„Ich habe ein Faible für den Vorgang des Verschwindens“, sagt mir Rainer Stöckli, der sich seit mehr als 40 Jahren mit dem Thema Totentanz beschäftigt. Er erforscht Original-Totentänze aus dem Mittelalter und den Totentanz als Ursprungsthema, der in zahlreichen Liedern, Gedichten, Romanen, Bildern und Filmen aufgegriffen wird. Das Motiv behält die alte Matrix, wird aber variierend eingesetzt. Wo hat der Tod in der Kunst Regie, fragt sich Stöckli und veröffentlich Monographien und Aufsatzsammlungen zu diesem Thema.
Ich befinde mich in seiner umfangreichen Privatbibliothek im Appenzell und schaue mich um. Ein restaurierter Bauernhof, dessen eine Hälfte ein Bücherhaus ist und voll ist mit Regalen, Schachteln und Tische mit zahlreichen Erstausgaben, Gedichtbände und jüngsten Erscheinungen. Ein grosser Teil der Sammlung kreisen um seine liebste Thematik: den Totentanz.
Woher kommt diese Faszination, frage ich mich. Was bringt einen Menschen zu Lebzeiten dazu, sich mit der Begegnung von Mensch und Tod so eingehend und uferlos zu befassen? Stöckli denkt nach, als ich ihm die Frage stelle.
Das Verschwinden treibe ihn um. Wenn man in einem Buch eine Figur kennenlernt und diese am Ende des Buches nicht mehr da ist. Das sei wie im echten Leben, dass man eine Klassenreise in die Berge unternimmt, und jemand nicht mehr von der Wanderung heimkehrt. Oder man zieht vom Land in die Stadt und der Ort, wo man Kind war fehlt nun. Das Haus, in dem man aufgewachsen ist, die Kindheitslandschaft.
Wenn etwas erlebt wurde, ist es vorbei. Was macht man damit, mit diesem Gefühl? Die Erinnerung könne ein ungewisser Ort sein. Manchmal weiss man Unwichtiges noch ganz genau und das, was man nie vergessen wollte, verschwindet in der Dunkelheit.
Sein Mittel gegen den Vorgang des Verschwindens sei das Festhalten. Ein ehemaliger Schüler hätte ihn mal gefragt, weshalb er so viel Aufmerksamkeit den Todesanzeigen zuwende. Stöckli sammelt Todesanzeigen. Nicht irgendwelche, sondern, solche, die auf eine besondere Weise zu ihm sprechen. Mittlerweise habe er zwischen 400 und 600. So gäbe eine, die in der Ich-Perspektive formuliert ist. Die verstorbene Person hat aus der Zeitung zu ihm gesprochen. Hat gesagt, dass er uns alle vermissen wird. Oder es gäbe sehr spartanisch geschrieben, ein, zwei Wörter, mehr brauche es nicht. Dann gibt es auch welche, die sehr poetisch sind und einem das Herz schwer werden lassen.
Am Ende frage ich ihn noch, welche seine liebste Todesanzeige ist. Er überlegt wieder kurz und sagt, an eine denke er häufig, die sehr reduziert sei. Es stehe:
Adelheid starb.