sie wird an Ostern auf Twitter schreiben: Hope every-bunny has an egg-cellent Easter.
Bei der Übergabe hat sich die letztjährige Gewinnerin nicht wiedersetzt. Bereitwillig hat sie ihre Krone abgenommen, sie übergeben und etwas gesagt. Die Worte hat man aber nicht verstanden, da sie kein Mikrophon hatte und auch niemand ihr eins reichte.
Die erste schwarze Frau, die sich zur Misswahl Arizona qualifiziert hat, hat am Abend vor der Wahl aus dem Fenster ihres Hotelzimmers gefilmt. Eine verlassene Einfahrt, eine einzelne Zeder, beleuchtet von einer Strassenlampe ist zu sehen. Der Baum wird von einer unsichtbaren Kraft hin und hergerissen. Als würde es regnen, sagt sie, aber in Wahrheit sei es ein Sandsturm, kein Tropfen falle vom Himmel. Die Äste der Zeder werden wild durcheinander getrieben, fast sieht es so aus, als würde ein grosser Vogel seine Federn schütteln.
